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Nicht mit mehr Lehrstellen und Arbeitsplätzen, sondern mit LAB.01, einem mobilen Projekt für die
erste Weltausstellung in der BRD, die EXPO 2000 in Hannover, engagiert sich der Konzernriese DaimlerChrysler zur Zeit "für die
Zukunft der jungen Generation". Das futuristische, zwölf Meter hohe Gebäude ist seit Juli auf Europatour. Sein Engagement
lässt sich der Konzern einiges kosten: nach Angaben des Sprechers John Will mehr als 30 Millionen Mark. Das übertrifft die
Pflichteinlage der EXPO-Weltpartner, zu denen auch DaimlerChrysler gehört.
"Discover the Next", so lautet das Motto der Wanderausstellung, die bis Sommer des nächsten Jahres in acht
europäischen Metropolen zu sehen sein wird: nach Berlin und Köln nun noch in Hamburg, Warschau, Dresden, Barcelona,
Brüssel und letztendlich auf der EXPO in Hannover. Die "Entdeckung der Zukunft" beginnt in dem an eine Forschungsstation
erinnernden Komplex mit einem "Virtual Shower", einer "virtuellen Dusche". Was in der Broschüre zur
Ausstellung mit esoterischen Beschwörungsformeln als "Leben ist Bewegung. Bewegung ist Leben … Das Abenteuer beginnt im
Kopf" angepriesen wird, entpuppt sich als Trommelfeuer auf die Sinne: In einem Wandelgang durch einen verspiegelten Tunnel wird
fonstarker Techno mit unzählbaren "beats per minute" gespielt. Danach beginnt die Gehirnwäsche.
Mit pulsierende Bildsequenzen und interaktiven Exponaten sollen "Kinder und Jugendliche die Zukunft bereits heute hautnah
erleben" und sich mit "Fantasie und Visionen aktiv an ihrer Gestaltung beteiligen". Ängste vor Umweltverschmutzung,
Atomkrieg und Arbeitslosigkeit sind da fehl am Platz, denn die Zeiten "der No-future-Kids sind vorbei", konstatiert Dr.Klaus
Mangold, Vorstandsmitglied bei DaimlerChrysler und verantwortlich für das EXPO-Engagement des Konzerns.
Technische und naturwissenschaftliche Errungenschaften sollen vielmehr die Jugend motivieren, ihre "mentale Mobilität" zu
entwickeln, erklärt Mangold weiter. Die junge Generation soll sich kritisch mit ihrer Rolle in der Gesellschaft auseinandersetzen um dort
"ihren Platz" zu finden. Die Gesellschaft selbst ist hingegen nicht mehr Gegenstand der Kritik. Die zentralen Zukunftsfragen
reduziert der Konzern auf das Individuum und seine Verwertbarkeit: "Wie sieht mein Leben in zehn Jahren aus? Welchen Beruf werde ich
wohl ausüben?"
Der Multi wartet mit etlichen Erfolgsbiografien auf. "Personal Visions" heißt dieser Teil der Ausstellung. Dovren Baptist, 32
Jahre alt, ist Interfacedesigner. Er kümmert sich um die effektive Verbindung zwischen Mensch und Maschine. Sein Bestreben ist es,
Gedanken auf möglichst direktem Weg umzusetzen. Die 28-jährige Marion Wallmann ist Faserforscherin. Sie reist zwischen
internationalen Modenschauen und Chemielabors umher. Wallmann ist eine gemachte Frau, denn weltberühmte Designer haben immer
"ein offenes Ohr" für sie. Auch Ellen de Maie ist mit 27 Jahren bereits eine festangestellte Bild- und Tondemanipulatorin;
Michael Schmock hat es mit 34 zum Weltenarchitekt gebracht, der an der Planung einer interplanetarischen Hotelkette arbeitet. In der
schönen, neuen Welt scheint alles möglich, solange man genügend "Neugier und Pioniergeist" entwickelt. Kein
Hinweis deutet darauf hin, dass sämtliche Biografien reine Erfindungen sind.
