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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.12 vom 10.06.1999, Seite 5

Balkanstabilitätspakt

Wer zahlt bestimmt

In Bonn, London, Washington und den anderen Hauptstädten der NATO-Aggressoren macht man sich Gedanken über die Nachkriegsordnung des Balkans. "Stabilitätspakt" heißt das Zauberwort. Wo hin die Reise gehen soll, machte Außenminister Fischer in dankenswerter Offenheit klar. Ende Mai verkündete er auf dem Bonner Petersberg, eben dort, wo schon das Münchener-Abkommen ausgehandelt worden war, seinen Kollegen aus der G8: "Wir müssen heute für Südeuropa tun, was nach 1945 für den Westen und nach 1989 für den Osten unseres Kontinents getan wurde, nämlich einen Weg zu eröffnen, der durch die Schaffung stabiler Voraussetzungen für Demokratie, Marktwirtschaft und regionale Zusammenarbeit sowie durch die Nachhaltige Verankerung der Staaten in den euroatlantischen Strukturen die Region dauerhaft befriedet." Das dürfte dann wohl so eine Art Pax-Germanica werden: Friede herrscht, wenn alles dem eigenen (deutschen) Einfluß unterworfen ist.
Wir erinnern uns kurz daran, was nach dem Zusammenbruch erst des Warschauer Paktes und dann der Sowjetunion auf ökonomischem Gebiet geschah. Langjährige Wirtschaftsbeziehungen wurden zerstört, der Handel Ostdeutschlands, Polens, der baltischen und anderer Staaten mit Rußland ging drastisch zurück. Die Lücke füllten westliche Unternehmen.
Die Folge vor allem in Rußland, aber z.B. auch in Ostdeutschland war Deindustrialisierung. In Polen hat aufgrund der billigen Importe aus der EU ein Bauernsterben begonnen.
Ein Strategiepapier des Außenministeriums, daß der Vorbereitung der Gespräche über den Stabilitätspakt dient, zeigt, daß derartige Vergleiche nicht an den Haaren herbeigezogen sind (nachzuelesen auf der Homepage des Ministeriums):
"II. Unsere Interessenlage:
Unsere Interessen in Südeuropa sind weitgehend gleichgerichtet mit denen unserer Partner. Sie manifestieren sich vor allem in folgenden Bereichen:
- Eindämmung gewaltsamer Konflikte als Voraussetzung für nachhaltige Stabilität in Gesamteuropa,
- Verhinderung von Armuts-, Kriegs- und Bürgerkriegsmigration,
- Verwurzelung von Demokratie, Menschen- und Minderheitenrechten als Ziel wertegeleiteter Außenpolitik,
- Aufbau marktwirtschaftlicher Strukturen mit stabilem Wirtschaftswachstum zum Abbau des Wohlstandsgefälles in Europa,
Wirtschaftsinteressen (ausbaufähige Absatzmärkte, Investitionsstandorte).
- Zusammenhalt und Glaubwürdigkeit internationaler Organisationen, in denen wir eine aktive Rolle spielen (EU, NATO, OSZE, VN)."
Man beachte die Reihenfolge.
Wie selbstverständlich wird also davon ausgegangen, daß EU und NATO den Balkanstaaten das politsche und wirtschaftliche System vorschreiben werden. Das geht bis ins Detail: "Der Stabilisierungsprozeß muß durch den Aufbau und die Stärkung konkurrenzfähiger und international vernetzter privatwirtschaftlicher Strukturen in der Region begleitet werden. Dies beinhaltet u.a. Unterstützung beim Aufbau eines leistungsfähigen privaten Mittelstandes Förderung der Privatisierung…" (Alle Zitate aus dem oben erwähnten Papier, das vom 9.4.99 datiert.)
Wer sich diesem Diktat brav unterwirft, bekommt Aufbauhilfe und wird vielleicht am Ende eines langen Weges in die EU aufgenommen. Das würde zumindest eine gewisse Mindestalimentierung sichern, wenn sich bis dahin nicht Stoiber und Schröder mit ihrer Forderung nach Subsidarität durchgesetzt haben. Subsidarität heißt in diesem Fall, daß jede Region ihre Ausgaben selbst aufbringen muß.
