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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.11 vom 27.05.1999, Seite 6

Grüner Sonderparteitag

Eiertanz der Kriegsgegner

Soll niemand sagen, die Grünen seien keine dankbaren Staatsbürger. Eine Woche nach ihrem Bielefelder Kriegsparteitag bedankten sich die Sprecherinnen des SPD-Juniorpartners, Gunda Röstel und Antje Radcke, schriftlich und artig bei der Polizei für deren "umsichtigen Einsatz". Der Parteitag sei "sowohl für uns als auch für den Rest der Partei eine völlig neue Erfahrung" gewesen. Wer will da widersprechen?
  Ein Parteitag im Ausnahmezustand. Umzäunt von NATO-Draht und Absperrgittern, geschützt von einem polizeilichen Großaufgebot und abgeschirmt vor unbotmäßigen "Krawallmachern" berieten die Grünen in Bielefeld über Krieg und Frieden. Über 60 Festnahmen und mehrere verletzte Demonstranten - eine einmalige Bilanz für eine grüne Veranstaltung. Die "Sonder-Bundesdelegiertenkonferenz" startete mit einstündiger Verspätung - zunächst hatte die Polizei den Delegierten den Zugang zur Bielefelder Seidenstickerhalle freiprügeln müssen. Die Grünen auf Himmelfahrtskommando.
  Der grüne Traum gewaltfreier Konfliktlösung ist aus - im Großen, wie im Kleinen. "Die NATO zerschlagen - bei den Grünen anfangen", schallte es ausgerechnet der Partei entgegen, die noch vor wenigen Jahren selber die NATO auflösen wollte. Aber das ist längst Geschichte. Heute gilt es, sich wehrfähig zu zeigen. "Die Zeit ist reif, zwischen Gewalt und Feigheit zu entscheiden", so Daniel Cohn-Bendit auf dem Grünen-Konvent.
  Die neue grüne, alte deutsche Losung: Mutig ist, wer für den Krieg ist. Und Antifa heißt Angriffskrieg. Kein Pardon für Milosevic - und auch nicht für dessen nützliche Helfer, den vor und in der Halle demonstrierenden Friedensidioten. Ihnen ruft der Joschka Fischer verächtlich zu: "Hier spricht ein Kriegshetzer - und Herrn Milosevic schlagt Ihr demnächst für den Friedensnobelpreis vor." Wer für den Frieden ist, ist für Milosevic. Solcherart Kriegspropaganda ist wohlbekannt - von denen, gegen die sich die Grünen einst gegründet hatten.
  Und dann noch der Farbbeutelwurf. Auf den großen grünen Kriegsführer. So schnell, so präzise, trotz Saalschutz, trotz Bodyguards. Das hätte der alte Streetfighter zu seinen besten Zeiten nicht so gut hingekriegt. Vielleicht hat Fischer auch deswegen so allergisch reagiert: Ausgerechnet der einstige Frankfurter Straßenkämpfer hat gegen den Farbattentäter Strafantrag erstattet. Der stellte sich am folgenden Montag der Polizei. Zuvor hatte sich der zielsichere Werfer noch von einer Telefonzelle aus bei der Neuen Westfälischen in Bielefeld gemeldet. Nach Angaben der Redaktion beteuerte er: "Die Verletzung war nicht das Ziel der Aktion." Fischers Trommelfellriß sei ein "Kollateralschaden". Aber: "Ich bereue nichts."
  Für den Obergrünen war der Farbbeutelwurf ein Glücksfall. Ein "Attentat" auf ihren Joschka - das bewegte den einen oder anderen Delegierten noch mehr als alle Schilderungen von irgendwelchen massakrierten Kosovo-Albanern. Ein rotes Ohr und Jackett für eine Mehrheit - billiger hätte es den deutschen Außenminister nicht treffen können.
  Eine andere Mehrheit wäre ohnehin einem Wunder gleichgekommen. Denn Fischer hatte in seiner Parteitagsrede die Grenze scharf gezogen. Er hielte "zum jetzigen Zeitpunkt eine einseitige Einstellung - unbefristet - der Bombenangriffe für das grundfalsche Signal." Und dann kam seine unverhohlene Rücktrittsdrohung: "Ich werde das nicht umsetzen, wenn ihr das beschließt, damit das klar ist." Es war klar.
  Demgegenüber mußten alle Argumente gegen den Krieg verblassen, so sehr sich auch die grünen Bundestagsdissidenten Annelie Buntenbach, Christian Simmert und Hans-Christian Ströbele redlich mühten. Immerhin konnte die nordrhein- westfälische Umweltministerin Bärbel Höhn einen Achtungserfolg erzielen. Ihre Rede für einen sofortigen und unbefristeten Stopp der NATO-Angriffe erhielt den größten Applaus auf dem Parteitag.
  Doch die Mehrheit stand: 444 Stimmen für den Antrag des Bundesvorstandes, in dem die Bundesregierung nur aufgefordert wird, "sich dafür einzusetzen, daß die NATO einseitig eine Unterbrechung der Luftangriffe auf Jugoslawien erklärt". Und von dem jeder wußte: Auch für ihn wird sich Fischer nicht einsetzen. Für den Alternativ-Antrag von Ströbele, Höhn und anderen stimmten 318 Delegierte.
