Sozialistische Zeitung |
An der Eigennützigkeit des Schuldenerlasses der Gläubigerstaaten von 70 Millarden Dollar
für die ärmsten Länder der Welt ließ Bundeskanzler Gerhard Schröder während des G7-Treffens in
Köln keinen Zweifel. "Nur wenn man ihnen hilft, werden diese Länder fähig, mit uns Handel zu
treiben".
Die auf einen Vorschlag der Weltbank von 1996 zurückgehende Initiative zum "Abbau der übermäßigen
Schuldenlast der hoch verschuldeten armen Länder", die sogenannte "HIPC-Schuldeninitiative" bedeutet zwar für
das ärmste Land der Welt, Mosambik, daß ein Großteil seiner Schulden erlassen werden. Dennoch bleibt der
tatsächlich zu leistende Schuldendienstbeitrag unverändert, da Mosambik gegenwärtig weniger als die Hälfte der
Tilgungsrate bezahlt. Die gegenwärtigen Schulden sind unter anderem Folge der hohen Verteidigungsausgaben im Krieg gegen die von
dem südafrikanischen Apartheidsregime unterstützte Rebellenbewegung Renamo.
Die 70 Milliarden Dollar machen gerade einmal ein Drittel der Gesamtschuld der 42 ärmsten Länder aus, die mit insgesamt 214
Millarden Dollar verschuldet sind. Diese Summe entspricht den Kursgewinnen der New Yorker Börse an einem einzigen
"guten" Tag. Die G7 wollen zudem die "tragfähige Schuldenlast", Grundlage für den Zugang zum
Schuldenerlaß, niedriger ansetzen. Zukünftig müssen die Schulden nur noch das anderthalbfache der Exporte betragen, bisher
waren es 200-250 Prozent, die das Tor zu Entschuldungsprogrammen öffneten. Ohnehin soll künftig die "alternative Relation
Schuldenstand/Einnahmen" stärker in den Mittelpunkt gerückt werden. Hier ist jedoch lediglich eine Absenkung von derzeit
280 Prozent auf 250 vorgesehen. Viele der hochverschuldeten Länder müßen heute den größten Haushaltsposten
für die Schuldentilgung aufbringen.
Welches Land genau und wann die Schulden erlassen bekommt, ist in den meisten Fällen noch unklar, denn der Schuldenerlaß ist an
Bedingungen geknüpft. Die Anknüpfung des spärlichen Schuldenerlasses an Strukturprogramme des Internationalen
Währungsfonds (IWF) werde die "Lage der Menschen in den armgehaltenen Ländern weiter verschlechtern",
heißt es in der Presseerklärung der Veranstalter des Alternativgipfels vom Bündnis Köln 99.
Nach offizieller Lesart der G7 sollen ausgerechnet IWF und Weltbank für "Programme zur Armutsbekämpfung für eine
gezielte Verwendung der aus dem Schuldenerlaß resultierenden Einsparungen" sorgen. Die "Ausarbeitung und
Umsetzung" soll nach "Konsultationen mit weiten Teilen der Zivilgesellschaft stattfinden". Ziel dieser Maßnahme sei es,
daß sich "Regierungen und Bürger der Schuldnerländer stärker mit den erforderlichen Anpassungsprogrammen
identifizieren können".
An anderer Stelle machen die Finanzminister der G7 unmißverständlich deutlich, daß sich die "Umsetzung des
Schuldenerlasses" weiterhin "auf eine solide Wirtschaftspolitik stützen" müsse. Die damit einhergehenden
Auflagen des IWF sind hinlänglich bekannt: Senkung der Staatsausgaben, Lohnstopp, Streichung von Nahrungsmittelsubventionen,
Exportorientierung und Abschaffung von Devisenkontrollen. Letztendlich dienten die IWF-Strukturanpassungsprogramme der Öffnung der
Märkte in den verschuldeten Ländern und schufen Investitionsbedinungen nach Maßgabe der Banken und Transnationalen
Konzerne in den USA und der EU.
Obwohl also die Politik des IWF der Armutbekämpfung diametral entgegensteht, taucht er fast inflationär im Bericht der
Finanzminister auf. Doch kritische Beobachter und Intitiativen wissen, was sie davon zu halten haben.
