Sozialistische Zeitung |
Rückblick auf dieses Jahrhundert - Herausforderungen für das kommende Jahrhundert" -
unter diesem Motto fand vom 25. bis 29.August in der Nähe von Grenoble die 8.Sommeruniversität der Ligue Communiste
Révolutionnaire (LCR - französische Sektion der IV.Internationale) statt. 480 Menschen nahmen daran teil.
Die Vielfalt der Themen reichte von der Globalisierung, Widerstand gegen die Liberalisierung in Europa, der "unauffindbaren Gleichheit
für Frauen", Gewerkschaftskämpfen in Europa bis zur "nationalen Frage", Problemen der Ökologie, der
Schule, Gesundheistwesen, neue Kommunkationstechnik, Ernährung, moderne Kunst, Länderanalysen zu Lateinamerika, China und
Kuba bis zum Kosovo und dem Krieg auf dem Balkan.
Die Podien waren kontrovers mit Historikern, Wirtschaftswissenschaftlern, Intellektuellen und Gewerkschaftern besetzt, die nicht nur in
Frankreich einen Namen haben. Die Beteiligung anden Diskussionen war erstaunlich vielfältig, es gab keine "vorgeschriebene
Linie", die das Podium versucht hätte durchzusetzen; es ging um Aufklärung, bei der auch Selbstkritik eine nicht unerhebliche
Rolle spielte.
Durchaus nicht triumphalistisch, sondern mit skepischem Realismus schilderten Roseline Vachetta und Alain Krivine, die ins Europaparlament
gewählt worden sind, die jetzige Lage in Frankreich und die Perspektiven der LCR. Zwar habe diese über den Einzug ins
Europaparlament eine "Verschönerung" erfahren. Aber die Lage um sie herum habe sich seit der Streikbewegung 1995
geändert. Die soziale Bewegung ist stumm. Ihr ist die Luft ausgegangen, obwohl es genügend Gründe für die Revolte
gibt. Die Bewegung der Erwerbslosen und der "Sans Papiers", der AusländerInnen ohne Papiere, stagnieren. Nur die
Viehzüchter haben der Regierung den Kampf angesagt.
Die Regierung will "die französische Wirtschaft an die Bedürfnisse des Liberalismus anpassen". Der
sozialdemokratische Ministerpräsident Lionel Jospin verfolge die gleiche Politik wie Blair und Schröder. Er packe es nur etwas
klüger an. Arbeitsministerin Aubry habe mit einem zweiten Gesetz zur 35-Stunden-Woche das erste bis zur Karikatur geändert:
diese Forderung werde damit diskreditiert. (Im ersten Gesetz war noch von einer Verpflichtung zur Schaffung von Arbeitsplätzen die
Rede, im zweiten Gesetz wurde dies gestrichen.)
Krivine wandte sich scharf gegen die Tendenz, Grüne und KP zu Satelliten der übermächtig werdenden Sozialistischen Partei
(PS) zu machen. Es gebe eine Komplizenschaft der Interessen: Die KP brauche die PS, um bei den Kommunalwahlen 2001 die Stellung halten
zu können, die PS benötige die KP, damit sie mit einer radikal-populistischen Phraseologie die Wähler bei der Stange
halte.
Das Bündnis LO-LCR, das 5,2% der Stimmen auf sich zog und fünf revolutionäre Abgeordnete ins Straßburger
Parlament schicken konnte, dürfe nicht aufgegeben werden, erklärte Krivine. Man müsse es vielmehr erweitern, damit eine
größere Umgruppierung möglich werde: "eine große Partei, die Ökologen, Feministinnen und
antikapitalistische Kräfte einbezieht". Er lehnte es ab, bei den kommenden Kommunalwahlen landesweit ein Bündnis mit
Parteien einzugehen, die die jetzigen Regierung unterstützen.
Abends wurden Filme gezeigt, u.a. einer, den der Sender Arte über den Wahlkampf von Arlette Laguiller (LO) und Alain Krivine gedreht
hatte, aber auf Druck von oben nicht senden durfte. Das Programm durchzustehen war nur dank der vorzüglichen französischen
Küche möglich - wann wird das endlich europäisiert?