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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.13 vom 24.06.1999, Seite 6

Jenoptik in Thüringen

Ausstieg aus dem Flächentarif

Vor fast vier Jahren trat im thüringischen Jena der Vorstand der Jenoptik AG aus dem Unternehmerverband aus. Nach einigen Monaten gelang es der IG Metall, einen Anerkennungsvertrag durchzusetzen: Der Flächentarifvertrag galt weiter, allerdings wurde die Leistungszulage um 7% gegkürzt und dafür eine Beschäftigungsgarantie gegeben. Doch das scheint nur der erste Schritt auf dem Weg zum vollständigen Ausstieg aus dem Flächentarif gewesen zu sein. Für die SoZ sprach Wolfgang Pomrehn mit dem Jenaer IGM-Sekretär Michael Ebenau.



Im September letzten Jahres hat der Jenoptik-Vorstand den Anerkennungstarifvertrag gekündigt.
Michael Ebenau: Ja. Jenoptik will aus dem Vertrag aussteigen und eine eigene Regelung finden, die angeblich auf spezifische Bedingungen des Unternehmens abzielen soll. Doch welche das sind, ist bis heute nicht definiert worden. Man kann unterstellen, daß es um die Abkopplung vom Flächentarif geht.

Welche Auswirkungen hat die Kündigung im Betrieb?
Solange es keinen neuen Vertrag gibt, wirkt der alte nach. Das ist seit dem 1.Januar der Fall. Im Klartext bedeutet das, daß der jeweilige Flächentarifvertrag gilt. Der Verzicht auf 7% des Entgelts war ausdrücklich auf den 31.12.98 befristet und es war auch festgelegt worden, daß er nicht nachwirken kann. Das heißt, ab 1.Januar gibt es einen Anspruch darauf, daß diese 7% wieder gezahlt werden. Jenoptik tut allerdings, als wäre nichts gewesen und zahlt einfach die alten Beträge weiter.

Die IGM hat verschiedene Versuche unternommen, in Verhandlungen über einen neuen Vertrag zu treten. Wie hat die Geschäftsleitung reagiert?
Ende letzten Jahres haben wir einen Entwurf vorgeleget, über den sie nicht einmal verhandeln wollte. Anfang März hat sie uns dann Verhandlungstermine angeboten. Die hätten wir auch wahrgenommen, wenn wir nicht kurz vor dem ersten Treffen von einem Clou überrascht worden wären. In aller Heimlichkeit hatte die Geschäftsleitung in Stuttgart mit der Christlichen Gewerkschaft Metall (CGM) einen Tarifvertrag abgeschlossen.

Hat die CGM Mitglieder bei Jenoptik?
Wir glauben nicht. Jedenfalls ist der Verband noch nie hier in Erscheinung getreten.


Was steht im CGM-Vertrag drin?
Beispielsweise eine Verlängerung der Arbeitszeiten. Genaugenommen gibt es in dem Vertrag keine klaren Arbeitszeitregelungen, sondern nur ein paar Absichtserklärungen. Konsequent angewendet könnte das heißen, daß eine ganze Reihe von Beschäftigten an sechs Tagen in der Woche arbeiten würden und 44 Stunden als Regelarbeitszeit hätten. Selbst im Verlaufe von 12 oder 24 Monaten bekämen die keinen Ausgleich dafür, weder in Geld noch in Zeit.

Was will die IG Metall?
Im April hat es nach Protestaktionen der Belegschaft endlich mehrere Verhandlungsrunden zwischen IGM und Jenoptik gegeben. Die scheiterten allerdings jeweils daran, daß man von uns verlangte, ähnliche Vereinbarungen zu unterschreiben, wie sie mit der CGM ausgemacht worden waren. Dabei hätten wir durchaus die eine odere andere Abweichung vom Flächentarif akzeptiert.

An welchen Stellen?
Wir haben z.B. ein hohes Interesse daran, die Trennung zwischen Arbeitern und Angestellten aufzuheben, die der Flächentarifvertrag immer noch vorsieht. Ein gemeinsamer Entgelttarifvertrag käme uns sehr entgegen. Wir würden auch gerne die Weiterbildungsansprüche der Beschäftigten bei Jenoptik (wie in vielen andern Betrieben auch) tarifvertraglich verankern. Auch andere Arbeitszeitmodelle, als die derzeit im Flächentarifvertrag enthaltenen, sind für uns denkbar, Modelle die andere Differenzierungsmöglichkeiten bieten. Das sind die drei Kernpunkte, an denen wir zum einen selbst Veränderungsbedarf sehen und bei denen wir zum anderen auch den Anforderungen des Unternehmens entgegen kommen würden, wenn dies etwas klarer definiert würden.
Wir halten natürlich an einer 38-h-Woche an fünf Tagen in der Woche fest, könnten uns aber eine Öffnung vorstellen. In bestimmten Forschungs- und Entwicklungsprojekten oder auch in anderen Bereichen ist es etwas flexibler denkbar. Man könnte dort eine gewisse Zeit über 38 Stunden in der Woche hinaus arbeiten, was allerdings in einem genau definierten Zeitraum ausgeglichen werden müßte, und zwar möglichst mit Freizeit.

Ende Mai hat nun der Vorstand die Neuordnung der Jenoptik Automatisierungstechnik angekündigt. Das ist einer der vier Jenoptik- Betriebe in Jena. Was ist davon zu halten?
Auf deutsch heißt das, daß diese Gesellschaft - ein Unternehmen mit 350 Beschäftigten - aufgelöst oder zerschlagen wird. Einige Bereiche werden in neue Gesellschaften überführt werden, und am Ende werden eine ganze Reihe auf der Straße stehen. Wieviele das sein werden, läßt sich noch nicht sagen.

Wie geht es weiter?
Vor etwa zehn Tagen haben wir einen Arbeitsgerichtstermin gehabt. Der war aus unserer Sicht durchaus erfolgreich. Es sieht so aus, als ob der Richter eher unserer Position zuneigt. Es geht bei dem Prozeß um die Ansprüche auf die 7%, die Jenoptik seit Januar mehr zahlen müßte. Außerdem pochen die Kolleginnen und Kollegen auf den thüringischen Tarifvertrag. Der sieht ab März eine Erhöhung von 3,2% vor.
Wir werden also auf zwei Ebenen weiterkämpfen: Auf der juristischen, damit die Ansprüche vor Gericht durchgeklagt werden; und auf der politischen, damit wir zu konstruktiven Tarifverhandlungen kommen. Im Augenblick hat es aber den Anschein, als ob der Vorstand bei Jenoptik eher auf Konfrontation setzt.

Weitere Informationen im Internet unter www.gewerkschaft-hbv-thr.de


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