Sozialistische Zeitung |
Weil sie die Verschuldung als eines der größten Entwicklungshemmnisse ansehen, mobilisieren
seit 1998 überall auf der Welt Kampagnen und Initiativen für Erlass und Streichung der Schulden der ärmsten und
hochverschuldeten Länder. An der Bewertung der Kölner Schuldeninitiative, die von den Regierungschefs der G7 in diesem
Sommer verabschiedet wurde, scheiden sich jedoch die Geister. Für die einen ist es der "erste Schritt in die richtige
Richtung", für die anderen zementiert die Schuldeninitiative das bestehende globale Ausbeutungsverhältnis. Bezeichnend ist,
dass der Konflikt vor allem zwischen den Kampagnen des Nordens und den Initiativen aus dem Süden aufgebrochen ist.
Am 19.Juni dieses Jahres kamen 35.000 zu einer Menschenkette rund um den Tagungsort der Regierungschefs, zu der die internationale
Kampagne "Jubilee 2000" aufgerufen hatte. Die Kampagne orientiert sich am biblischen Erlassjahr, wonach periodisch die
Gläubiger Schulden erlassen und durch die Rückgabe von Ackerland den Schuldnern und Armen einen Neuanfang
ermöglichen.
Seit dem Mobilisierungserfolg zum G7-Gipfel in Birmingham 1998, damals kamen 50.000, ist die internationale Jubilee-Kampagne weiter
angewachsen. In insgesamt 160 Ländern befinden sich heute Gruppen, Kirchen und Organisationen unter dem Dach der internationalen
Kampagne. Doch mit dem Anwachsen haben auch die Differenzen zugenommen: während die einen auf Lobbyarbeit bei Politikern,
Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank setzen, propagieren die anderen Basisarbeit und streben eine "Bewegung der
Massen der Armen weltweit" an.
"Wir schulden nichts und wollen nichts zahlen", lautet das Motto von "Jubilee South", der südlichen Plattform der
internationalen Entschuldungskampagne. Die Legitimität der Schulden stellen die Vertreter von Organisationen aus Afrika, Asien und
Lateinamerika radikal in Frage, denn "die Wurzeln der Schulden liegen in der Versklavung und der Kolonialisierung unserer
Länder" sowie den ungleichen Handels- und Investitionsbedingungen. Ihre Schlussfolgerung ist klar und eindeutig:
"Bedingungslose, unmittelbare und komplette Streichung der Schulden" als erster Schritt zu einer neuen Weltordnung.
Jubilee South sieht in den Ergebnissen des G7-Gipfels "nichts Begrüßenswertes". Der Zusammenschluss glaubt nicht an
eine Lösung der Schuldenkrise im Rahmen des IWF oder der Weltbank. Er lehnt Strukturanpassungsprogramme kategorisch ab und setzt
sich für eine Lösung ein, die auf Selbstversorgung und Nachhaltigkeit der Ökonomien abzielt und sieht einen klaren
Widerspruch zwischen den Bedürfnissen der Bevölkerung und einer exportorientierten Wirtschaft.
Die deutsche und österreichische Erlassjahrkampagne und ihre britischen und US-amerikanischen Pendants richteten ihre Arbeit für
"einen umfassenden Erlass der untragbaren Schulden der armen Länder" auf Medienwirksamkeit und Resonanzfähigkeit
bei den Politikern aus. Sie bemühen sich, Politikern und internationalen Institutionen Entscheidungsspielräume aufzuzeigen und
verstehen sich als Mittler zwischen Gläubigern und Schuldnern. Symbolisch stehen dafür 17 Millionen Unterschriften aus aller
Welt, die Bundeskanzler Schröder am 19.Juni in einem weißen Sack und mit einem freundlichen Händedruck
überreicht wurden.
