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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.13 vom 24.06.1999, Seite 5

Die PKK kapituliert

Ein Deal auf dem Rücken des Widerstands

Am 23.Juni, wurde der sog. "Jahrhundertprozeß" gegen Abdullah Öcalan fortgesetzt. Er war für zwei Wochen unterbrochen worden, damit sich die Verteidigung auf ihr Abschlußplädoyer vorbereiten konnte. Die Staatsanwaltschaft hat die Todesstrafe gefordert. Doch ob die Verteidigung am Mittwoch überhaupt zum Zuge kommen würde, bleibt bis zuletzt unklar. Öcalan hatte erklärt, er wolle seine Verteidigung selbst in die Hand nehmen.
Während des Schnellverfahrens, das innerhalb von einer Verhandlungswoche durchgezogen wurde, wies Öcalan seinen AnwältInnen eher die Rolle eines Sprachrohrs des PKK-Vorsitzenden nach außen und von Statisten vor Gericht zu. Öcalans AnwältInnen konnten ihren Mandanten nur unter großen Schwierigkeiten besuchen. Gespräche unter vier Augen wurden verhindert.
Immer wieder waren die VerteidigerInnen tätlichen Angriffen seitens aufgebrachter DemonstrantInnen und der Polizei ausgesetzt. Und wiederholt hat die kurdische Seite ihre Besorgnis über den Gesundheitszustand des PKK-Chefs erklärt, der unter Drogen gesetzt und gefoltert wurde.
Über Monate hinweg hatte es unbestätigte Gerüchte über Aussagen Öcalans während der Verhöre gegeben, ihn selbst aber hatte die Öffentlichkeit seit den entwürdigenden Filmdokumenten, die der türkische Geheimdienst während der Entführung aufgenommen hatte, nicht mehr zu Gesicht bekommen. Mit hoher Spannung verfolgten deshalb KurdInnen im ganzen Land und im europäischen Exil den Auftakt des Prozesses am 31.Mai vor den Bildschirmen.
Rund 600 JournalistInnen aus aller Welt fanden sich im Hafen von Mudanya, gegenüber der Insel, ein. Die wenigen, denen es gelang, zu den acht auserwählten internationalen PresseberichterstatterInnen zu gehören und die täglich auf die Insel transportiert werden, müssen sich erheblichen Kontrollen und Schikanen unterziehen, bis zum Netzhautscan bei der erkennungsdienstlichen Behandlung. Alle Gegenstände, inkl. Schreibuntensilien und Schmuck, müssen in Mudanya bleiben. Die zeitversetzte Teilübertragung von Ton- und Bildmaterial aus dem Gerichtssaal ist der staatlichen Nachrichtenagentur Anadoglu und dem Fernsehsender TRT vorbehalten.
Der türkische Staat inszeniert eine Gerichtsshow aus Sicherheitsspektakel und scheinbarer öffentlicher Transparenz. Aber auch die kurdische Seite macht aus dem Verfahren eine Art medialen "showdown". Während die staatstreuen türkischen Medien den Prozeß als triumphalen Endsieg über den kurdischen Aufstand verkaufen, feiern die kurdischen Medien die Gerichtsverhandlung als eine Art unkonventionelle Form von Friedensverhandlung.
Bereits die Eröffnungsworte des PKK-Vorsitzenden schlugen wie eine Bombe ein. Für Uneingeweihte überraschend, erklärte Öcalan sichtlich niedergeschlagen, er sei weder gefoltert worden, noch habe man ihn schlecht behandelt oder beleidigt. Statt die Türkei anzugreifen und die Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung zu thematisieren, versprach der von den Medien zum Staatsfeind Nr.1 stilisierte PKK-Führer: "Für Frieden und Brüderlichkeit, entlang der Achse der demokratischen Republik, bin ich bereit, dem türkischen Staat zu dienen."
Als hätte der Krieg Opfer nicht in erster Linie unter der kurdischen Bevölkerung gefordert, wandte Öcalan sich entschuldigend an die im Gerichtssaal anwesenden Angehörigen gefallener türkischer Soldaten, die er als "Märtyrer" bezeichnete. Er teile den Schmerz der Familien. Kurdische Opfer tauchen in seinen Worten nicht mehr auf.