Auch wenn die christliche Kampagne Erlaßjahr 2000 - Entwicklung braucht Entschuldung die "prominente Behandlung des
Schuldenthemas auf dem Gipfel" als "wichtigen Erfolg" ihrer internationalen Kampagne "Jubilee 2000" wertete,
kritisiert auch sie die "gestärkte und problematische Rolle des IWF, der gleichzeitig wichtiger multilateraler Gläubiger und
zentrale Entscheidungsinstanz bei der Definition und Überwachung von Reformprogrammen ist.
Vielen Organisationen aus dem Süden, die sich an der internationalen Kampagne beteiligen, gehen die Forderungen der
Erlaßjahrkampagne nach einem "weitreichenden Schuldenerlaß für die ärmsten Länder" nicht weit
genug. Auf dem von mehr als 700 Menschen besuchten Kölner Alternativgipfel kritisierte am 18.Juni Brian Ashley, Koordinator des
südafrikanischen Informations- und Entwicklungszentrums AIDC und ein Sprecher der "Jubilee South", eines
Zusammenschlusses aus philippinischen, südafrikanischen und lateinamerikanischen Organisationen, das Vorgehen der Initiativen aus
dem Norden. Die Erlaßjahrkampagne habe ihre Forderungen nach kompletter Schuldenstreichung ohne Auflagen und
Reparationszahlungen mit der Begründung abgelehnt, "daß man dann wichtige Bündnispartner verlieren
würde", so Ashley. Innerhalb der Jubilee 2000 Kampagne "reproduzieren sich die globalen Machtverhältnisse",
erklärt Ashley; Vertreter aus dem Norden hätten sich aufgeführt, als würden "sie uns einen Gefallen tun. Dabei
haben wir die Schulden längst bezahlt" - mit Zinsen und Zinseszinsen.
Jubilee South wendet sich auch gegen eine Begrenzung der Forderungen auf die "ärmsten Länder". Südafrika gilt
als reichstes Land des Kontinents. Trotzdem "leiden Millionen von Menschen an Hunger, sind obdachlos, arbeitslos und sterben an
Krankheiten, die bei ausreichender gesundheitlicher Versorgung vermeidbar wären", so Ashley. Südafrikas Schuldendienst
macht den zweitgrößten Haushaltsposten aus - notwendige Sozialausgaben müssen dafür gekürzt werden. Die
Schulden stammen zum größten Teil aus der Ära des Arpartheidregimes. Ihre Rückzahlung bedeute eine
"doppelte Bestrafung" für die Opfer, erklärte Ashley. Die Arbeit der südafrikanischen Entschuldungsinitiative
wird auch von medico international und der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika unterstützt.
Jubilee South sieht in den Ergebnissen des G7-Gipfels "nichts begrüßenswertes". Der Zusammenschluß glaubt
nicht an eine Lösung der Schuldenkrise im Rahmen des IWFs oder der Weltbank. Er lehnt die Strukturanpassungsprogramme kategorisch
ab und setzt sich für eine Lösung ein, die auf Selbstversorgung und Nachhaltigkeit der Ökonomien abzielt und sieht einen
klaren Widerspruch zwischen den Bedürfnissen der Bevölkerung und einer exportorientierten Wirtschaft, die sich mehr und mehr
von Importen abhängig macht.
Bei den Pressekonferenzen der Erlaßjahrkampagne hatten die Vertreter von Jubilee South kein Rederecht. Stattdessen redet die Kampagne
im Text ihrer Unterschriftenliste von einem "Schuldenbumerang", der füher oder später auch die reichen Länder
des Nordens treffen wird: "durch Drogenhandel, Klimaveränderungen, Flüchtlinge oder durch den Verlust von
Exportmärkten für unsere Industrie". Ein Teilnehmer des Alternativgipfels bezeichnete diese Stereotypen, auf deren
Grundlage Anfang der 90er Jahre zum Teil auch die Asylgesetze verschärft worden sind, passend als eine Argumentation der
"wohlmeinenden Rassisten".
Gerhard Klas