Sozialistische Zeitung |
Seit dem 1.Mai 1999 ist der Amsterdamer Vertrag in Kraft. Dieser beinhaltet eine bemerkenswerte
umweltpolitische Komponente: zu den sieben politischen Grundsätzen der EU gehört nun auch, daß bei der Festlegung und
bei der Durchführung anderer Gemeinschaftspolitiken die Erfordernisse des Umweltschutzes einbezogen werden müssen. Dies soll
vor allem zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung beitragen.
Bereits seit 1987 ist dieses umweltpolitische Integrationsprinzip in den EU-Verträgen enthalten, jedoch noch nie an solch prominenter
Stelle. Diese Entwicklung klingt positiv und begrüßenswert. Papier ist aber bekanntlich geduldig. Allein von der politischen
Aufwertung der Umweltpolitik werden keine direkten umweltrechtlichen Initiativen ausgehen. Dies muß in der alltäglichen
Umsetzung dieses Prinzips geschehen.
Hierbei tritt schnell ein großes Dilemma zu Tage: das Integrationsprinzips ist nur unzureichend definiert. Unter den Mitarbeitern der
Europäischen Kommission besteht keine klare Vorstellung, was damit gemeint ist. Einer Ausdeutung jeweils nach eigenen Interessen ist
Tür und Tor geöffnet.
Diese Schwammigkeit in der Formulierung des Amsterdamer Vertrags war jedoch kein Zufall: "Niemand bekommt Helmut Kohl, Tony
Blair und Jacques Chirac dazu, sich an einen Tisch zu setzen und sich zu überlegen, wie man das Integrationsprinzip umsetzen
kann", betont Ken Collins, der Vorsitzende des Umweltausschusses des Europäischen Parlaments. Der Grund liegt für ihn auf
der Hand: "Sie sind mit dem Prinzip der Integration nicht einverstanden."
So werden im Alltag zwar eine Vielzahl von Ansätzen verfolgt, um Umwelterfordernisse in allen Bereichen zu berücksichtigen.
Bekannte Beispiele sind die Durchführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP), die Erhebung von Ökosteuern
oder freiwillige Selbstverpflichtungen der Industrie. Eine Koordination dieser unterschiedlichen Instrumente für einen abgestimmten
Einsatz findet jedoch kaum statt.
Im Gegenteil besteht sogar die "Gefahr einer Irreführung", vor der eine Mitarbeiterin der Brüsseler Bürokratie
warnt: "Man erklärt, Umweltschutz sei überall verwirklicht und beendet darüber die eigentliche Umweltpolitik."
Der Rat der Landwirtschaftsminister lieferte dafür Ende 1998 ein gutes Beispiel. Die Aufforderung, eine Strategie zu entwickeln, wie die
Integration von Umweltpolitik in die Agrarpolitik geschehen soll, erledigten die Minister durch eine Erklärung, die Belange des
Umweltschutzes seien bisher ausreichend berücksichtigt worden.
Die Brüsseler Umweltpolitiker müssen diesem Vorgehen in der Landwirtschaftspolitik ohnmächtig zusehen: "Da stehen
die Interessen so hoch, daß unser Einfluß von der Umwelt her fast Null ist", beklagt sich ein Mitarbeiter des Rates über
die schwache Position der Umweltminister. Diese seien praktisch gezwungen, "mit ganz vagen Formulierungen, die ganz
schüchterne Andeutungen für Integration sind", auf die Entscheidungen der Regierungschefs zur Agrarreform
abzuwarten.
Schon im Vorfeld bei der Formulierung von Vorschlägen in der Kommission hat die Umwelt gegenüber der Landwirtschaft einen
schweren Stand. In der Kommission haben die Landwirtschaftspolitiker ein deutlich besseres Durchsetzungsvermögen. Hinter diesen
steht die geballte europäische Agrarlobby aus agraischen Großbetrieben, der Chemieindustrie als Düngemittelproduzenten
und den Produzenten von landwirtschaftlicher Technik und deren gleichlautenden Interessen. Die Umweltpolitiker beschränken sich im
landwirtschaftlichen Sektor deshalb auf eine defensive Strategie, um zumindest in Ansätzen eine Integration von Umweltpolitik zu
erreichen.
Besser sieht es im Bereich der Industriepolitik aus. In der innerhalb der Kommission für Industriepolitik zuständigen
Generaldirektion III wurde anerkannt, daß sich Umweltschutz positiv auf die Ziele der Kostenreduktion und Effizienzsteigerung auswirken
kann. Zudem verfolgt die Industrielobby nicht immer gleichlautende Interessen und kann gegeneinander ausgespielt werden, wenn sich ein Teil
der Industrie selbst etwas von einer Umweltmaßnahme verspricht.
Das bekannteste Beispiel ist die Unterstützung der deutschen Automobilindustrie für die europaweite Einführung des
Katalysators, um so einen Anreiz für den Kauf ihrer neuen Modelle zu bewirken.
Allerdings gelang den Industriepolitikern auch eine umgekehrte Integration: sie setzten durch, daß die Berücksichtigung
umweltpolitischer Erfordernisse bei der Formulierung von Industriepolitik erst nach einer genauen Überprüfung der
ökonomischen Verhältnismäßigkeit erfolgen muß.
Es verwundert also nicht, wenn die für Umweltpolitik zuständig Generaldirektion XI versucht, Umweltpolitik als
ökonomisch sinnvoll zu verkaufen. Bei der Suche nach einer Lösung für die Reduzierung der Treibhausgase gelang es bspw.
mit dem Hinweis auf Innovations- und Effizienpotentiale, gemeinsam mit den Industrie- und Wirtschaftspolitikern einen Vorschlag zur
europaweiten Einführung von Ökosteuern auszuarbeiten.