Trotz einiger kritischer Töne wertet Erlassjahr 2000 die "prominente Behandlung des Schuldenthemas auf dem Gipfel" als
"wichtigen Erfolg" ihrer internationalen Kampagne Jubilee 2000. Das entspricht ihrer Haltung, den Streit um das
Grundsätzliche zu vermeiden. Die Erlassjahrkampagnen verhandeln vielmehr um konkrete Zahlen: Tragbar seien die Schulden, die zu
Zahlungsverpflichtungen von weniger als 5% bzw. 10% der Exporterlöse eines Landes führen. Die Prozentsätze der
Weltbank liegen bei 20-25%.
Ebenso wie IWF, Weltbank und G7 knüpft die Erlassjahrkampagne in Deutschland und Österreich ihre Vorschläge zur
Schuldenstreichung an Bedingungen: ein Teil der erlassenen Schulden soll in einen "Gegenwertfonds" in nationaler Währung
eingezahlt werden, der zur Finanzierung von "Projekten zur Deckung sozialer Gundbedürfnisse" oder für ein
"Kreditsystem für kleine Händler und Bauern" Verwendung finden soll.
Für Jubilee South, die sich gemeinsam mit den Erlassjahrkampagnen des Nordens unter dem internationalen Dach von Jubilee 2000
befinden, beinhaltet die Vision eines "Neuanfangs" weitaus mehr als Schuldenstreichung. Die Südkampagnen sehen in der
Schuldenfrage lediglich "einen Türöffner, um breitere Diskussionen und Mobilisierungen rund um die neoliberale
Globalisierung" anzuregen und für "gerechte Wirtschaftszusammenhänge und Gesellschaften" einzutreten. Im
Gegensatz zur Lobbyarbeit der Nordkampagnen wollen sie eine "anhaltende Bewegung" ins Leben rufen und sich weder zeitlich auf
das Jahr 2000 noch auf die nach offiziellen Kriterien "armen" Länder festlegen.
Jubilee South hat sich im Laufe verschiedener Kongresse und Treffen herausgebildet. Im April 1998 erarbeitete erstmals eine Konferenz im
ghanaischen Accra ein eigenes Profil der südlichen Länder innerhalb der Jubilee-2000-Kampagne, das auf der letzten Konferenz
vor dem G7-Gipfel im März 1999 im südafrikanischen Johannesburg mit der Gauteng-Deklaration ein solides Fundament erhielt.
Die Vertreter aus dem südlichen Afrika, den Philippinen und Lateinamerika appellierten damals an die Kirchen und ihre
Verbündeten im Norden, ihren Kampf zu unterstützen.
Bis auf wenige Ausnahmen ist ihr Ruf nach Unterstützung auf wenig Resonanz gestoßen. Zwar sorgen sich auch die
Erlassjahrkampagnen im Norden um "das Leben und die Zukunft der Armen in Afrika, Lateinamerika und Asien". Ihre Forderungen
wollen sie jedoch nicht teilen. "Jubilee South will eine Abschaffung des Kapitalismus", erklärt Friedel Hütz-Adams,
der Pressesprecher der deutschen Erlassjahrkampagne, seine ablehnende Haltung.
Im Namen der "internationalen Bewegung" werteten die Nordkampagnen in einer Presseerklärung die Kölner
Schuldeninitiative der G7 als "großen Fortschritt". Die Forderungen und Einschätzungen von Jubilee South und damit
bedeutender Organisationen aus dem Süden finden sich in den offiziellen Verlautbarungen von Jubilee 2000 nicht wieder. Für
Hütz-Adams ist Jubilee South ohnehin kein Verhandlungspartner. "Jubilee South hat keine Basis. Es waren nach meiner
Wahrnehmung drei Leute, die sich zu Jubilee South ernannt haben", begründet der Pressesprecher seine Zweifel an der
Mandatierung.
Jubilee South ist zwar nicht wie die offizielle US-amerikanische Delegation mit einem tausendköpfigen Tross nach Köln angereist.
