Sozialistische Zeitung |
Nach ein paar Stunden war alles vorüber. Im bosnischen Sarajevo trafen sich am Freitag vergangener
Woche die Staatschefs der G8-Staaten, der EU und der Balkanländer. Sozusagen zum Fototermin. Denn was von einigen Medien mit viel
Tamtam als Verabschiedung eines Balkanstabilitätspakts angekündigt worden war, stellte sich bei näherem Hinsehen als
Show-Gipfel heraus. Der Pakt war längst unter Dach und Fach, und sollte jetzt nur mit gebührenden Aufwand auf den Weg gebracht
werden. Immerhin, so hieß es aus Kreisen der Bundesregierung, handelt es sich um "eines der wichtigsten europäischen
Projekte für die nächsten Jahre". Die Konferenz in Sarajevo, so ein Regierungssprecher, sei ein
"Solidaritätsgipfel, mit dem die Internationale Gemeinschaft" - ich kann das Wort schon nicht mehr hören -
"deutlich macht, dass sie hinter dem Stabilitätspakt steht." Offensichtlich hat man in Bonn inzwischen Probleme mit der
eigenen Propaganda.
Der Stabilitätspakt war am 10.Juni in Köln von den Außenministern der genannten Regierungen unterzeichnet worden. Als
seine Ziele werden neben dem Schutz vor Vertreibung und Demokratisierung in der Region die Einführung der Marktwirtschaft,
Privatisierung, und Öffnung der Märkte für den Außenhandel benannt. Mit dem "Regionaltisch
Südosteuropa", dem der ehemalige Kanzleramtsminister Bodo Hombach vorsitzen wird, soll ein ständiges
Koordinationsgremium geschaffen werden, dass sich in drei "Arbeitstische" unterteilt: einen für Demokratie und
Menschenrechte, einen für Sicherheitsfragen und einen für wirtschaftlichen Wiederaufbau. Die Aufgabenliste des letzteren liest sich
wie eine Bibel des Neoliberalismus: Förderung der Privatwirtschaft, Deregulierung, Einrichtung von Freihandelszonen. Erklärtes
Ziel von Bundesregierung und deutscher Industrie ist es, über den Stabilitätspakt die Balkanstaaten an die EU
heranzuführen.
Irgendwie scheint man aber zu ahnen, dass die ganze Sache auch schief gehen kann. Der Zusammenschluß zweier Regionen mit einem so
unterschiedlichen Produktivitätsniveau in einer Freihandelszone kann nämlich nicht ohne erhebliche soziale Verwerfungen bleiben.
Betriebsschließungen und Massenarbeitslosigkeit werden eine unvermeidliche Folge sein. Um dem militärisch vorzubeugen, wird
im Stabilitätspakt der NATO eine wichtige Rolle zugeschrieben. Ein Positionspapier des deutschen Außenministeriums hatte
bereits im Frühjahr unmissverständlich klargemacht, dass man auch in Zukunft nicht vor Krieg zurückschrecken
wird.
Einer fehlte in Sarajevo: Der jugoslawische Stuhl am Konferenztisch blieb trotz russischer Proteste leer. Die Führungen der westlichen
Staaten bestehen darauf, dass Jugoslawien solange ausgeschlossen bleibt, wie in Belgrad Slobodan Milo?sevi´c am Ruder sitzt.
Eingeladen hatte man allerdings den Präsident der Teilrepublik Montenegro, Djukanovi´c, der damit in seinen seperatistischen
Ambitionen bestärkt wurde. Nur wenige Tage nach der Sarajevo-Konferenz nutzte er einen Besuch in Moskau, um erneut mit Lostrennung
von Jugoslawien zu drohen. Dass ihn seine westeuropäischen Freunde in Sarajevo zur Mäßigung aufgerufen hätten, um
neues Blutvergießen zu vermeiden, wurde nicht bekannt.
Die Bundesregierung hatte vor dem Gipfel darauf gedrungen, auch Vertreter der serbischen Opposition einzuladen, doch blieben diese zu
Hause. Man müsse sich überlegen, hieß es in Bonn, wie man die sog. Oppositionsstädte "mit konkreten Projekten
und finanziell" unterstützen könne. Die bayrische Landesregierung hat diesbezüglich bereits konkrete Planungen
unternommen. Die Liste der zu unterstützenden Städte, die Bayerns Ministerpräsident Stoiber kürzlich in einem
Radiointerview vorstellte, liest sich wie ein Einsatzbericht der NATO-Bomber: Kragujevac, Novi Sad, Ni?s…
Da in Sarajevo nichts zu entscheiden und nicht einmal zu besprechen war, nutzten die Regierungschefs aus dem Westen die Gelegenheit
für ein paar wohlfeile Reden. Bundeskanzler Schröder ließ die Versammelten wissen, er sei "froh, dass mein Freund
und Mitarbeiter Bodo Hombach für die Aufgabe des Sonderkoordinators gewonnen werden konnte". So wird man denn wohl auch
dafür sorgen können, dass die deutsche Wirtschaft nicht, wie zuvor in Bosnien, bei der Auftragsvergabe zu kurz kommt.
