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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.13 vom 24.06.1999, Seite 1

Betrug an Rentnern und Arbeitslosen

Derzeit kann anscheinend passieren, was will: Die Wählerinnen und Wähler können der SPD schallende Ohrfeigen verpassen, die Arbeitslosen zu Zehntausenden auf die Straße gehen, das alles ficht die Regierung nicht an. "Wir haben verstanden", meinte ein nicht übermäßig betretener Bundeskanzler nach den Europawahlen. Er muß das in Richtung Unternehmer gesagt haben, denn die Beweise für Lernfähigkeit, die sein Kabinett wenig später der Öffentlichkeit vorstellte, enthalten eigentlich nur eine Botschaft: Die Regierung fühlt sich stark genug, Arbeitslose und Rentner im sog. "Jahrhundertwerk" der Haushaltskonsolidierung frontal abzuwatschen und die Opfer, die sie von den abhängig Beschäftigten verlangt, nur notdürftig zu kaschieren.

Stichwort Arbeitslose.
Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe sollen in den beiden kommenden Jahren nur noch im Ausmaß der Preissteigerungsrate erhöht werden und sich nicht mehr an der Lohnentwicklung orientieren. Zumindest im Fall des Arbeitslosengelds ist das ein krasser Verstoß gegen das Versicherungsprinzip, das dieser Leistungsform zugrunde liegt. Schließlich bezahlen die abhängig Beschäftigten für diese Leistung mit ihren Beiträgen, die ihnen auf diese Weise geraubt werden (Einsparung: 3,5 Milliarden DM).
Die sog. "originäre" Arbeitslosenhilfe, also jene, die an Menschen gezahlt wird, die trotz Dienstzeit nie in eine Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben (z.B. Soldaten und Zivildienstleistende), soll ganz wegfallen (Einsparung: 1 Milliarde DM).
Die Beiträge, die der Bund für Arbeitslosenhilfeempfänger an die Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung zahlt, sollen sich an einer anderen Bemessungsgrenze orientieren: nicht mehr 80 Prozent des letzten, vor der Arbeitslosigkeit bezogenen Bruttogehalts, sondern die tatsächlich gezahlte, viel niedrigere Arbeitslosenhilfe soll zugrundegelegt werden (Einsparung: 5,9 Mrd. DM). Damit soll "der Anreiz zur Aufnahme von Arbeit erhöht" werden, heißt es im Haushaltsentwurf für das nächste Jahr.
Über ein Drittel der für das Jahr 2000 geplanten Einsparungen von 30 Mrd.DM sollen damit von den Arbeitslosen aufgebracht werden, deren Bezüge durch die Vermehrung der befristeten Arbeitsverträge und die Senkung des Lohnniveaus eh schon prekär geworden sind.