Trotzdem fanden sich einige Dutzend Vertreter verschiedenster Organisationen von drei Kontinenten in den Kölner Tagungsräumen
zusammen. Dabei waren auch einige von den philippinischen Inseln, wo allein mehr als vierzig Initiativen und Kirchenleute, darunter zahlreiche
Bischöfe, die Positionen von Jubilee South unterstützen.
Mit dem Beispiel Kameruns will Hütz-Adams die Positionen von Jubilee South in Frage stellen. "Bei der Gründung der
nationalen Jubilee-Kampagne in Kamerun war die Forderung: keine Schuldenstreichung", erklärt der Pressesprecher. Die dort
anwesenden vierzig Organisationen wollten der jetzigen, korrupten Regierung keinen Pfennig erlassen, bevor sie nicht Gegenwertfonds
eingerichtet hätte. Auch die Jubilee 2000 Organisationen in Indonesien forderten zunächst, dass das Privatvermögen Suhartos
beschlagnahmt wird, bevor die Auslandsschulden erlassen werden, so Hütz-Adams weiter.
Hans Branscheidt, Mitarbeiter der Nichtregierungsorganisation medico international, bedauert das Fehlen der Jubilee-South-Positionen in den
offiziellen Erklärungen von Jubilee 2000. Es gehöre zur "Kulturgeschichte" der nördlichen NGO-
Tätigkeiten im Süden, "dass man seine eigenen, finanziell abhängigen Partner auf der europäischen
Tanzbühne vorstellt". Was die Vertreter der Erlassjahrkampagne ärgere, sei die Haltung von Jubilee South, sich deshalb nicht
"unter Druck setzen zu lassen". Dabei ginge es durchaus auch um Sprachregelungen, Wortwahl und politische Inhalte. Bei
zurückgehenden Kirchensteuern und Einnahmen geraten kirchlich orientierte Gruppen und Nichtregierungsorganisationen ihrerseits unter
Druck. "Sie müssen deswegen dafür sorgen, dass die von ihnen bisher betreuten Organisationen im Süden ihnen die
Gespräche mit den Banken nicht versauen", erklärt Branscheidt.
Die Enttäuschung und Wut der Jubilee-South-Aktivisten spiegelt sich in ihrem Aufruf für "Neue strategische Allianzen"
wieder und war für sie dennoch absehbar. "Seit dem Ende des Kalten Krieges konnte man Zeuge werden, wie viele ehemalige
Verbündete im Norden, eingeschlossen Kirchen und Nichtregierungsorganisationen, angesichts des aggressiven Neoliberalismus eine
Form der kollektiven und unbewussten Zensur betreiben", bewerten Jubilee South die Entwicklung der vergangenen Jahre,
"bisweilen sind ihre neuen Diskurse kaum noch von denen ihrer Regierungen zu unterscheiden".
Die Vertreter der Nordkampagnen haben bei ihren Besuchen auf den zahlreichen Jubilee-Treffen im Süden offenbar keinen guten
Eindruck hinterlassen. "Genug der karitativen Annäherungen, des verschwommenen Mitgefühls und der seichten
symbolischen Besuche der ‚Partner im Süden, um dort Raum einzunehmen und Tagesordnungen zu verabschieden, die vom
Norden bestimmt werden. Das ist keine Partnerschaft", kommentiert Jubilee South. Stattdessen fordern sie eine klare Positionierung ein.
"Wir fragen nicht nach Vermittlung oder Unterstützung für Lobbyarbeit. Wir fordern Solidarität, und das ist etwas
völlig anderes. Sowohl zu dem Unterdrücker als auch zu den Unterdrückten den gleichen Abstand zu halten ist moralisch und
politisch unannehmbar."
Im November plant Jubilee South ein weiteres Treffen in Johannesburg, zu dem Vertreter von Entschuldungsinitiativen aus Afrika, Asien und
Lateinamerika erwartet werden.
Gerhard Klas