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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.12 vom 10.06.1999, Seite 6

International gegen Globalisierung

Der Chemiekreis auf dem EU-Alternativgipfel

Im Rahmen des Kölner EU-Alternativgipfels fand auch ein Forum statt, zu dem der "Chemiekreis", eine Koordination linker und oppositioneller ChemiekollegInnen, gemeinsam mit TIE (Trans International Exchange) eingeladen hatte. Aus (fast) allen Kontinenten waren kritische GewerkschafterInnen gekommen, um den Blick über europäischen Rahmen hinaus zu richten.

Gekommen waren César Carillo, bis zu seiner Verhaftung Vorsitzender der Unión Sindical Obrera (USO, Gewerkschaft der Erdölarbeiter Kolumbiens), jetzt im Exil in Madrid; Kim Moody, Mitarbeiter von Labor Notes, einer linken oppositionellen Gewerkschaftszeitung in den USA; Herbert Jauch vom Labor Resource and Research Institute (LaRRI) in Windhoek, Namibia, der über das südliche Afrika sprach; Berta Lujan von Frente Autentico de los Trabajadores, Mexiko; José Maria Almeida vom Gewerkschaftsdachverband CUT aus São Paulo, Brasilien; und Waleri Popow vom Motorenwerk Tutajew in Jaroslawl, Sprecher des Streikkomitees und unabhängiger Kandidat für die nächsten Duma-Wahlen.
Die sechs Gäste prägten mit ihren spannenden und zum Nachdenken anregenden Diskussionsbeiträgen die Veranstaltung. Aber zunächst gab es einen Bericht von der Reise einer Gewerkschafterdelegation nach Jugoslawien, an der auch ein Mitglied des Chemiekreises teilgenommen hatte. In sehr bewegenden Worten sprach Hans Werner Krauss (Betriebsrat, ehem. Hoechst AG) von seinen Eindrücken.
"Es fällt mir schwer, über das Leid in Jugoslawien zu sprechen. Serbien wird durch die strukturelle Zerstörung jede Zukunft genommen." Als besonderes Leid wird die totale Isolierung vom Rest der Welt empfunden. Gerade der Anspruch der jugoslawischen Opposition, für ",westlichen Werte‘ zu streiten, wird durch die NATO-Bomben zunichte gemacht! Es muß die Aufgabe der internationalistischen Gewerkschafter sein, immer wieder öffentlich das sofortige Ende der Bombenangriffe zu fordern."
Die Veranstaltungsteilnehmer forderten das sofortige Ende der Bombenangriffe, aber auch der Vertreibung aus dem Kosovo.
Beeindruckend der Bericht des aus seiner Heimat geflohenen kolumbianischen Gewerkschafters César Carillo, der wegen der gegen ihn ergangenen Todesdrohungen ins Exil ging. Beinahe jeden zweiten Tag wird in Kolumbien ein Gewerkschafter getötet. Aktivistinnen und Aktivisten aus Betrieben und Gewerkschaften, Menschenrechtsorganisationen und andere Oppositionelle sind die bevorzugten Opfer von Todesschwadronen und Paramilitärs.
Diese Truppen werden unter anderem von Texaco und British Petroleum finanziert, um die Bodenschätze des Landes auszubeuten. Streiks sind verboten, weil alle Wirtschaftsbereiche zum "öffentlichen Dienst" erklärt werden und die Opposition unter dem Vorwurf des Terrorismus verfolgt wird. Tausende von Toten jedes Jahr, von deren Mördern 90 Prozent straffrei bleiben, zeigen, unter welchen Umständen in diesem Land Gewerkschaftsarbeit gemacht werden muß, wenn sie sich nicht mit Unterdrückung und Ausbeutung abfinden will.
Berta Lujan machte darauf aufmerksam, daß Mexiko mit der Europäischen Union ein Freihandelsabkommen schließen will, das nach den Erfahrungen mit der NAFTA zur Verschärfung des Elends von 20 Millionen Menschen, vor allem Indios, führen wird. Das früher geplante MAI-Abkommen würde in "geklonter" Form erneut hinter den Kulissen verhandelt. Sie schlug vor, auch in Europa eine Opposition gegen den Vertragsentwurf zu bilden, die mit den mexikanischen NGOs zusammenarbeiten sollte.
Herbert Jauch aus Namibia berichtete anschaulich über die Schuldenfalle und die schlimmen Auswirkungen der sog. "Strukturanpassungsprogramme" des Internationalen Währungsfonds (IWF) in den armen Ländern Afrikas. Bei den meisten dieser Länder haben sich die Schulden innerhalb der letzten zehn Jahre verdoppelt oder sogar verdreifacht, obwohl sie zum Teil doppelt oder dreimal so viel zurückgezahlt haben wie geliehen. Mit ihren Exporten können sie die Auslandsschulden nicht mehr zurückzahlen. Der IWF macht Auflagen, in den öffentlichen Haushalten die Sozial- oder Bildungsausgaben zu kürzen, um die Schulden bedienen zu können.
Aus Brasilien berichtete José Maria Almeida von der Gewerkschaftsopposition, die in der Metallarbeitergewerkschaft auf über 40 Prozent der Delegierten kommt. Sie richtet sich gegen die Beteiligung der Gewerkschaften an der sog. Umstrukturierung, die mit der Preisgabe von jahrelangen Rechten der Belegschaften verbunden ist.
