Sozialistische Zeitung |
Reichlich bunt war Köln in diesen Gipfeltagen, sieht man einmal von der Gegend um den Dom ab. Dort
herrschte eher ein uniformes Grün vor. Weite Teile der Altstadt waren zeitweise abgesperrt, damit die Großen Europas
ungestört unsere Zukunft verplanen konnten.
Ganz anders im Norden und Westen der alten Rheinmetropole, wo sich ein nicht unwesentlicher Teil der sozialen Bewegungen Westeuropas zu
Gegengipfel und -demonstration traf. Demonstriert wurde diesmal schon bevor die internationale Herrenrunde zur Verteilung der Beute
zusammenkam. Deutschlands demoerfahrener Außenminister hatte nämlich das Regierungstreffen eigens um einen Tag vorverlegen
lassen, so daß es unter der Woche stattfand, wohlwissend, daß dann eine Mobilisierung schwieriger sein würde.
Also hatte die internationale EuroMarsch-Koordination wohl oder übel zu einer Demonstration am Wochenende vor dem Gipfel aufrufen
müssen. Das war zwar in unerfreulicher zeitlicher Ferne zu dem Treffen der Adressaten der Forderungen, der Stimmung der rund 30.000
tat es jedoch keinen Abbruch. Die war kämpferisch, sieht man mal von einigen Wehrmuttropfen ab, die Polizeiprovokationen und die
uneinheitliche Antwort der Demonstration darauf verursachten.
Aus allen Ecken Europas waren sie gekommen: Italienische Basisgewerkschafter, griechische Eisenbahner, schwedische und spanische
Anarchosyndikalisten, irische Erwerbslose, belgische Einwanderer, ein starker kurdischer Block, um nur einige wenige zu nennen. In
zahlreichen Parolen und auf vielen Transparenten stand die Forderung nach Schluß des Krieges im Fordergrund. Selbst die "Partei
der italienischen Kommunisten", eine reformistische Abspaltung von Rifondazione Comunista und an der Regierung in Rom beteiligt,
demonstrierte gegen den Krieg. Die Sozialen Zentren Italiens hatten angekündigt, sie würden nicht so stark wie geplant nach
Köln mobilisieren können, da sie sich auf Aktionen gegen den Krieg konzentrierten. Dennoch gehörten die italienischen
Blöcke zu den größten und lautesten.
Offensichtlich wurde allerdings die Schwäche der französichen Antikriegsbewegung. In den ebenfalls großen
französischen Blöcken (Arbeitslose von AC!, SUD-Gewerkschaften u.a.) spielte der Krieg kaum eine Rolle. Auch auf dem
später stattfindenden Gegengipfel war das Unverständnis manches Teilnehmers aus dem Nachbarland deutlich zu
spüren.
Besonders erfreulich hingegen war die Teilnahme von indischen Kleinbauern, die gerade mit der Interkontinentalen Karawaene unterwegs
durch Westeuropa sind. "Down, down with WTO", riefen sie immer wieder, um gegen Freihandel und Deregulierung zu
protestieren, die die reichen Länder mit der Welthandelsorganisation (WTO) durchgesetzt haben. Sie sind Vertreter der
Bauernorganisation KRRS und werden mit dem Rest der Karawane nocheinmal zum G8-Gipfel in Köln sein.
Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern war von deutscher Seite die Beteiligung der Gewerkschaften eher dürftig. Einzig die
Gewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten (NGG) war zahlreich erschienen, nicht zuletzt deshalb, weil das Thema
"prekäre Beschäftigung" für sie täglich auf der Tagesordnung steht. Die NGG bemüht sich inzwischen
seit Jahren mit einigem Erfolg, die Beschäftigten bei McDonalds zu organisieren und dürfte damit die einzige Gewerkschaft in
Deutschland sein, die sich intensiv um den Niedriglohnsektor kümmert.
In einer Ansprache an die Demonstrationsteilnehmer forderte der NGG-Vorsitzende Franz-Josef Möllenberg
"beschäftigungswirksame Arbeitszeitverkürzung ohne Lohneinbußen in ganz Europa". Ein existenzsicherndes
Einkommen sowie tariflich abgesichert und entlohnte Arbeitsplätze müßten her, so Möllenberg, der sich damit auch
klar vom geplanten "Beschäftigungspakt" der Regierungen abgrenzte.
Einige Mißstimmung kam auf, nach dem die Polizei in einem offensichtlich geplanten provokativem Akt einen Teil der Demonstration
aufgehalten hatte. Ziel der uniformierten Rambos war der Antifaschistische Block und der Lautsprecherwagen der Antifaschistischen Aktion.
