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In Südkorea ist kurz vor dem 1.Mai der Streik der U-Bahn- Angestellten und -Arbeiter
zusammengebrochen. Die Kampagne des Gewerkschaftsdachverbandes KCTU (Korean Confederation of Trade Unions) für einen
Generalstreik gegen Massenentlassungen und für eine Verkürzung der Arbeitszeit hat damit an Moment verloren. Eine Versammlung
von 4000 Gewerkschaftsmitgliedern an der legendären Myongdong-Kathedrale - seit den 80er Jahren ein Kristallisationspunkt der
demokratischen Opposition - hatte einmütig beschlossen den Streik abzubrechen.
Die Regierung hatte sich nach Angaben der Gerwerkschaften beharrlich geweigert, auf die Forderungen der Streikenden einzugehen. Statt
dessen hatte sie gedroht, jeden, der nicht zur Arbeit erschien, zu entlassen. Haftbefehle gegen Gerwerkschaftsfunktionäre wurden
ausgestellt und mit massivem Polizeiaufgebot gegen Streikversammlungen vorgegangen. Immerwieder flogen z.B. Hubschrauber im Tiefflug
über das Camp der Streikenden, die sich in Seouls angesehene National University zurückgezogen hatten.
Auch die Familien der Streikenden wurden von der staatlichen U-Bahngesellschaft bearbeitet. Unter diesem Druck hatte die Streikfront bereits
in den Tagen vor der Entscheidung erste Risse gezeigt. Mit eine Rolle spielte sicherlich auch die Angst vor Arbeitslosigkeit und vor dem
Verlust der Pensionsansprüche, die an die Arbeitsstelle gekoppelt sind.
Die U-Bahner waren unter anderem gegen einen Plan zur Umstrukturierung des Unternehmens in den Streik getreten, der die Entlassung von
20% der Arbeiter und massive Lohneinbußen vorsah. Ähnlich Pläne bedrohen auch die Angestellten des staatlichen
Telekom-Unternehmens, daß darüber hinaus zur Privatisierung ansteht. Doch die Telekom-Gewerkschaft sah sich nicht in der Lage
einen geplanten Streik durchzustehen. Der wurde daher kurzfristig abgesagt, was sicherlich zur Entscheidung der U-Bahner beitrug.
Einige andere Sektoren setzten im Forschungsbereich, in Stahlunternhemen und auf Werften setzten allerdings ihre befristeten oder unbefristeten
Streiks zunähst fort und am 1.Mai kamen nach unterschiedlichen Angaben 25000-50000 in Seoul zur Gewerkschaftsdemonstration
zusammen. In einer Erklärung nach Abbruch des U-Bahn-Streiks, dem eine zentrale Rolle in der Kampagne zugedacht war, versprach die
KCTU-Führung trotzdem an der Offensive festzuhalten. Der Kampf um Arbeitszeitverkürzung und gegen Entlassungen sei kein
1000-Meter-Lauf, sondern ein Marathon-Rennen.
Die Schwierigekeiten des Dachverbands rühren sicherlich auch aus der Organisationsstruktur. Südkoreas Gesetze erlauben nur
Betriebgewerkschaften. Erst vor zweieinhalb Jahren konnte die KCTU die Legalisierung ihrer Mitgliedsgewerkschaften erzwingen. Die (sehr
militante) der Lehrer ist allerdings immer noch quasi-illegal. Die Zerfaserung in Hunderte von Einzelorganisationen macht die
Entscheidungsprozesse allerdings manchmal langwierig und kompliziert und befördert gelegentlich auch Betriebsborniertheit.
Viele Gewerkschaftsfunktionäre sprechen daher seit einiger Zeit davon, daß man Industriegewerkschaften anstrebe. "Doch
dahin", so Yong Mo, KCTU-Sekretär für internationale Kontakte, "ist es ein langer Weg." Zusätzlich macht
den Gewerkschaften auch zu schaffen, daß per Gesetz nur Beschäftigte Mitglieder sein können. Die um sich greifende
Arbeitslosigkeit führt also unter anderem auch zu einem unmittelbaren Mitgliederschwund der Arbeiterorganisationen. Offiziell
beträgt die Arbeitslosenrate etwas über 7% inoffiziell wird sie allerdings eher auf das Doppelte geschätzt.