Öcalan fiel auch von seinen Verteidigern in den Rücken. Sie hatten beantragt, den Prozeß zu verschieben, bis die von der neuen Regierung geplante Reform des Justizsystems realisert sei, die bei den Staatssicherheitsgerichten den Austausch von Militärrichtern und Militärstaatsanwälten durch zivile Juristen vorsieht. Das Gericht lehnte das ab, daraufhin legten die Rechtsanwälte Ercan Kanar und Hasip Kaplan die Verteidigung nieder.
Im Widerspruch dazu erklärte Öcalan, die Zusammensetzung des Gerichtes kümmere ihn nicht. Seine Anwälte wollten ihn in eine Richtung drängen, die nicht die seine sei. Die Präsenz des Militärrichters störe ihn nicht. Statt sich politisch zu verteidigen, verfiel Öcalan immer wieder in Unterwerfungsrituale gegenüber der Staatsmacht, die er mit Angeboten zur Zusammenarbeit kombinierte. "Die Kurden können ihren Platz in einer demokratischen Republik finden", erklärte er. "Hier gibt es Gedankenfreiheit. Und hier gibt es politische Freiheit. Warum sollte ich etwas fordern, das bereits existiert? Das einzige Problem sind Sprache und kulturelle Identität." Den türkischen Staat für die Verbrechen anzuklagen, die dieser im Laufe von Krieg und Unterdrückung an der kurdischen Bevölkerung begangen hat, kam Öcalan nicht in den Sinn. Wann immer er auf die Ursachen des Konflikts Bezug nahm, blieb er an der Oberfläche: "Krieg hat keinen Grund und keine Logik, was auch immer das Ergebnis sein wird … Separatismus, Druck und rebellische Gefühle können das Problem nicht lösen. Wir sollten in Frieden zusammenleben. Und eine demokratische Republik ist die Möglichkeit, im selben Land zusammenzuleben."
Auf die Frage, ob er die PKK auffordere, die Waffen niederzulegen, sagte er: "Gebt mir und gebt der PKK eine Chance." Er kündigte an, daß er seinen Einfluß geltend machen wolle, die KämpferInnen von den Bergen zu holen. Innerhalb von drei Monaten könne ihm dies gelingen. Bedingung jedoch sei eine Legalisierung der PKK als politische Partei und die Möglichkeit für ihn selbst, mit der Organisation Kontakt aufzunehmen. "Was wird passieren, wenn ich sterbe?" fragte er das Gericht. "Bedenkt die Folgen, die das für das ganze Land haben wird. Ich will eine Amnestie, ich will noch eine Chance haben. Ich bin persönlich jetzt an einem anderen Punkt, als zu Zeiten des Kampfes. Meine Seite wird mich einen Abtrünnigen nennen, und die anderen werden sagen, er will nur seine Haut retten. Aber ihr könnt soviel sagen, wie ihr wollt, ich werde mich nicht abhalten lassen, für die demokratische Republik zu arbeiten."
Die PKK jedoch nennt ihn nicht einen Abtrünnigen - im Gegenteil. Prokurdische Zeitungen zitieren ihn zustimmend: "Gebt dem Frieden eine Chance" und "Es ist notwendig, daß ich für den Frieden lebe". Die Erklärungen der Europavertretung der PKK unterscheiden sich kaum von den Mahnungen der Europäischen Union. "Der Prozeß markiert eine historische Möglichkeit für Türken und Kurden", hieß es auf einer Pressekonferenz der ERNK in Brüssel. "Beide Seiten sollen verantwortlich handeln und sich jeglicher Provokationen enthalten."
Seither ist jegliche politische Kritik an den Zuständen in der Türkei eingefroren. Die PKK gibt ihrem Vorsitzenden ungebrochene Rückendeckung. "In einem Geist von Frieden und Brüderlichkeit hat unser Führer Abdullah Öcalan allumfassende Erklärungen abgegeben, die eine demokratische Lösung der kurdischen Frage betreffen, mit seinem ganzen Verantwortungsbewußtsein gegenüber der Geschichte und dem Befreiungskampf unseres Volkes", heißt es in einer Erklärung der PKK-Führung nach dem zweiten Prozeßtag.
An diesem Tag begann Öcalan damit, die Auslandkontakte der PKK vor dem Gericht auszubreiten und vormalige Unterstützerstaaten anzuklagen. Gar nicht mehr niedergeschlagen, sondern mit Händen und Füßen gestikulierend beschrieb Öcalan, die PKK unterhalte in Griechenland Ausbildungslager, die orthodoxe Kirche habe Finanzhilfe geleistet. Die Absicht sei gewesen, die Türkei durch Verwicklung in einen langjährigen Krieg gegen die KurdInnen zu schädigen. Unterstützung hätten auch Syrien und Jugoslawien, Iran, Irak und Armenien geleistet.