Die Demo wurde durch diese Aktion vollkommen auseinandergerissen, da sich die Spitze aus französichen und spanischen
Anarchosyndikalisten von der Demoleitung nicht aufhalten ließ, um auf den Rest zu warten. Wäre der ganze Zug stehen geblieben,
wäre die Polizeiprovokation sicherlich schneller aufzulösen gewesen. Mancher, der vorne mitlief, hat erst am Ort der
Abschlußkundegbung von der Einkesselung erfahren. Entsprechend sauer reagierten einige auf die Demoleitung, nicht wissend, daß
die ihr Möglichstes getan hatte. Den Teilnehmern an der Spitze muß man wahrscheinlich zu Gute halten, daß sie derartige
Polizeitaktiken aus ihren Ländern nicht kannten und daher die Situation nicht nachvollziehen konnten.
Aber das sind wahrscheinlich Dinge, die zu einem notwendigen Lernprozeß gehören, denn schließlich sind derartig
international zusammengesetzte Demonstrationen noch kein Alltag.
Rund 12.000 Polizisten versetzten während des Gipfels und den Tagen davor Teile Kölns praktisch in den Ausnahmezusatnd. Ein
dearartiger Aufwand verlangt natürlich nach Rechtfertigung. Die Einsatzleitung nahm daher jede sich bietende Gelegenheit wahr, gegen
Protestaktionen massiv vorzugehen. Anlässe gab es genug, denn Hunderte, wenn nicht gar einige tausend blieben nach der Demonstration
in der Stadt. Am Mittwochabend wurde z.B. eine harmlose spontane Straßenparty von bayrischen Sondereinsatzkommandos
aufgelöst.
Schwarzuniformiert, in Plastikrüstung und mit Gesichtsmasken gingen die Beamten äußerst ruppig gegen die vielleicht
zweihundert Teilnehmer vor. "Die haben einfach angefangen uns zu schubsen und zu schlagen", empört sich eine
französische Augenzeugin.
Auch andere ausländische Gäste bekamen einen Eindruck von deutscher Gastfreundschaft. Einige Dutzend Arbeitslose aus
verschiedenen Ländern statteten am Mittwochnachmittag dem örtlichen Büro der niederländischen Zeitarbeitsfirma
Randstad einen Besuch ab. Ein Teil der Gruppe hielt im Treppenhaus des Gebäudes eine Vorlesung über das sogenannte
Poldermodell ab, mit dem in den Niederlanden Arbeitslose in schlecht abgesicherte Billigjobs gezwungen werden. Während wiederholt
betont wurde, daß es sich um keine Besetzung handele, drangen Polizeibeamte in das Gebäude ein und nahmen alle Anwesenden
für mehrere Stunden fest - darunter auch ein Kölner Fotojournalist und ein SoZ-Mitarbeiter, die beide ihre Akkreditierungskarten
für den offiziellen Gipfel deutlich sichtbar trugen. Wie den 26 anderen Festgenommenen wurden ihnen die Hände mit Plastikfesseln
auf den Rücken gebunden.
"Bedauerlicherweise war den einschreitenden Beamten der Status der beiden Journalisten zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt",
hieß es später in einer Erklärung der Polizei. "Nachdem sie im Verlauf der polzieilichen Maßnahmen als
Pressevertreter erkannt worden waren, wurden sie umgehend entlassen." Immerhin zwei Stunden hatten die Beamten zum Lesen der drei
Zeilen auf der Akkreditierung gebraucht.
Der Notstand im europäischen Bildungswesen war auch eines der Themen des Alternativgipfels, der sich von Sonntag bis Mittwoch traf.
Organisiert hatten ihn u.a. der "freie zusammenschluß der studierendenschaften" (fzs), das Grün-Alternative
Jugendbündnis und die EuroMarsch-Koordination. 300-400 Teilnehmer diskutierten über Themen, die von gewerkschaftlicher
Solidarität in Zeitten der Globalisierung, Atompolitik der EU in Osteuropa, Flüchtlinge in der Festung Europa bis zur
Bildungspolitik reichten. Mit der Föderation Junger Europäischer Grüner konnte über die sozialen Folgen der EU-
Osterweiterung diskutiert werden. Mehrere Referenten aus Osteuropa waren hierzu angereist. Allerdings bildeten die leider die Ausnahme. Die
Überwiegende Zahl der Referenten und Teilnehmer kam aus den Staaten der Union. Großen Raum nahm natürlich das
Erwerbslosenparlament (siehe Interview in dieser Ausgabe) ein, das im Rahmen des Gegengipfels tagte.