Doch zeigte sich bald der Nachteil dieser Strategie: die Diskussion verlagerte sich weg vom ursprünglichen ökologischen Nutzen
hin zu einer rein ökonomischen Debatte über Sinn und Unsinn von Ökosteuern. In letzter Konsequenz wurde der Vorschlag
von der Mehrheit der Regierungen im Rat abgelehnt.
Solange das Konzept der Integration von Umweltpolitik in andere Politikfelder nicht mit Substanz gefüllt werden wird, dient es nur einem
"symbolischen Schaulaufen", wie Christian Hey vom Europäischen Umweltbüro meint: "Alle geben zwar vor, zu
integrieren, aber substantielle Ergebnisse sind nicht zu erkennen."
Zwar hatten sich die europäischen Regierungschefs im Juni 1998 in Cardiff erstmals wieder mit Umweltpolitik befaßt. In ihrer
Bilanz der Europäischen Umweltpolitik beschönigten sie jedoch, daß laut Europäischer Umweltagentur in den
Bereichen Klima, Ozonloch, Müll, Biodiversität, Wasser und Boden die Umweltbelastungen zugenommen haben. Eine konkrete
Umsetzung der Umweltregelungen blieb jedoch aus.
Umweltverbände und -fachpolitiker setzten deshalb große Hoffnungen auf Impulse einer rot-grünen Bundesregierung
während der deutschen Ratspräsidentschaft 1999. Doch im Schatten des Rücktritts der Kommission, der Verhandlungen um
die Agenda 2000 und zuletzt des Kosovo-Kriegs verbleibt der Umweltpolitik nicht mehr als eine Fußnote.
Vor dem Europäischen Parlament nannte Umweltminister Trittin die Weiterentwicklung einer integrierten Umweltpolitik zwar einen
Schwerpunkt der deutschen Ratspräsidentschaft. Doch besondere eigene Impulse blieben bislang aus. Deshalb verlangten die
Umweltverbände im März "mehr politische Führungskraft" von Trittin: "Wenn man Fortschritte machen
will, muß man auch etwas investieren", so der Generalsekretär des Europäischen Umweltbüros, John
Hontelez.
Wie schwierig der Stand der Umweltpolitik auch unter der rot-grünen Ratspräsidentschaft ist, wurde zuletzt Ende April beim Rat
der Industrieminister deutlich. Außer "Lippenbekenntnissen", so Hontelez, entwickelten die Industrieminister nicht die
geforderte Strategie zur Berücksichtigung von Umweltinteressen: "Statt dessen versucht der Industrierat der Umweltpolitik
Beschränkungen und Anforderungen ökonomischer Natur aufzuerlegen."
Einen Erfolg hat hat die Verankerung des Prinzips der Berücksichtigung der Umwelterfordernisse bislang allerdings gebracht: In vielen
Politikbereichen wird seitdem überhaupt erst deren Existenz bedacht. Doch ob dann tatsächlich Rücksicht auf
ökologische Belange genommen wird, steht auf einem anderen Blatt. Denn in politischen Entscheidungsprozessen setzt sich nicht das
bessere Argument, sondern das stärkere Interesse durch.
Wenn in der EU so getan wird, als ob sich ökologische Erfordernisse gleichberechtigt mit ökonomischen Interessen abwägen
ließen, steht das Ergebnis von vornherein fest: Die Erfordernisse der Umwelt haben nur eine Chance, solange sie kompatibel mit
ökonomischen Interessen sind und diese nicht weiter stören.
Das Integrationsprinzip würde nur dann ökologischen Sinn machen, wenn ökologische Argumente nicht alleine von
machtlosen Umweltpolitikern und Umweltverbänden hervorgebracht werden. Doch in absehbarer Zeit ist weder eine institutionelle
Stärkung der Umweltfachpolitiker noch eine bessere Einbindung von Umweltverbänden in den Entscheidungsprozessen zu
erwarten. Somit wird Umweltpolitik institutionell innerhalb der EU weiterhin einen schwachen Stand haben.
Statt einer Stärkung wäre sogar eine gegenteilige Entwicklung denkbar. Denn einige Beamte stellen die Existenzberechtigung einer
eigenständigen Umweltpolitik in Frage, wenn diese ohnehin in allen anderen Fachpolitiken von vornherein berücksichtigt werden
soll.
Neben einer Stärkung der institutionellen Rolle der Umweltpolitik für einen Erfolg des Integrationsprinzips wäre aber auch
notwendig, daß sich die Idee der Beachtung von Umweltinteressen in den Köpfen aller Offziellen in Brüssel verankert. Das
dies noch ein langer Weg ist, zeigt die Klage einer Kommissionsbeamtin über ihre Kolleginnen in der Umweltdirektion: "Manchmal
frage ich mich, wer hier der Ökologe ist, wenn ich mit bestimmten Menschen in der Generaldirektion XI spreche."
Das umweltpolitische Integrationsprinzip bietet so zwar einen interessanten Ansatz. Doch sollte sich niemand von der Wirkungsmacht dieses
Konzepts blenden lassen. Wenn es überhaupt Fortschritte bringen wird, dann nur in einem extrem langwierigen Prozeß, in dem
einerseits Umweltpolitik institutionell gestärkt wird und sich andererseits im Denken verankert.
Bis dahin kann sich die Europäische Politik darauf berufen, viel über ökologische Erfordernisse zu diskutieren und immer
brav an diese zu denken. Wenn es um konkrete Ergebnisse geht, wird die Umwelt als schwächeres Interesse in diesem Spiel der
Berücksichtigung aller Interessen zurückstecken müssen.
Michael Schwarz