Öcalan legte auch die Kanäle offen, auf denen die PKK ihre Waffen bezieht. Aus Deutschland habe er eine Parlamentarierdelegation und eine Abordnung des Verfassungsschutzes empfangen; in den Niederlanden besitze die PKK zahlreiche Häuser. Er gab auch Kontakte zu türkischen linksradikalen Gruppen zu. Die legale prokurdische Partei HADEP sei kein Ableger der PKK. Wie ihre Vorläuferorganisationen HEP und DEP agiere sie jedoch von derselben Basis aus. Mit den legalen Parteien habe es Absprachen über die Auswahl von KandidatInnen gegeben.
Für diese Aussage dürften die Ankläger Öcalan im Verbotsprozeß gegen HADEP noch dankbar sein. Sie ermöglicht die Inhaftierung sämtlicher im April frisch gewählter BürgermeisterInnen. Für sich selbst jedoch wies der Vorsitzende jegliche Verbindung zu gewaltsamen Übergriffen und Anschlägen zurück, übernahm aber die "politische Verantwortung".
Am Nachmittag des zweiten Prozeßtags legte Öcalan sämtliche Versuche vormaliger türkischer Regierungen offen, Kontakte mit der PKK zu knüpfen. Hier fielen die Namen der ehemaligen Staats- und Ministerpräsidenten Özal, Yilmaz und Erbakan ebenso wie die der vorgeschlagenen oder realen Unterhändler: des Schriftstellers Aliev Alatli und des Herausgebers der Turkish Daily News, Ilnur Cevik. Auch mit der Militärführung habe es Geheimverhandlungen gegeben. Viele Angesprochene dementierten sofort, aber es war Öcalan gelungen, die Gespräche zwischen Regierung und Guerilla erstmals vor den Medien offenzulegen.
Der gesamte Prozeß wirkt wie eine gigantische Inszenierung. Bis in die letzte Sprachregelung scheint sich Öcalan an die vorgegebenen Spielräume des Gerichts zu halten. Klar ist, daß es Absprachen zwischen der türkischen Seite und der PKK gibt, denn mit Einverständnis der türkischen Regierung schickte Öcalan einen Vertreter zu einem Treffen des Zentralkomitees der PKK. Seither stellt sich die PKK-Führung bruchlos hinter den Kurs ihres Vorsitzenden.
Das Verhalten der türkischen Machthaber jedoch erstickt jede Hoffnung, hier sei ein Friedensprozeß verabredet worden, schon im Keim. Während Öcalan der Türkei Demokratie attestierte, inhaftierten die türkischen Behörden den Menschenrechtler Akin Birdal. Zeitgleich finden weitere Verfahren gegen Mitglieder des IHD und gegen kritische JournalistInnen statt, ebenso das Verbotsverfahren gegen HADEP. Oppositionelle werden weiterhin auf offener Straße verhaftet und gefoltert.
Was sich ändert, ist das taktische Vorgehen der türkischen Seite. Die neue Regierung bricht mit alten Tabus. In Konkurrenz zu Med- TV ist ein kurdischsprachiger Propagandasender unter der Leitung des Herausgebers der Turkish Daily News von Südkurdistan aus auf Sendung gegangen. Die Gründung einer staatstreuen Menschenrechtsorganisation steht bevor, und für die kurdischen Gebiete werden ökonomische Aufbauprogramme anvisiert. Ein Reuegesetz soll die KämpferInnen in den Bergen zur Kapitulation bewegen, und für das internationale Renommee werden sogar einige kosmetische demokratische Reformen vorbereitet. Die Umstrukturierung der Staatssicherheitsgerichte ist vollzogen. Die Militärrichter gehen, das Unrecht bleibt.
Die PKK signalisiert, daß ein Abkommen zwischen ihr und der türkischen Regierung diesen Rahmen nicht verlassen wird. Eine demokratische Reform- und Friedensbewegung in der Türkei ist nicht in Sicht. Statt dessen verdichten sich die Indizien, daß der Deal unter maßgeblicher Mitwirkung der USA zustandegekommen ist. Spezialisten der CIA waren bei den Verhören Öcalans die gesamte Zeit über zugegen. Ein solcher Deal dürfte sich jedoch kaum um mehr drehen als um die Frage der Nichtvollstreckung des Todesurteils. Der Preis dafür ist die Kapitulation der PKK.
Knut Rauchfuss


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