Entsprechende Klagen sind nämlich seitdem es ums Verteilen der Beute geht in den Chefetagen zwischen Rhein und Oder an der
Tagesordnung. Damit das diesmal anders wird, zogen Vertreter der Unternehmerverbände quasi mit den ersten Soldaten in den Kosovo
ein. Bereits seit Juni sitzen sie in dem vom Auswärtigen Amt in Prizren eingerichteten Verbindungsbüro.
Ansonsten ließ Schröder den bemerkenswerten Satz hören, "auch die Menschen in Südosteuropa haben ein Recht
darauf, nicht von Grenzen in ihrer Freiheit und ihrer Entfaltung behindert zu werden". Passend dazu ließen zur gleichen Zeit einige
Länder-Innenminister wissen, man wolle ab dem Herbst Kosovo-Flüchtlinge zwangsweise "zurückführen".
"Freiheit" bezieht sich also offensichtlich vor allem auf den Warenfluss und Kapitalverkehr, für den nach deutschen und EU-
Vorstellungen möglichst bald alle Hürden fallen sollen.
Etwas enttäuscht sollen sich die Balkanpolitiker gezeigt haben, dass der hohe Besuch mit konkreten Zusagen in punkto Finanzhilfe geizte.
Lediglich Clinton nannte Zahlen. Die EU, die bereits angekündigt hat, dass sie die Hauptlast tragen will, wird sich erst im Herbst
über die Details verständigen. Genauere Vorstellungen hat man im Bundeswirtschaftsministerium allerdings schon darüber,
wer was wiederaufbauen darf. In einem Papier des Ministeriums vom 8.6. (am Tag zuvor hatten NATO-Flugzeuge in einem der letzten
großen Angriffe mehrere hundert jugoslawische Soldaten an der albanischen Grenze mit Streubomben massakriert) heißt
es:
"Als kurzfristig anzustrebende Maßnahmen kommen in Betracht:
- Wiederinbetriebnahme der Textilbetriebe in Kosovo, wo überwiegend Albanerinnen gearbeitet haben - Lohnveredlung für
deutsche Unternehmen.
- Wiederbelebung des Weinanbaus auf dem Amselfeld. Hier könnte die Firma Rake in Bingen sich engagieren.
- Wiederinbetriebnahme des Braunkohletagebaus in Obeli´c und Pobro Selo mit dem Ziel, rasch Brennstoff für den Winter zu
gewinnen und den größeren Teil der Kohle in Wärmekraftwerken vor Ort zu verstromen. Hier können wir an alte
Traditionen anknüpfen (Krupp, O und K, Siemens, ABB, Lurgi, RWE: Vermarktung von Strom)."
Auch für die Wiederherstellung der Verkehrsinfrastruktur in der Region hat man im Ministerium bereits die konkreten Projekte benannt
und Listen von deutschen Unternehmen aufgestellt, die dafür in Frage kommen. Genannt werden u.a. Siemens, Krupp und die
DaimlerChrysler-Wagonbautochter Adtranz. Unter Federführung des Ministeriums wurde bereits ein Arbeitskreis Südosteuropa
eingerichtet, der der "wirtschaftlichen Flankierung des Stabilitätspaktes und der gegenseitigen Information über die
Möglichkeiten eines deutschen Engagemenst beim Wiederaufbau des Kosovos" dienen soll.
Von Seiten der EU ist die Einrichtung einer Wiederaufbauagentur geplant, die wahrscheinlich im Oktober die Arbeit aufnehmen soll. Seitens
des "Ost-Ausschusses der Deutschen Industrie" (eine Abteilung des BDI) wirbt man bereits fleißig für die Teilnahme
deutscher Manager. 30 Bewerbungen seien bis Ende Juli eingegangen, die an Brüssel weitergereicht wurden. Die Wiederaufbauagentur
soll mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet werden, einschließlich derAuftragsvergabe. "Um so wichtiger ist es, die
Interessen der deutschen Unternehmen in der Agentur zu verankern. Insbesondere in den Verwaltungsrat und in die Auftragsstäbe werden
auch Verbands- und Unternehmensvertreter entsandt", heißt es beim BDI.
Es kann also getrost davon ausgegangen werden, dass die sog. Balkanhilfe wie schon einst der "Aufbau Ost" vor allem ein
Programm zur Förderung der westdeutschen Wirtschaft werden wird. Da trifft es sich ausgezeichnet, dass etwaige Konkurrenz in
Jugoslawien in Grund und Boden gebombt wurde.
Wolfgang Pomrehn