Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.17 vom 19.08.1999, Seite 1

BDI-Henkel lobt die Regierung

Mittwoch, 17.Februar 1999: Auf dem politischen Aschermittwoch der SPD in Vilshofen erklärt Bundeskanzler Schröder: "Ich stehe dafür, dass die Renten auch in Zukunft so steigen wie die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer."
Mittwoch, 23.Juni 1999: Unter Leitung des Bundeskanzlers beschließt das Kabinett den Haushaltsentwurf für das Jahr 2000. Er beinhaltet die Abkopplung der Renten von der Nettolohnentwicklung.
Schröder, ein Lügner? Ein Schelm, wer solches denkt.
Er hat nur eine Entdeckung gemacht - genauer, sein neuer Finanzminister, der rechtschaffene Hans. Wo der Oskar in die Luft guckte und die Banken anmachte, hat der Hans tief in die Kassen geschaut und sah - die Erblast. Was ist das?
"In den letzten 15 Jahren [der Regierung Kohl] sind die Schulden allein des Bundes von rund 300 Milliarden auf rund 1,5 Billionen DM gestiegen" (Eichel). Den Hans gruselt es. Er rechnet. Wenn 22% der Steuereinnahmen des Bundes oder rund 17% der bundesstaatlichen Gesamtausgaben im laufenden Jahr an die Gläubiger ausgezahlt werden müssen, ist es mit der freien Selbstbestimmung der Republik vorbei. Der Bundesstaat, der auf einem Gesamtschuldenberg von 2,3 Billionen DM sitzt, befindet sich faktisch im Zustand der Schuldsklaverei!
Hans schaltet konsequent auf Rot. Der Weg zur Freiheit? Er führt nur noch über den Schuldenabbau: 150 Mrd. DM müssen weg, ein "historischer" Kraftakt in fünf Jahren. Trotzdem reibt man sich verwundert die Augen. Kohl hat die Schulden aufgehäuft, um seinen Unternehmerfreunden Steuergeschenke zu machen. Zahlen mussten die abhängig Beschäftigten, die Rentner und die Arbeitslosen; deshalb wurde er abgewählt. Jetzt sollen die Schulden wieder abgebaut werden - und die Rentner, Sozialhilfeempfänger, Arbeitslosen und abhängig Beschäftigten sollen noch einmal zahlen? Die Rentenanpassung soll in den nächsten zwei Jahren nicht mehr an die Nettolohnentwicklung, sondern nur noch an die Inflationsrate angepasst werden? Da hat es Norbert Blüm leicht vorzurechnen: mit seinem Rentenreformkonzept hätten die Rentner bis über das Jahr 2010 hinaus mehr in der Tasche gehabt.
EmpfängerInnen von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe teilen das Schicksal der RentnerInnen: auch ihre Bezüge werden nur an die Teuerungsrate angepasst. Die originäre Arbeitslosenhilfe - das ist die für Leute, die noch nie in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben (Soldaten, Zivildienstleistende, Referendare usw.) - soll ganz gestrichen werden. Den Langzeitarbeitslosen, die eh kein Geld haben, sich anderweitig abzusichern, werden die Sozialversicherungsbeiträge gekürzt! Und wer weiß nicht, dass in den Schubladen des Kanzleramts längst Konzepte schmoren, die Arbeitslosenhilfe überhaupt abzuschaffen?
Andererseits tragen Unternehmer nichts zum Schuldenabbau bei, obwohl sie die Nutznießer der Verschuldung waren und sind. Mancher in der SPD stellt ihnen sogar noch weitere Steuerentlastungen in Aussicht, z.B. Fraktionschef Peter Struck die Senkung des Spitzensteuersatzes auf 35%.
Aber Vorsicht, Falle! Eichel will nicht nur kürzen und sich an denen schadlos halten, die am wenigsten haben und sich am wenigsten wehren können. Er will auch modernisieren, was sonst! Er will verhindern, dass die Rentenkassen wieder in die roten Zahlen kommen. Wie das geht? Ganz einfach. Die abhängig Beschäftigten zahlen nicht nur die gesetzlichen Beiträge, sie sollen sich zusätzlich privat versichern. Auf diese Weise sollen die gesetzlichen Beitragssätze mittelfristig gesenkt werden. Die Beitragszahlungen der Unternehmer sinken dann, wer kräht groß danach, dass die Arbeitnehmer umso mehr belastet werden? Die Beschäftigten werden mit dem Argument geködert: Wer 45 Jahre in die gesetzliche Altersversicherung einbezahlt, bekommt allenfalls sein Geld zurück - und auch dies ist im Zeitalter des Rentenklaus nicht mehr sicher. Wer 45 Jahre bei Finanzinstituten anspart, ist nach 45 Jahren ein reicher Mann. ? Hat es sich noch nicht herumgesprochen, dass die Beschäftigten ihr hart erarbeitetes Geld auf diese Weise nur Banken und Versicherungen zur Verfügung stellen, damit diese ihre Spekulationsgeschäfte damit spielen - und gelegentlich auch verlieren? Wer bewahrt diese Gelder vor Banken-und Börseneinbrüchen? Blüm hätte sich einen solchen Schlag gegen den Sozialstaat nicht zugetraut.
Auf der politischen Bühne gibt die SPD derzeit Sommertheater. In den Betrieben aber ist die Stimmung mies, sehr mies. Vor allem im Ruhrpott, wo am 12.September Kommunalwahlen sind. Kaum auszudenken, was passiert, wenn die Hochburg Dortmund von der CDU geschleift würde - doch in den Umfragen liegt sie tatsächlich vorn, zum erstenmal seit Menschengedenken. Kein Wunder, dass nun selbst ein notorischer SPD-Rechter wie der Bezirksleiter der IG Metall, Harald Schartau, weiche Knie bekommt. Ministerpräsidenten - ob Dewes in Thüringen oder Klimmt im Saarland - fürchten um ihre Mehrheiten und gehen auf Distanz. In Berlin kann die SPD ihre Talfahrt besser verschmerzen, da gibt es eh keine andere Perspektive als die große Koalition.
Wo bleibt die SPD-Linke? Warum ist sie nicht längst der Aufforderung nachgekommen, Schröders Thesen für eine sozialdemokratische Modernisierungspolitik, die seit 1997 vorliegen, offen zu debattieren? Warum verschanzt sie sich immer hinter Lafontaine? Kann sie nicht an den Grünen (aber auch an der Labour-Linken) ablesen, dass sie untergeht, wenn sie nicht bald eigene Wege geht? Ohne Rücksicht auf Amt und Mandat?
Angela Klein


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