Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.12 vom 10.06.1999, Seite 2

‘Die Leute fordern den Sturz der Regierung‘

Interview mit brasilianischem Gewerkschafter

Im Spätsommer letzten Jahres erreichte die Weltwirtschaftskriese auch Brasilien. Seit dem wird die berüchtigte Roßkur des Währungsfonds (IWF) auf das lateinamerikanische Land angewendet. Wolfgang Pomrehn sprach für die SoZ mit Josè Maria de Almeida vom Gewerkschaftsdachverband CUT über die Krise und Möglichkeiten zur Gegenwehr.

Wie wirkt sich die Wirtschaftskrise in Brasilien auf die Arbeiter aus?
Brasilien steckt derzeit in der seit Jahren schwersten Krise. Das ist icht nur eine Wirtschaftskrise sondern eine Krise des herrschenden Modells. 20%, d.h. 15 Millionen sind arbeitslos. Das Abkommen mit dem IWF verstärkt die Arbeitslosigkeit noch, u.a. weil es uns hohe Zinsen aufzwingt. Der öffentliche Dienst, vor allem das Erziehungs- und Gesundheutswesen sind fast zerstört. Mit den letzten Änderungen im Haushalt werden in diesen Sektoren 28 Milliarden Dollar eingespart, die dann an die Banken gehen.
1989 hatten wir 115 Milliarden Dollar Schulden, 1997 waren es schon 212 Milliarden. In dieser Zeit haben wir aber 260 Milliarden Dollar an Schuldendiensten bezahlt. 1999 plant die Regierung 130 Milliarden Dollar zu zahlen. Staatliche Unternehmen werden privatisiert. Z.B. soll die Telekom für 23 Milliarden Dollar verkauft werden.
Diese Situation hat im Land eine große Unruhe geschaffen. Es gibt viele Demonstrationen und die Menschen beginnen den Sturz der Regierung zu fordern. Die zentralen Forderungen sind "Cardoso raus!" und "IWF raus!"
Wenn hat das angefangen?
Das hat im März angefangen. Wir haben einKoordinationsforum geschaffen und überlegen, wie es weiter gehen soll. Mitglieder sind neben der CUT, die Bewegung der Landlosen (MST), die Arbeiterpartei (PT) die beiden Kommunistischen Parteien und die Vereinigte Sozialistische Arbeiterpartei (PSTU).
In der CUT gibt es einen Richtungsstreit darüber.
Ja, im Grunde schon seit fünf oder sechs Jahren. Die Mehrheit sagt, daß der Kampf nicht bis zum letzten gehen, d.h. die Regierung nicht gestürzt werden soll. Sie wollen die Wahlen im Jahre 2002 abwarten. Die Minderheit andererseits setzt auf die Proteste und organisiert die Demos.
Es gibt in der CUT vier Strömungen. Da ist zum einen die Mehrheit, die bei den letzten Wahlen 52% bekommen hat. Sie beginnen, die neoliberale Ideologie zu akzeptieren, sich anzupassen. Das ist ein sehr versteckter Prozeß. Diese Leute haben eine lange Kampftradition. Die stellen sich nicht öffentlich hin und sagen, daß sie für den Neoliberalismus sind. Aber andererseits unterschreiben sie Abkommen, die dieser Politik entgegen kommen, z.B. in der Frage der Flexibilisierung.
Die anderen drei Strömungen haben den gemeinsamen Nenner der Gegenwehr gegen die neoliberale Politik. Dabei hat eine Strömung, die der gesellschaftlichen Klassenbewegung, die von der exmaoistischen PCdoB unterstützt wird, eher eine Vermittlerposition. Man kann also sagen, daß etwa 35% des CUT-Vorstandes eine sehr konsequente Position gegen den Neoliberalismus, gegen Flexibilisierung und den Abbau von Arbeiterrechten einnimmt.
Weltweit haben die Arbeiter unter neoliberalen Konzepten zu leiden.
Ja, die Probleme sind wirklich überall sehr ähnlich. Ich denke daher, daß die Globalisierung nach einer internationalen Koordination der Arbeiter verlangt.
Dafür sind zwei Dinge notwendig: Zum einen müssen wir uns auf die Ablehnung des Neoliberalismus einigen. Zum anderen brauchen wir etwas, das uns in die Lage versetz, Kontakt miteinander aufzunehmen. Auf der ganzen Welt gibt es viele Gruppen, die gegen den Neoliberalismus kämpfen. Und es gibt keinen, der diese Kämpfe vereinigen würde. Die Zentrale der Internationalen Gewerkschaftsverbände sind in den Händen von Neoliberalen.
Wie könnte das konkret aussehen?
Wir sind da sehr offen. In erster Linie ist das eine Idee, die mit sehr vielen diskutiert werden muß. Wir denken, daß wir ein Zentrum benötigen, in dem die Informationen gesammelt werden und von dort wieder verteilt werden. Ich denke, daß die Form zweitrangig ist.
Zunächst muß der Inhalt geklärt werden, auf dem eine Organisation aufbauen könnte.


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