Wer es trotzdem zum Trafficnavigator bringen möchte, kann seine Qualifikationen in einem computersimulierten Planspiel testen. Die
simple Machart des Spiels verhindert Frustration und garantiert den schnellen Erfolg. Es geht um virtuelle Mobilität - "höher,
schneller, weiter", heißt es im Begleittext. Zwischen einem Wohnviertel, Erholungsgebiet und einer Industriezone soll eine
verkehrsgünstige Verbindung geschaffen werden. Zur Auswahl stehen weder Untergrund- noch Straßenbahnverbindungen, schon gar
nicht Fahrrad- und Fußgängerwege. DaimlerChrysler hat dafür gesorgt, dass Kinder und Jugendliche zwischen Auto- und
Busverkehr wählen müssen. Verloren hat, wer zwischen Erholungsgebiet und Industriezone eine Autobahn baut, denn die wird
kaum frequentiert. Nur befahrene Straßen sind ein Volltreffer.
In der Abteilung "Shelf of Inventions" werden die neuesten Erfindungen vorgestellt. Die Vereinnahmung zukunftsweisender Technik
durch DaimlerChrysler kennt keine Grenzen: Neben solar- und wasserstoffbetriebenen Brennstoffzellen und der optischen Darstellung von
Nanometern (ein Milliardstel Meter) findet sich ein Gehörlosen-Datenhandschuh, der Zeichensprache per Computer in gesprochene
Sprache umsetzt. In einer Ecke können Jugendliche unter fachlicher Anleitung einen Roboter zusammenbauen, der sich anschließend
über den Tisch bewegt. "Die Koordinationsfähigkeit ist noch nicht mal auf dem Niveau eines Insektengehirns", deutet
ein Begleittext die schier unbegrenzten Möglichkeiten.
Die Schattenseiten des technischen Fortschritts sind nicht von Belang: dass die meisten dieser Techniken zunächst vor allem in der
Rüstungsindustrie entwickelt wurden, ist mit keinem Wort erwähnt.
Video und Musikkultur sind das Herz der Ausstellung und sollen Jugendlichen ebenfalls beispielhaft die Möglichkeiten einer steilen
Karriere vor Augen führen. Mit ein bisschen Phantasie und dem nötigen technischen Equipment, einem "Personal Music
Assistant" (PMA), so suggeriert LAB.01, kann jeder und jede ein Star werden. Ansonsten ist Musik vor allem eine Sache der
"Komprimierung" der Instrumente: vor einem Titelcover der legendären Rockformation Pink Floyd, auf der ein Schlagzeugset
maximalen Ausmaßes zu betrachten ist, steht exemplarisch einer der notizblockgroßen PMAs für die "andere
Epoche", die mit selbstprogrammierter Musik angebrochen ist.
Begleitet wird das Ausstellungsprogramm von Talkshows sowie Exkursionen in prosperierende Wirtschaftsunternehmen der umliegenden
Kommunikations- und Verkehrsindustrie. Auch dort geht es um "Personal Visions", z.B. wie man "Musik zum Beruf
machen" kann. Das hat wenig mit dem Lernen eines Instruments zu tun, vielmehr mit Marketing und Entertainment. Für die
Talkrunde, in deren Zuschauerraum sich gerade einmal zehn Jugendliche tummeln, hat DaimlerChrysler Kölner Prominenz aus dem
Musikbusiness eingeladen: Viva-Moderatoren, Musiker und ihre Manager reden unablässig von ihrem "coolen" Alltag, ihrer
Karriere, von "Flexibilität" und dass man "Chancen nutzen" müsste. Als einer der Jugendlichen sich nach
seinen konkreten Aussichten auf einen Job in der Branche erkundigt, wiegelt ihn die Moderatorin lapidar ab: "Wir sind doch keine
Jobvermittlung."
Gerhard Klas