Sozialistische Zeitung |
Eines muss man Gregor Gysi lassen. Es ist ihm auch in diesem Jahr wieder gelungen das Sommerloch optimal
auszufüllen. In Berlin döst alles in der sommerlichen Hitze, das Parlament ist im Urlaub, der Krieg vorbei, Journalisten langweilen
sich. Die beste Zeit ein paar bunte Seifenblasen aufsteigen zu lassen: "Freigesetzte Arbeit kann nicht vollständig reinvestiert
werden, aber sie darf auch nicht überflüssige, tote Zeit … werden", denn "die Permanenz der Modernisierung ist ein
ambivalenter Vorgang". Nur leider sind "ihre Institutionen ... in diesem Jahrhundert oft genug als Instrument krassester
Unterdrückung gestaltet worden". Was das ist? "Moderner Sozialismus", vorgestellt in zwölf Thesen.
Früher nannte man es wohl eher Dadaismus, aber der ist out. Denn: "Wir müssen uns insgesamt politisch und intellektuell
öffnen" (André Brie). Nur sollte man dabei aufpassen, dass nicht die Gehirnflüssigkeit ausläuft.
Aber wir wollen nicht ungerecht sein. Gysi hatte auch einiges Handfestes zu bieten. Allerdings riecht manches von dem, was uns der
"PDS-Fraktionsführer" (O-Ton PDS-Pressedienst) da als "modernen Sozialismus" verkaufen will eher nach
stinknormalem Liberalismus: Flexibilisierung der Arbeitszeiten etwa, oder ein zweites, privates Standbein der Altersversorgung. Auch dass die
"plurale Verteilung von Eigentum" "Motor der ständigen innovativen Veränderung" ist, was wiederum
modern, also gut ist, vermutet man eher im Parteiprogramm der FDP. Wie man damit enttäuschte linke Sozialdemokraten einsammeln
kann, bleibt Gysis Geheimnis. Die könnten da doch gleich beim rosa-grünen Orginal bleiben.
Aber da soll die Reise sowieso hingehen. André Brie machte wie üblich für Gysi den Minenhund, indem er den Thesen
eines seiner berüchtigten Interviews nachschob: "Die PDS alleine kann nichts bewirken. Sie ist darauf angewiesen, dass sie mit der
SPD und auch den Grünen arbeitsfähig wird", ließ er die Berliner Morgenpost wissen.
Die Sache hat natürlich einen Haken: die so heftig Umworbenen haben sich gerade zu "Verantwortungsethikern" gemausert,
d.h. sie haben sich in die Einsicht ergeben, dass der "Standort Deutschland" sich ggf. auch bewaffnet durchsetzen muss. In modernen
Zeiten ist das ein absolutes Muss für eine Regierungspartei. Auch Gysi scheint das zu ahnen und verbirgt sich daher lieber hinter einigen
allgemeinen Floskeln von internationaler Abrüstung und gerechter Weltwirtschaftsordnung, um nicht die deutsche Außen- und
aggressive Freihandelspolitik konkret kritisieren zu müssen.
Fraglich bleibt allerdings, ob ihm diese Abstinenz gedankt werden wird. Wir dürfen also auf den nächsten Schritt gespannt
bleiben.