Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.12 vom 10.06.1999, Seite 1

Trotz Kapitulation kein Frieden

Die Annahme des G8-Plans durch den Staatspräsidenten und das Parlament Jugoslawiens bedeutet eine vollständige Kapitulation. Jugoslawien wurde ein zweiseitiges Papier vorgelegt, das von den Unterhändlern Tschernomyrdin und Ahtisaari als "bestes Angebot der internationalen Gemeinschaft" und als "nicht verhandelbar" bezeichnet wurde - ein Ultimatum also. Es enthält im Kern die fünf zentralen Forderungen der NATO:
1. und 2. Die Vertreibungspolitik hat ein Ende. Alle serbischen Truppen und Sicherheitskräfte ziehen sich vollständig aus Kosova zurück. Zu einem späteren Zeitpunkt können "Hunderte von ihnen, nicht Tausende" zurückkommen und besondere Funktionen ausüben, allerdings "unter internationaler Aufsicht" (Financial Times vom 4.6.).
Dieser Punkt ist von Milosevic trotz Unterschrift danach wieder in Frage gestellt worden - allem Anschein nach aus taktischen innenpolitischen Gründen. Die Bombenangriffe gehen weiter.
3. Eine internationale Truppe mit NATO-Kern besetzt Kosova. Vorgesehen sind 51.000 Soldaten unter UN-Aufsicht. Es nehmen an ihr auch russische und ukrainische sowie Truppen neutraler Staaten teil. Das Oberkommando ist jedoch "einheitlich" - d.h. unter NATO- Oberbefehl (vorgesehen ist ein britischer Generalkommandeur).
Die Details dieses Kapitels sind längst nicht ausgehandelt. Das russische Militär will nicht unter einem NATO-Oberbefehl stehen, an dem es nicht beteiligt ist. Der "einheitliche Oberbefehl" müßte also durch eine Clearing-Stelle vermittelt werden, wobei Vermittlerin wiederum die UN sein könnten.
4. und 5. Rückkehr aller Flüchtlinge und eine politische Lösung für Kosova. Die Provinz soll Teil Jugoslawiens bleiben und ein Autonomie-Statut bekommen. Die UÇK soll "demilitarisiert" (nicht entwaffnet) werden.
Einige Stellungnahmen, darunter linke, haben diesen sog. "Friedensplan" als Fortschritt bezeichnet, weil jetzt auch russische Truppen dabei sind und die UNO mit ins Spiel gekommen ist. Aber die NATO hatte auch im vergangenen Oktober die Beteiligung russischer Truppen nicht ausgeschlossen; und daß die UNO jetzt im Spiel ist, beruht allein auf der Tatsache, daß Moskau eine politische Kehrtwende vorgenommen hat - die Durchsetzung einer UN-Resolution, die der NATO genehm ist, also nicht mehr ausgeschlossen ist.
Im Oktober 1998 hatte die russische Führung eine Lösung, wie sie jetzt auf dem Tisch liegt, noch abgelehnt. Ihr Nein war von dem Großmachtinteresse geprägt, auf gleicher Stufe wie die NATO an der militärischen Konfliktregelung beteiligt zu sein. Moskaus Ja im Juni entspringt der Einsicht, daß Rußland nicht mehr "mit im Spiel" ist, wenn es den NATO- Plänen weiter seine Zustimmung versagt.
Mit antiimperialistischen Positionen oder mit der Verteidigung von Völkerrecht hat das nichts zu tun. "Kosovo ist nicht wichtig genug, als daß es wert wäre, daß alle Anstrengungen einer Kooperation mit dem Westen in den letzten zehn Jahren dadurch aufs Spiel gesetzt werden", beschreibt die französische Tageszeitung Le Monde (4.6.) die russischen Motive. Geschwächt durch die Wirtschaftskrise, finanziell vom IWF abhängig und ohne strategische Alternative steht die russische Führung eine Konfrontation mit der NATO nicht durch.
Aber auch die Belgrader Regierung hat in ihrem Krieg gegen die Kosovaren keine anderen als machtpolitische Interessen verfolgt. Deshalb fällt es ihr nicht schwer, die Pferde zu wechseln, wenn das Kriegsglück sich wendet und sie von ihrem Verbündeten im Stich gelassen wird.
Das Ergebnis von heute hätte man im Oktober schon haben können. Die jugoslawische Kapitulation stellt die barbarische Realität bloß, daß seit über zwei Monaten von allen beteiligten Kriegsparteien ein Machtpoker gespielt wird, dem sie Leben und Überleben der eigenen und fremder Bevölkerungen bedenkenlos opfern. Die Regime in Belgrad und Moskau sind reaktionär; eine Antikriegsbewegung und Anti-NATO-Bewegung hat in ihnen keine Verbündeten gegen die NATO, die zum größten Feind der Völker des Balkan geworden ist.
Frieden schafft der G8-Plan nicht. Die Diskussion über die "politische Lösung" für Kosova enthüllt, je konkreter sie wird, umso mehr die Widersprüche, in denen sich die NATO verfängt. Auch ein internationales Protektorat muß sich auf einheimische Sicherheitskräfte stützen. Wenn es die Serben nicht sind, sind es die Albaner. Ein Nebeneinander von serbischen und albanischen Einheiten ist nach dem Geschehenen nicht denkbar. Die Auflage, daß alle serbischen Truppen sich zunächst zurückziehen müssen, bedeutet nur grünes Licht für die UÇK. Westliche Vertreter, so berichtet die Financial Times (4.6.) versicherten UÇK-Führern hinter vorgehaltener Hand, die "Friedenstruppen der NATO würden deren Entwaffnung nicht energisch durchsetzen". Die UÇK aber will die Lostrennung Kosovas. Es ist kaum vorstellbar, wie die NATO dies verhindern will.
Der NATO-Krieg hätte damit das Gegenteil von dem erreicht, was sie die ganze Zeit erklärt. Die Pandorabüchse der Ethnisierung der Konflikte wäre erst recht aufgemacht. In Montenegro sammelt sich derzeit aus den Polizeieinheiten, die loyal zum Ministerpräsidenten und gegen die Regierung in Belgard stehen, eine monarchistische bewaffnete Truppe in den Bergen hinter der Hauptstadt Cetinje. Die Regierung Makedoniens kann sich nur halten, wenn sie die Flüchtlinge möglichst schnell wieder los wird. Die Aussichten dafür sind jedoch denkbar schlecht.
Vielleicht erweist sich die Teilung Kosovas doch noch als einziger Ausweg - und auch dies hätte man ohne Bomben haben können.
Angela Klein


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