Öcalans Verteidigungsstrategie - Ein Hohn auf die Kämpfer
Sozialistische Zeitung |
Öcalan hat die PKK dazu aufgerufen, einen Friedenskongreß der Partei einzuberufen. Von der
türkischen Regierung verlangt er positive Signale - einen Aufruf zum Frieden. Während Öcalans Verteidiger aus Protest
gegen Bedrohungen nicht zum Prozeß erscheinen, erklärte ihr Mandant vor Gericht, weder er noch seine Anwälte seien
schlecht behandelt worden. Rußland und Italien hätten ihn nicht als Mensch behandelt, die Türkei aber sei ihm respektvoll
begegnet.
Immer wieder wechseln Aussagebereitschaft, Entschuldigungen, Zugeständnisse und Unterwerfungsrituale gegenüber der
Staatsmacht mit klaren Forderungen an die türkische Seite, Schritte zu einer politischen Lösung einzuleiten. "Osmanische
Verteidigungsstrategie" nannte ein vormals ebenfalls zum Tode Verurteilter die Verteidigungsstrategie Öcalans im
Zwiegespräch. "Öcalan geht einen Schritt zurück, um dem türkischen Staat das Gefühl zu geben, gesiegt zu
haben, um im Anschluß daran zwei Schritte nach vorn zu gehen." Dies muß wohl die Absicht zu sein, die sich hinter dem nur
schwer verständlichen Verhalten des PKK-Vorsitzenden verbirgt. Öcalan glaubt, trickreich zu verhandeln. Allein es fehlt der Staat,
der gewillt wäre, eine politische Lösung herbeizuführen. Öcalan steht unter großem Druck, und der Weg, den
Prozeß zu ignorieren und das Gericht als Projektionsfläche für Vorschläge für eine politische Lösung zu
nutzen, scheint ihm der einzige, der ihm bleibt.
Daß sich jedoch seine Organisation auch dann noch vorbehaltlos hinter ihn stellt, wenn er erklärt, die Türkei sei ein
demokratischer Staat, läßt Zweifel an einem ernsthaften politischen Veränderungswillen der PKK aufkommen. Alle Signale
von türkischer Seite weisen auf die Absicht, den kurdischen Aufstand niederzuwerfen. Die Geschichte hält zahlreiche Beispiele
für ähnliches Vorgehens bereit. Es scheint, als habe die PKK beschlossen, die Forderungen der Geiselnehmer nach Unterwerfung
zu erfüllen. Wenn es nun möglich ist, unter Bezugnahme auf den ehemaligen Staatsfeind Nr.1 zu behaupten, daß alle
türkischen Anschuldigungen gegen die kurdische Seite berechtigt waren; daß die PKK Ursache und nicht Folge des Konflikts ist;
daß ihr Ursprung nicht in der Unterdrückung, sondern in einer verblendeten marxitisch-leninistischen Ideologie liegt, daß sie
vom europäischen Ausland gesteuert wird und die zivile Opposition in der Türkei nichts weiter als Vorfeldorganisationen der
Partei darstellt, daß es in der Türkei weder ein Demokratie- noch ein Menschenrechtsproblem gibt, nur ein historisches
Mißverständnis - so kommt dies nicht nur einer Verhöhnung all derer gleich, die in den vergangenen Jahren ihr Leben riskiert
und vielfach verloren haben, die gefangen und für jene Ziele gefoltert wurden, die nunmehr negiert werden. Öcalans
Verteidigungsstrategie fällt auch all jenen in den Rücken, die nach wie vor auf zivilem Wege versuchen, die Verbrechen des
türkischen Staates anzuklagen und für Gerechtigkeit und eine menschenwürdige Zukunft der kurdischen und der
türkischen Menschen zu kämpfen.