Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.18 vom 02.09.1999, Seite 1

Nach dem Krieg ist vor dem Krieg

Am 1.September jährt sich der Überfall Nazi-Deutschlands auf Polen zum 60.Mal. Nachdem Österreich annektiert, die Tschechoslowakei zerschlagen und zum Teil besetzt war, holte der deutsche Imperialismus nun zum großen Schlag aus. Das Ziel: Die Schaffung eines einheitlichen europäischen Wirtschaftsraums unter deutscher Vorherrschaft.
Der Zweite Weltkrieg hatte begonnen. An seinem Ende standen ein verwüstetes Europa und 55 Millionen Tote. Expansionsgelüste deutscher Industrieller, Allmachtsfantasien preußisch-deutscher Militaristen und Rassenwahn faschistischer Ideologen hatte sich zu einer gewalttätigen Mischung verbunden. Hunderte Dörfer wurden in den besetzten Ländern niedergebrannt und die Bevölkerung zur Abschreckung massakriert. Lidice und Oradour sind nur zwei Namen von vielen. Mehr noch: mit der im Schutze des Krieges vollzogenen industriellen Ermordung von Millionen Juden, Sinti und Roma organisierten die Nazis ein Verbrechen, wie es die Menschheit bis dahin noch nicht erlebt hatte.
Das Ende ist bekannt: der Griff nach der Weltmacht endete für Deutschland und seinen Verbündeten Japan mit einem Desaster. Berlin und Tokyo mussten bedingungslos kapitulieren. Die Siegermächte beschlossen ihre Entmilitarisierung, die Auflösung der Rüstungsindustrie und die Entflechtung der Industriemonopole. Die Wurzeln des Militarismus sollten beseitigt werden. Kriegsverbrecher, darunter etliche führende Industrielle und Bankiers, wurden verurteilt.
Auf die Schultern der deutschen Arbeiterklasse hatte der Krieg eine dreifache Hypothek geladen. Die Verbrechen des Faschismus hatten nicht nur millionenfache Mittäterschaft geschaffen, die deutschen Arbeiter hatten auch geduldet, dass Millionen sog. Fremdarbeiter unter sklavenähnlichen Bedingungen an ihrer Seite in den Fabriken arbeiten mussten. Schließlich brachten sie nicht einmal im Angesicht der totalen Niederlage einen Aufstand zustande. So musste die einstige KPD-Hochburg Berlin von der Roten Armee befreit werden, was noch einmal Zehntausende Sowjetsoldaten das Leben kostete.
Nach Kriegsende war die Einigkeit der Allierten schnell dahin. Die westlichen Siegermächte besannen sich bald und begannen die ehemaligen Gegner als Verbündete in der Konfrontation mit der Sowjetunion wieder aufzubauen. Die meisten Kriegsverbrecher konnten die Gefängnisse schon nach wenigen Jahren wieder verlassen und auf ihre Vorstandsposten zurückkehren. In der Folge erholte sich die deutsche Bourgeoisie im atemberaubenden Tempo von ihrer Niederlage und konnte noch bis in die 60er Jahre hinein von den niedrigen Löhnen sowie langen Arbeitszeiten profitieren, die im Faschismus durchgesetzt worden waren und ihr nun einen Konkurrenzvorteil gegenüber Frankreich und Großbritannien verschafften.
Extratouren waren allerdings vorerst nicht mehr drin. Fest eingebunden in das westliche Militärbündnis hatte Deutschland zunächst für einige Jahrzehnte in der zweiten Reihe Platz zu nehmen. Die eigenen Interessen ließen sich auch von dort ganz gut verfolgen; und schließlich wurde auch noch der Traum von einem einheitlichen europäischen Wirtschaftsraum wahr. Dem Kapital zwischen Rhein und Elbe wuchsen schon bald wieder Flügel. In den 80er Jahren stieg Deutschland zur Exportmacht Nummer Zwei auf, zeitweilig überflügelte es sogar die USA. Mit einem über Jahrzehnte nahezu beständig wachsenden Außenhandelsüberschuss kann es inzwischen einen enormen Kapitalexport finanzieren. Kein Wunder, dass der deutsche Außenminister Genscher Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre, als die Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) verhandelt wurde, zu den eifrigsten Reisenden in Sachen Liberalisierung des Welthandels gehörte.
Eine solche Politik verlangt nach militärischer Absicherung, um so mehr, als es nach dem Zerfall des Ostblocks so manches neu zu verteilen gibt. Die strategische Planung der Bundeswehr berücksichtigt das bereits seit 1992. Statt von der großen Konfrontation in Europa geht man nun vom weltweiten Eingreifen mit mobilen Einsatzkräften aus. Und im Gegensatz zu 1939 oder 1949 sucht man heute nicht mehr die militärische Konfrontation mit den imperialistischen Konkurrenten, sondern setzt auf den Aufbau gemeinsamer militärischer Strukturen und einer politischen Union in Europa. Auf diesem Wege ist man mit dem Krieg gegen Jugoslawien ein beachtliches Stückchen vorangekommen. Auf ihrem Kölner Gipfel einigten sich im Juni die EU-Staaten auf eine gemeinsame Außen- und Militärpolitik, die den Aufbau einer unabhängigen europäischen Rüstungsindustrie beinhalten soll. Die deutsche DaimlerChrysler AG ist derweil an dem entsprechenden Konzentrationsprozess führend beteiligt. Unverkennbar ist, dass sich nicht nur der deutsche Imperialismus die Option eröffnen will, von der USA unabhängige Wege zu beschreiten.
Die Umsetzung dieser Möglichkeit ist allerdings noch Zukunftsmusik. Mehr Fortschritte gibt es indes an der Heimatfront. Hier hat die Beteiligung am Angriff auf Jugoslawien das Eis gebrochen. Zwar ist die deutsche Bevölkerung noch weit entfernt von Kriegsbegeisterung, doch hat die Tatsache, dass der Krieg ausgerechnet von denjenigen Parteien mitorganisert wurde, die jahrzehntelang einen wesentlichen Teil der Friedensbewegung gebildet haben, zur weiteren Marginalisierung der antimilitaristischen Kräfte geführt. Diese Regierung und ihr Geschichtsrevisionismus ist ein besonderer Glücksfall für die global players und Freihandelsritter in den Vorstandetagen der deutschen Wirtschaft.
Wolfgang Pomrehn


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