Auch der Krieg gegen Jugoslawien wurde in verschiedenen Arbeitsgruppen thematisiert. Einige griechische Teilnehmer hatten eine Ad-hoc-
Runde angeregt, auf der sie einen Aufruf der Bürger Thessalonikis vorstellten. Auf einem Forum des Chemiekreises, einer Gruppe
oppositioneller Gewerkschafter, wurde von einer Delegationsreise nach Jugoslawien berichtet. "Die dortigen Gewerkschaften", so
Hans Werner Kraus vom Chemiekreis, "sind bis auf wenige Kontakte nach Italien und Griechenland vollkommen isoliert. 1991 wurde von
deutscher Seite der Kontakt abgebrochen." Die Botschaft, die er von den jugoslawischen Arbeiter mitbrachte: "Vergeßt uns
nicht!"
Auf dem Bildungsforum des fzs tauschten sich Studierende aus ganz Europa, Burma, Indonesien und Ghana über die Bedingungen in ihren
Ländern aus, die überall durch Privatisierung und Geldknappheit geprägt sind. Besonders in den osteuropäischen und
südlichen Ländern hat, der Zerfall des Bildungswesen inzwischen dramatische Ausmaße angenommen. Mancherorts ist gar
der Analphabetismus wieder auf dem Vormarsch. Hinzu kommt politische Repression. Ein Vertreter der All Burma Student Front berichtete,
daß sich sein Verband nach schweren Rückschlägen Mitte der 90er Jahre nun reorganisiert habe. Im September will man mit
landesweiten Protestaktionen das Militärregime wieder herausfordern. Studenten aus aller Welt sind eingeladen, ihre Kommilitonen
dabei zu unterstützen.
In der Europäischen Union schlagen sich indes die Studenten mit dem zunehmenden Einfluß der Industrie auf die Hochschulen rum.
Britische Vertreter berichten, daß sie kaum einen Unterschied zwischen Thatcher und Blair ausmachen können. Große
Unternehmen würden heute unmittelbar in die Universitäten hineinregieren. Auf EU-Ebene nimmt der Europäische Runde
Tisch der Industrie, eine Vereinigung der Großkonzerne der EU, direkten Einfluß auf die Brüsseler Kommission und die
Europäische Rektorenkonferenz, um die Vorstellungen der Wirtschaft in den Lehrplänen durchzusetzen. "Hier in
Köln", so Ingo Jäger vom Internationalen Studentenbund, "ist mal wieder deutlich geworden, daß wo man auch
hinschaut, ob Rußland, Indonesien, Ghana, Frankreich oder Deutschland, die Mitbestimmungsrechte der Studierenden minimal sind. Die
Verantwortung für die Bildung wird individualisiert und die Studenten in ein Wettrennen gegeneinander getrieben." Da müsse
die Dynamik rausgenommen und Bildung wieder als Recht, statt als Privileg angesehen werden.
Die Organisatoren zogen eine überwiegend postive Bilanz des Gegengipfels. Für Andreas Gebhard von der Grün-
Alternativen Jugend sind die wichtigsten Resultate die Ablehnung der Privatisierung des Bildungssektors und der Militarisierung der EU sowie
die Kritik an der Osterweiterung, die mit der Agenda 2000 zu einer Zwei-Klassen-EU führe.
Nach Demonstration, Aktionen und drei Tagen Diskussion war offensichtlich am Mittwoch bei den meisten die Luft raus. Nur auf sehr
mäßiges Interesse stieß eine sogenannte Schanierveranstaltung, die die Verbindung zum anschließenden
"linksradikalen" Gegenkongreß schaffen sollte. Die geringe Beteiligung mag aber auch daran gelegen haben, daß sich
unter dem Thema "soziale Frage oder Klassenkampf" keiner so recht etwas vorstellen konnte; oder auch daran, daß nur auf
deutsch eingeladen wurde. Überhaupt waren die anschließenden Aktivitäten eine eher deutsche Angelegenheit.
Am Donnerstag gab es eine bundesweite "linksradikale" Demonstration, zu der u.a. die Ökologische Linke aufgerufen hatte.
Inhaltlich war für den unbefangenen Beobachter kaum ein Unterschiede auszumachen, außer vielleicht, daß (fast) reindeutsch
antideutsch demonstriert wurde.
Wolfgang Pomrehn