Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.13 vom 24.06.1999, Seite 12

Workers Aid for the Balkans

Gewerkschaftskonvoi nach Kosovo

Interview mit Christophe Aguiton, SUD-PTT und Euromarsch Frankreich, der im Rahmen einer gewerkschaftsübergreifenden Initiative nach Albanien gefahren ist.

Mitte April beschlossen die Euromärsche eine Erklärung zum Krieg, in der sie sich aussprachen "für die Wiederherstellung einer Solidarität, die die Grenzen zwischen den Völkern überwindet und gemeinsame Kämpfe ermöglicht. Deshalb engagieren wir uns ... für ein Projekt, das ein Netzwerk von Informationen, Austausch und Debatte aufbauen hilft. Wir wollen damit die demokratischen Initiativen und Gewerkschaften in den Ländern des Balkan unterstützen, auch diejenigen, die sich in Flüchtlingslagern befinden."
In Frankreich haben jetzt Gewerkschaften der "Gruppe der 10" (linke Gewerkschaftsverbände, die weder der CGT noch der CFDT angehören) einen Aufruf für einen Gewerkschaftskonvoi nach Kosovo gestartet. Gestützt auf die Erfahrungen der Gruppe Secours ouvrier pour la Bosnie (Arbeiterhilfe für Bosnien) und der Gruppe International Workers Aid for Bosnia (die hauptsächlich von britischen, dänischen und belgischen Gewerkschaftern unterstützt wird), haben sie sich auf ein Hilfsprojekt für albanische Flüchtlinge verständigt, das die Möglichkeit bieten soll, unabhängig von staatlichen Kanälen in direkten Austausch mit Kosovo-Albanern zu kommen. In einem Interview mit der französischen Wochenzeitung Rouge hat Aguiton das Projekt und seine Schwierigkeiten vorgestellt.

Warum hast du die Reise unternommen?
Christophe Aguiton: Ich bin als Vertreter eines Kollektivs von Gewerkschaften und sozialen Initiativen nach Albanien gefahren. Andere europäische Organisationen haben Kontakte nach Makedonien, Montenegro, zu demokratischen Serben aufgebaut. Wir versuchen, direkte Beziehungen mit Gewerkschaftern und demokratischen Kräften herzustellen.
Die Mehrzahl der Flüchtlinge befindet sich in Albanien. Ich war 1994 schon einmal dort gewesen und schockiert über den Grad des Zerfalls des Landes. Fünf Jahre später hat sich die Lage gebessert, aber sie ist nach wie vor schlechter als anderswo. Von 3 Millionen Einwohnern haben 500.000 das Land verlassen. Das Bildungsniveau ist recht hoch, es wandern Menschen aus allen Schichten der Gesellschaft aus, also auch solche mit Qualifikationen. Der Familiensinn ist stark ausgeprägt; die Ausgewanderten schicken hohe Geldsummen ins Land.
Zwischen albanischen Familien und den Flüchtlingen gibt es einen starken Zusammenhalt. Fast zwei Drittel der Flüchtlinge wurden von Einwohnern in Tirana aufgenommen, nicht in den Lagern. Dennoch ist die Lage sehr prekär. Einige Flüchtlinge treten ihren Wirtsleuten eine Miete ab; das geht nur, solange sie Geld haben. Andere sind kostenlos bei Verwandten untergekommen. Die albanischen und kosovo-albanischen Flüchtlingsorganisationen helfen. All wirkt aber nur eine bestimmte Weile. Die internationalen Nicht- Regierungsorganisationen orientieren sich in ihrer Arbeit allein auf die Flüchtlingslager, das ist einfacher.

Wie läßt sich gewerkschaftliche Solidarität herstellen?
Es gibt in Albanien eine sehr enge Verflechtung zwischen Hilfsorganisationen und Armeeverbänden. Albanischen Informationen zufolge wird die Hälfte der Lager von der albanischen Regierung verwaltet, die andere Hälfte vor allem von Italienern, dann kommen die Griechen und die Golfstaaten. Die italienische Regierung führt im sog. "Regenbogenprogramm" Aktionen der Armee und der großen Hilfsorganisationen eng zusammen, auch wenn einige NGOs dies verweigern.
Auf der Seite der Gewerkschaften hat es Treffen und Kontakte zu albanischen Gewerkschaftsverbänden gegeben (zwischen Lehrern, Beschäftigten im Gesundheitswesen usw.). Meine Reise scheint jedoch die erste zu sein, die einen Kontakt zwischen Dachverbänden ermöglicht.
Es gibt unterschiedliche Formen gewerkschaftlicher Hilfe, aber abgesehen von einem britischen Konvoi von Workers Aid sind sie zumeist sie ein Anhängsel der zahllosen halbstaatlichen Initiativen. Die Unabhängigkeit der Arbeiterbewegung kommt dadurch nicht zum Tragen, das scheint mir ein großes Problem.
Unsere Verantwortung als Gewerkschafter ist doch gerade, Kontakte zwischen sozialen Bewegungen und abhängig Beschäftigten, zwischen Gewerkschaftern und sozialen Verbänden zu schaffen. Das ist es, was wir mit unserer französischen Initiative und auch mit den Europäischen Märschen wollen.
Vor Ort wie europaweit ist die Situation kompliziert. Wir müssen die politischen und sozialen Kräfte vor Ort besser kennenlernen. In Albanien wollen wir mit beiden Gewerkschaftsverbänden zusammenarbeiten. In der EU ist die Lage je nach Land häufig sehr unterschiedlich. Ich habe auf meiner Reise mit einem sehr aktiven griechischen Kollektiv zusammengearbeitet, das sowohl gegen die Bomben, als auch gegen die ethnischen Säuberungen und für das Recht der Kosovaren auf Selbstbestimmung war. Aber in Griechenland verurteilt die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung zwar die NATO, nicht aber Milosevic. Wenn man materielle Hilfe geben will, kann man nicht die gleiche Kampagne dafür in Griechenland, Frankreich und Italien führen...
Wir wollen auf europäischer Ebene Solidarität mit Gewerkschaftern aus allen Balkan-Ländern, mit den Flüchtlingen aus dem Kosovo, mit demokratischen Serben üben... Dazu müssen wir auch mit Menschen zusammenarbeiten, die andere Positionen haben als wir. In Albanien tritt die Gewerkschaft, mit der ich gesprochen habe, natürlich für die NATO-Bomben und für eine Bodenintervention ein, obgleich sie auf Verhandlungen hofft. In Griechenland verhält es sich umgekehrt! Das Netz der Europäischen Märsche hat eine klare Haltung zum Krieg eingenommen, aber es ist nach verschiedenen Seiten offen für die solidarische Zusammenarbeit.


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