Mitte Mai startete KCTU dann die zweite Aktionswelle. Rund 10000 Metallarbeiter traten in einen auf vier Tage befristeten Streik und
errichteten mehrere Protestcamps in Seoul. Aus Solidarität mit den Obdachlosen, hieß es in einem Kommuniqué, werde
man auf der Straße übernachten. In einer Reihe von Krankenhäusern traten die Angestellten ebenfalls in den Streik. Die
Forderungen richten sich überall zumeist gegen Entlassungen im Zusammenhang mit Umstrukturierungsplänen, die die Regierung
von den Unternehmen fordert.
KCTU hatte einige Tage vor der neuen Streikwelle ein Programm vorgestellt, in dem u.a. auch politische Reformen, wie die Einführung
des Verhältniswahlrechts gefordert werden. Des weiteren wird die Anhebung des Mindesteinkommens, Einführung von Sozialhilfe
und Ausdehnung der Arbeitslosenversicherung gefordert.
Eine wichtige Rolle spielt weiterhin die Forderung nach Verkürzung der Arbeitszeit auf gesetzliche 40 Stunden in der Woche und
für eine befristete Periode von zwei Jahren auf 36 Stunden. Schließlich wird gefordert, daß die Repressionen gegen die U-
Bahner aufhören, die Bereitschaftspolizei aus den Metro-Stationen und Depots abgezogen sowie die verhafteten Gewerkschafter
freigelassen werden. Beachtenswert auch, daß überbetriebliche Tarifverhandlungen gefordert werden, die es in Südkorea
bisher nicht gibt.
Auf Seiten der Regierung sehen die Gewerkschafter zwei Linien Wettstreit miteinander. Anfang Mai gab es erstmals Äußerungen,
daß man an Verhandlungen mit der KCTU wohl nicht vorbeikomme. Auf der anderen Seite gibt es aber auch im Regierungsapparat - nicht
zuletzt im Geheimdienst und beim Generalstaatsanwalt - eine starke Lobby aus konservativen Bürokraten und neoliberalen Technokraten,
die einer harten Linie das Wort reden. Sie wollen die Krise nutzen, um den militanten Gewerkschaften, die im Kampf gegen die
Militärdiktatur entstanden sind, den Garaus zu machen.
Nach dem vor allem in einigen Krankenhäusern die Rücknahme von Entlassungsplänen durchgesetzt werden konnte, kam es
am 15.Mai in Seoul bei Gewerkschaftsdemonstrationen zu Zusammenstäßen mit der Polizei. Gleichzeitig setzte jedoch der KCTU-
Vorstand die Aktionen ersteinmal aus, um die Stimmung sich etwas abkühlen zu lassen und der Regierung Gelegenheit zu geben, an den
Verhandlungstisch zu kommen.
Die Presse, die in der Regel eher negativ über die Aktionen der Arbeiter berichtet, denen Krisenverschärfung vorgeworfen wird,
nahm diesen Schritt, nach Angaben der Geerkschafter sehr positiv auf. Die Regierung antwortete allerdings mit verschärften
Repressionen: Gegen mehrere Gewerkschaftsführer von Krankenhausgewerkschaften wurden Haftbefehle erlassen. Ebenso wurde die
gesamte Führung der Metallarbeiterföderation zur Fahndung ausgeschrieben. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Daewo-Werft
Nah Yang-Joo befindet sich bereits in Haft.
Die Gewerkschaften suchen unterdessen auch das Bündnis mit anderen sozialen Bewegungen. Auf der Seouler Kundgebung am 15.Mai
sprach u.a. auch Jung Kwang-Woon, Präsident des Nationalen Bauernverbands. "Die Bauern haben eine drückende
Schuldenlast zu tragen", schilderte er den Versammelten die Lage auf dem Land. "Aber während die großen Chaebols
von der Regierung entschuldet werden, bietet man uns keinerlei Lösung an." Er forderte die Streichung aller Schulden, die
Rückgabe des Landes im Besitz der Chaebols an die Bauern und die Freilassung aller politischen Gefangenen. In Südkorea sitzen
auch nach dem Amtsantritt des ehemaligen Dissidenten Kim Dae-Jung noch immer Hunderte Gefangener wegen angeblicher Spionage für
den Norden oder wegen Verstoßes gegen das Nationale Sicherheitsgesetz in den Gefängnissen. Seit Kims Einschwörung vor
etwas über einem Jahr sind mehr als hundert Gewerkschafter, meistens Mitglieder der KCTU, hinzugekommen. Unter ihnen befinden sich
z.B. auch Dan Byung-Ho, der frühere Vorsitzende der Metallarbeiter und Kim Kwang-Shik, ehemaliger Vorsitzender der Hyundai-
Motors-Gewerkschaft.
Wolfgang Pomrehn