Stichwort Rente
Das Rentensystem wird auch ausgehebelt. Die Renten sollen die nächsten beiden Jahre nicht mehr gemäß dem Nettolohn, sondern nur noch gemäß einer vorher festgelegten Inflationsrate steigen. Für das Jahr 2000 sind 0,7% vorgesehen, für das Jahr 2001 1,6%. Damit sinkt das Rentenniveau von derzeit 70 Prozent auf 66 Prozent im Jahr 2002.
Das ist ein "Übergang" zur endgültigen Abkehr vom System der gesetzlichen Rentenversicherung. Mitte Juni rückte Arbeitsminister Riester mit noch ganz anderen Plänen heraus, die allerdings in der SPD auf Kritik stießen und deshalb noch nicht in den Haushaltsplan eingebaut wurden.
Vom Jahr 2007 an sollen alle Arbeitnehmer zwangsweise zusätzlich eine private Altersversorgung abschließen. Der Beitrag ist auf 2,5% des monatlichen Bruttogehalts festgelegt. Die gesetzliche Altersversicherung entledigt sich damit der bisherigen Verpflichtung, den Rentnern einen auskömmlichen Lebensabend zu sichern.
Damit die Beiträge zur Rentenversicherung für die Arbeitgeber nicht über 19,5% steigen - das ist die magische Linie, auf die sich die Regierung verpflichtet hat -, sollen die Arbeitnehmer den fehlenden Rest aus der eigenen Tasche dazu zahlen. Sie werden in Zukunft also doppelt zur Kasse gebeten: einmal durch die Lohnabzüge, dann durch die private Vorsorge.
Die gängigste Form der privaten Vorsorge ist die Lebensversicherung. Und siehe da: nicht zufällig wird jetzt über ihre Besteuerung diskutiert. Das wäre der dritte Griff in die Tasche, um die Gelder abzuschöpfen, die in die Sicherung des Lebensabends gesteckt werden.
Riesters innerparteiliche Kritiker bemängeln vor allem den Zwang zur privaten Vorsorge. Riester plant deshalb, sie zunächst auf freiwilliger Basis einzuführen. Dazu schreibt der Kölner Stadtanzeiger: "Gibt Riester den Zwang auf, dann hat dies gravierende Folgen für sein Rentenkonzept. Der Clou an diesem Plan ist nämlich: Wenn alle Arbeitnehmer vom Jahr 2007 an 2,5% ihres monatlichen Bruttogehalts für die Altersversorgung ansparen und damit ihr zu versteuerndes Einkommen sinkt, dann sinkt auch das durchschnittliche Nettoeinkommen nicht unerheblich, also der Maßstab für die Rentenerhöhungen. Riester schlägt also zwei Fliegen mit einer Klappe: private Vorsorge und Entlastung der Renten. Fehlt der Zwang, kann Riester die Rentenentwicklung nicht mehr genau kalkulieren, damit auch nicht den Rentenversicherungsbeitrag."

Stichwort Umverteilung.
Den dritten großen Batzen zur "Konsolidierung des Haushalts" sollen die abhängig Beschäftigten im Öffentlichen Dienst beitragen. Finanzminister Eichel will die Neuverschuldung bis zum Jahr 2006 auf Null herunterfahren. Das gebieten "die Vorgaben des Europäischen Stabilitätspakts" und die "Stabilität des Euro". In der Bundesverwaltung sollen deshalb in den nächsten vier Jahren 6% der Stellen abgebaut werden. Die ÖTV wird darauf hingewiesen, daß sie bei den nächsten Lohnerhöhungen "die dramatische Situation der Staatsfinanzen zu berücksichtigen" hat. Auch eine Form des Bündnis für Arbeit, so etwas in den Haushaltsplan zu schreiben.
Die Verpflichtungen aus dem Krieg im Kosovo in bisher veranschlagter Höhe von 2,3 Milliarden DM werden natürlich nicht in Frage gestellt. Weitere Folgekosten für Wiederaufbau und Aufrüstung sind im Plan noch gar nicht enthalten.
In solider Fortführung der Kohl-Politik bleiben die Unternehmer und Besserverdienenden ungeschoren. Den Unternehmern wird ab 2001 eine weitere Nettoentlastung in Größenordnung von 8 Milliarden DM durch die Senkung der Körperschaft- und Einkommensteuer auf 25% in Aussicht gestellt. "Mit diesem niedrigen Steuersatz wird die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Investitionsstandorts Deutschland nachhaltig gestärkt", heißt es im Haushaltsentwurf. Die Wirtschaftsförderung wird ausgebaut.
Einige SPDler pochen derzeit darauf, daß die Erbschaftssteuer erhöht wird, damit nicht ganz so auffällt, daß diese "Regierung der sozialen Gerechtigkeit" gerade die Ärmsten schamlos plündert. Aber selbst wenn dies durchkäme änderte es nichts daran, daß die Grundfesten des Systems der sozialen Sicherheit nicht von einer CDU-, sondern von einer SPD- Regierung in Frage gestellt werden.
Offensichtlich waren wir auf dem Euromarsch am 29.Mai noch nicht genug. Die Staats- und Regierungschefs konnten zu keinen Zugeständnissen gezwungen werden. Das muß sich ändern. Der Zorn der Erwerbslosen muß spürbar werden, und die Gewerkschaften haben die Verantwortung, die Sorge um die soziale Sicherheit ihrer Mitglieder nicht denen zu überlassen, die aus dem Erwerbsleben hinausgekickt worden sind. Wenn die Regierung nicht richtig verstanden hat, müssen wir eben etwas nachhelfen!
Angela Klein


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