  Christian Simmert, einer der sieben Abweichler in der grünen Bundestagsfraktion, übt sich in Zweckoptimismus. Er sei zwar "tief enttäuscht" über die "grundsätzliche Wende in der Friedens- und Außenpolitik", die die Grünen vollzogen hätten. Aber er will dem Bielefelder Parteitag auch etwas Positives abgewinnen: "Auch wenn wir uns mit unserem Antrag nach einem sofortigen und endgültigen Ende der Bombardierungen auf dem Parteitag nicht durchsetzen konnten, so haben wir für unsere Position wenigstens eine qualifizierte Minderheit von 40 Prozent erreicht." Damit ließe sich arbeiten. Deshalb käme für ihn ein Austritt aus der Partei und aus der Fraktion nicht in Frage. "Ich werde mich weiterhin für ein Ende des Krieges in meiner Fraktion einsetzen", so Simmert.
  Eckhard Stratmann-Mertens hat eine andere Entscheidung getroffen. Das Gründungsmitglied der Grünen ist 1983 der erste Grüne gewesen, der im Bundestag sprach. Am 13.Mai hielt der heute 51jährige Bochumer seine letzte Rede als Grüner. Nachdem sich die Forderung nach einem sofortigen und bedingungslosen Stopp des NATO-Bombardements nicht durchsetzen konnte, erklärte er noch auf dem Parteitag seinen Austritt.
  Nun hofft Stratmann-Mertens, daß die Grünen bei den Europawahlen "eine dramatische Niederlage erleiden, damit sie an der Wählergunst merken, daß ihr Kriegskurs keine Zustimmung findet". "In sehr vielen Kreis- und Ortsverbänden gärt es", weiß Stratmann-Mertens. "Teile ganzer Kommunalfraktionen überlegen, aus den Grünen auszuscheiden."
  Schon bei einer Zusammenkunft grüner Kriegsgegner unmittelbar nach Ende des Bielefelder Parteitages hatten viele der Anwesenden ihre Austrittswilligkeit bekundet. "Es werden weiße Flecken auf der grünen Landkarte entstehen, weil einige Kreis- und Ortsverbände einfach aufhören, zu existieren", prophezeite der Hamburger Uli Cremer. Der Mitinitiator der grünen Anti-Kriegs-Initiative wollte allerdings über seine persönlichen Konsequenzen erst "noch ein paar Tage nachdenken".
  Solange wollten fünf Abgeordnete der GAL in Hamburg nicht mehr warten. Drei Tage nach dem Parteitag kündigten sie ihren Abschied an. Sie wollen ihre Mandate behalten und eine eigene Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft bilden. Auch die Bezirkfraktion der GAL in Hamburg-Altona hat sich gespalten. Vier ihrer bisherigen Mitglieder gründeten eine "Regenbogenfraktion".
  In Frankfurt am Main sind seit Kriegsbeginn 50 der 600 Mitglieder ausgetreten. In Nordrhein-Westfalen wird damit gerechnet, daß bis zu 10% der Mitglieder die Partei verlassen werden.
  Der Landtagsabgeordnete Daniel Kreutz hat sich hingegen noch nicht entschieden, was er jetzt machen will. "Weder in die eine noch in die andere Richtung." Die Meldung der Taz, er habe bereits seinen Austritt erklärt, sei falsch, erklärte Kreutz auf dem Hagener Landesparteitag der NRW-Grünen. Der 44jährige Kölner will vielmehr erst noch mit politischen Freunden über mögliche Konsequenzen diskutieren. Daß er allerdings nicht so weitermachen kann, wie bisher, ist für den Landtagsabgeordneten klar. Denn die Partei habe ihr Gesicht verändert. "Mit dem Bekenntnis zum Krieg als Mittel der Politik wird das unumkehrbar", so Kreutz. "Ich baue meine politische Perspektive darauf, daß am 6.Juni in Dortmund ein Forum GrünLinks, ein Netzwerk für drinnen und draußen entsteht." Ob er dann drinnen oder draußen sein wird, will er bis dahin entschieden haben.
  In Dortmund wird Kreutz dann auch Stratmann-Mertens wiedertreffen. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete setzt einige Hoffnungen in das Treffen der nicht-mehr- und noch-grünen Kriegsgegner. "Der Austritt aus den Grünen darf nicht dazu führen, daß wir uns zurückziehen und politisch vereinsamen", sagt er. Darüber hinaus ginge es "um eine Art Brückenfunktion zu denen, die in der Minderheit sind in den Grünen". Die Organisatoren des Treffens rechnen inzwischen mit bis zu 600 Teilnehmern.
  Der NATO-Krieg gegen Jugoslawien geht unterdessen unvermindert weiter. Manche linke Grüne, die immer noch nicht von ihrer Partei lassen möchten, hoffen nun auf den Bodenkrieg. Denn wenn der kommt, dann gäbe es ganz sicher eine Mehrheit gegen den Krieg. Sogar wenn darüber die Koalition zerbrechen könnte. Ganz sicher.
Pascal Beucker


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