Die Opposition akzeptiert nicht die neoliberale Orientierung des Internationalen Bunds Freier Gewerkschaften (IBFG) und mobilisiert gegen die Folgen der Globalisierung, die auch die BrasilianerInnen erfahren, vor allem bei Landbesetzungen, aber auch bei Streiks und Demonstrationen gegen Entlassungen.
Almeida forderte die weltweite Zusammenarbeit der Gewerkschaftsopposition; sie müßten eine Alternative zum Markt und zur Globalisierung schaffen. Die alten Instrumente der Gewerkschaften seien stumpf geworden.
Aus den USA sprach Kim Moody vom linken Gewerkschaftsflügel und der Zeitschrift Labor Notes. Er betonte, der Krieg sei kein Fehler, sondern die Konsequenz der Globalisierung, seine Folgen seien an jedem Arbeitsplatz in allen Ländern zu spüren, auch und gerade in den Kernländern der global operierenden Konzerne. Die Opposition wendet sich gegen die Vorstellung, die Gewerkschaftsführung müsse "Partner" bei dem Prozeß der "Modernisierung" sein. Die Opposition müsse von der Basis her aufgebaut werden, wie der erfolgreiche UPS-Streik gezeigt hätte.
Auch die neue, "linkere" Führung des gewerkschaftlichen Dachverbands AFL/CIO sei für die Fortsetzung des Embargos gegen Kuba und für den Krieg der NATO im Kosovo; sie betreibe nicht den erforderlichen "Graswurzelinternationalismus". Kim Moody rief die Anwesenden auf, die Opposition von unten zu stärken: "Ihr seid die Führer, die ihr sucht!"
Waleri Popow aus Jaroslawl berichtete über die Stimmung, die der Kosovo-Krieg in Rußland geschaffen hat, und verlas eine "Botschaft an die Arbeiterinnen und Arbeiter in Europa und in den USA" gegen den Krieg in Jugoslawien. "Wir schlagen vor, daß ihr euch in Fabriken, Wohnvierteln und Gewerkschaften versammelt. Wir schlagen vor, daß ihr Demonstrationen und Kundgebungen an Stützpunkten organisiert, um die Flugzeuge, die Tausende von Menschen töten werden, zu stoppen. Organisiert Demonstrationen an Häfen, von denen die Flugzeugträger starten... Wir, die russischen Arbeiterinnen und Arbeiter, wissen, daß die NATO mit ihrem brutalen Angriff eine Konfrontation geschaffen hat, die unser Land und ganz Europa trifft ... Heute wissen wir, daß hinter der patriotischen Demagogie des Premierministers Primakow ... der IWF steht. Das bedeutet mehr Hunger und Elend für uns alle."
Anschließend berichtete Waleri Popow über die Streikbewegung in seiner Fabrik und seinem Land, die sich nicht nur wegen der ausstehenden Lohnzahlungen so entfaltet habe, sondern weil immer mehr Menschen verstünden, daß das eigentliche Problem die Politik und Regierung Jelzins seien.
Die Führung hat bei den Belegschaften das Vertrauen verloren. Seine Kollegen schleppten während des Streiks 1998 ein Stück Schiene nach Moskau, weil Jelzin versprochen hatte, wenn er die Interessen der arbeitenden Menschen nicht beachte, würde er sich auf die Schienen legen.
Nun seien 10 Millionen Menschen arbeitslos, es gebe erhebliche Mängel bei der Versorgung, so daß seine Kollegen teilweise zehn, zwanzig Kilometer am Tag aufs Land führen, um sich mit Lebensmitteln aus kleinen Gärten zu versorgen. Die Privatisierung der Fabriken hätte zum Diebstahl der neuen Fabrikdirektoren an Löhnen und Sachwerten geführt.
In der Maschinenfabrik TMZ hat sich deswegen eine autonome Streikbewegung und Gewerkschaft gebildet. Dort ist es gelungen, die Leitung der Fabrik durch ein Streikkomitee zu wählen, um die Geldmittel und die Produktion der Fabrik kontrollieren zu können. Sie bemühten sich, ihre Erfahrungen in andere Städten und Regionen zu vermitteln, Kontakte zu Bergleuten auszubauen und autonome Gewerkschaften zu fördern. Popow selbst will als Unabhängiger zur Duma kandidieren, um die Stimme der Basis auch dort zu erheben.
Die Berichte und Diskussionen auf diesem Forum haben die Bestrebungen, international gegen die Folgen der Globalisierung vorzugehen, befördert; sie sollten von der hiesigen Gewerkschaftsopposition verstärkt fortgesetzt werden.
Die Teilnehmer reisten danach noch zu weiteren Veranstaltungen durch die Bundesrepublik. So kamen Waleri Popow, José Maria Almeida und César Carillo auch nach Dortmund, um über die Lage in Südamerika und Rußland zu berichten und sich mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Ruhrgebiet zu treffen. Bergleute spendeten für die Unterstützung der russischen Kumpel. Die Veranstaltungsteilnehmer des "Arbeitskreis International der IG Medien" beschlossen eine Protestresolution gegen die Unterdrückung der kolumbianischen Gewerkschaftskollegen.
Adam Reuleaux


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