Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.13 vom 24.06.1999, Seite 12

Balkanstabilitätspakt

Die Beute wird aufgeteilt

Kaum hatten am Donnerstag vergangener Woche die ersten jugoslawischen Soldaten den Kosovo verlassen, begann die Aufteilung der Beute. In Köln trafen sich noch am gleichen Tag auf Einladung der Europäischen Union die Außenminister der Balkanstaaten einschließlich der Türkei und Ungarns mit ihren Kollegen aus der EU, Japan, den USA, Kanada und Rußland. Einzig Jugoslawien blieb vor der Tür. Auf der Tagesordnung des Kölner Treffens stand nichts geringeres als die Nachkriegsordnung des Balkans.
Ein paar Stunden verhandelte man hinter verschlossenen Türen, dann nahm die Versammlung den sog. Balkanstabilitätspakt an, der auf eine Initiative des deutschen Außenministers Joschka Fischer zurückgeht. Mit am Tisch saßen auch Vertreter der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds, der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, der NATO, der UN, der OECD und der WEU.
Fischer hatte bereits im Vorfeld klargemacht, worum es ihm ging: "Demokratie und Marktwirtschaft" sollen in der Region Einzug halten, oder genauer: deutsche "Wirtschaftsinteressen (ausbaufähige Absatzmärkte, Investitionsstandorte)" sollen durchgesetzt werden, wie es in einem Papier seines Ministeriums hieß.
Auf dem Weg dahin kam er in Köln ein gutes Stück voran. Als Ziele des Stabilitätspaktes wurden u.a. Marktwirtschaft, Öffnung der Märkte für den internationalen Handel und die Privatisierung der staatlichen Unternehmen genannt. Letzteres, wohl mit Rücksichtnahme auf Rußland, etwas relativiert, indem eine "Diversifizierung der Besitzverhältnisse" gefordert wird.
Die Umsetzung des Stabilitätspakts soll von einem "Regionaltisch Südosteuropa" koordiniert werden, der sich in verschiedene "Arbeitstische" untergliedert: einen für Demokratie und Menschenrechte, einen für wirtschaftlichen Wiederaufbau und einen für Sicherheitsfragen. Mitglieder werden die Unterzeichner des Stabilitätspakts sein. Der Vorsitzende wird von der EU bestellt. Zu den Aufgaben des Arbeitstisches für wirtschaftlichen Wiederaufbau sollen auch Deregulierung, die Förderung der Privatwirtschaft und die Einrichtung von Freihandelszonen gehören.
Deutsche Vorstellungen, wonach ein Regionaltisch zum Thema "Minderheiten- und Grenzfragen" (Strategiepapier) eingerichtet werden sollte, haben sich nicht voll durchgesetzt. Im verabschiedeten Dokument ist lediglich die Rede davon, daß ein Arbeitstisch "gemeinsame Verhaltensregeln in Fragen, die die Grenzen betreffen", entwickeln soll. In dem Papier des deutschen Außenministeriums waren hingegen ausdrücklich "ungelöste territoriale und Minderheitenfragen" als eine Ursache der Konflikte auf dem Balkan ausgemacht worden, was vor dem Hintergrund der deutschen Balkanpolitik der vergangenen 10 Jahre wie eine Drohung klingt.
Die Autoren des Strategiepapiers hatten zwar den Gedanken an eine "Balkankonferenz im Stile des 19.Jahrhunderts" (auf der die imperialistischen Staaten einst die Grenzen gezogen haben) weit von sich gewiesen, doch der Verdacht liegt nahe, daß man in der Bundesregierung eben genau daran denkt: an Grenzrevision. Der Text des Stabilitätspakts läßt vermuten, daß die Interessen der NATO-Partner diesbezüglich nicht ganz so "weitgehend gleichgerichtet" sind, wie man sich das in Bonn wünschen mag. Für künftigen Konfliktstoff ist damit gesorgt.
Auch in der Frage der Minderheitenrechte hat sich die deutsche Position nicht durchgesetzt. Die deutsche Außenpolitik hat eine lange Tradition, sog. Volksgruppen Kollektivrechte zuzugestehen, vorzugsweise in Staaten, in denen man wirtschaftliche Interessen verfolgt. Vor diesem Hintergrund hatte Deutschland vorzeitig und entgegen Absprachen mit seinen EU-Partnern seinerzeit Slowenien und Kroatien anerkannt. Dem steht in den meisten westlichen Staaten eine Auffassung entgegegen, die von individuellen Rechten ausgeht und die Eingang in den Stabilitätspakt gefunden hat. Dort ist nun zu lesen, daß im Zusammenhang mit den anderen demokratischen Rechten auch "die Rechte von Personen (geschützt werden müssen) die einer nationalen Minderheit angehören".
Von der geplanten Aufbauhilfe - im Gespräch sind 10-15 Milliarden DM pro Jahr - wird das zerbombte Serbien vorerst nicht profitieren. Dessen Regierung wird erst zu den Regionaltischen eingeladen, wenn die Bedingungen der Siegerstaaten erfüllt sind. Inoffiziell heißt es, daß Milosevi´cs Ablösung die Voraussetzung ist. Montenegro wird hingegen, wie es bereits beim EU-Gipfel beschlossen worden war, von Beginn an zu den Empfängern gehören. Neue Konflikte und eine endgültige Auflösung Jugoslawiens sind somit absehbar.
Wolfgang Pomrehn


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