Wer nicht brav ist, bekommt eine jugoslawische Lehre erteilt: "So wird das Konfliktmanagement der internationalen Gemeinschaft in den Krisenländern der Region weiterhin darauf angewiesen sein, Blutvergießen mit der Androhung und - als letztem Mittel - mit dem Einsatz von Gewalt abzuwenden. Das militärische Potential der NATO bleibt damit für die Glaubwürdigkeit westlicher Diplomatie in der Region unverzichtbar."
Um die Aufbauhilfe zu mobilisieren und zu verteilen, soll eine Geberkonferenz einberufen werden. Europäische Kommission und Weltbank prüfen dafür derzeit die finanziellen und personellen Ressourcen und Bedarf. Während in der PDS schon einige hochrangige Populisten davor warnen, Deutschland müsse das alles zahlen, reißen sich andere genau darum: "Der Europäische Rat spricht sich entschlossen dafür aus, daß die Europäische Union als treibende Kraft bei der Umsetzung des Stabilitätspakts wirkt", heißt es in der Erklärung der EU-Präsidentschaft, d.h. der Bundesregierung, zum Abschluß des Kölner Gipfels. Oder wie Schröder gegenüber dem WDR formulierte: Der Wiederaufbau des Balkans sei Sache der EU, deshalb "werden auch wir das Sagen haben".
Die Geberkonferenz soll nach deutschen Vorstellungen ein "Regionaltisch Südosteuropa" begleiten, an dem als ein Punkt unter Vieren auch "Minderheiten- und Grenzfragen" verhandelt werden sollen (Strategiepapier). Zwar weist man den Gedanken an eine "Balkankonferenz im Stile des 19.Jahrhunderts" (auf der die imperialistischen Staaten einst die Grenzen gezogen haben) weit von sich, doch der Verdacht liegt ziemlich nahe, daß Deutschland genau daran denkt: eine Grenzrevision. Es bleibt abzuwarten, ob die Interessen der NATO-Partner diesbezüglich wirklich "weitgehend gleichgerichtet" sind.
Interessant ist auch, wie man im Zusammenhang mit dem Stabilitätspakt Jugoslawien zu behandeln gedenkt. Nach der genannten Erklärung der Bundesregierung wurde in Köln beschlossen, die jugoslawische Regierung zunächst vor der Tür zu lassen. Ihre Teilnahme "wird zu gegebener Zeit geprüft werden, sobald die Bundesrepublik Jugoslawien die Bedingungen der internationalen Gemeinschaft für das Kosovo erfüllt hat." Gleichzeitig soll aber Montenegro von Anfang an mit einbezogen werden: "Die Europäische Union wird alles daran setzen, um die Republik Montenegro unter ihrer demokratischen Regierung zu unterstützen und sie von Anfang an zu einem Begünstigten des Stabilitätsprozesses zu machen." Daß das schon kurzfristig die beiden Landesteile Montenegro und Serbien weiter auseinander treibt, liegt auf der Hand. Neue Konflikte werden also bereits vorprogramiert.
Das zeichnet sich auch für den Kosovo ab, der ebenfalls eine Vorzugsbehandlung bekommt. Und auch hier legt die EU Wert darauf, den Zahlmeister zu spielen: "Der Europäische Rat bekräftigt die Zusage der Europäischen Union, bei den Aufbaubemühungen im Kosovo eine führende Rolle zu übernehmen…", wurde in Köln beschlossen. Denn wer zahlt bestimmt, und zwar im Kosovo ganz direkt: "Zu diesem Zweck muß eine mit klaren Zuständigkeiten ausgestattete und effiziente Übergangsverwaltung der Provinz im Rahmen der politischen Lösung geschaffen werden. Diese Verwaltung, mit deren Leitung die Europäische Union beauftragt werden könnte, muß die Autorität und die Fähigkeit haben, als Partner der Völkergemeinschaft zu handeln…" Die einzige Frage ist eigentlich noch, ob man in Washington damit einverstanden sein wird, daß die Europäer die Früchte des Krieges ernten.
Wolfgang Pomrehn


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