Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.18 vom 02.09.1999, Seite 2

Gehen Frankreichs Uhren anders?

Kolumne: Jakob Moneta

Rückblick auf dieses Jahrhundert - Herausforderungen für das kommende Jahrhundert" - unter diesem Motto fand vom 25. bis 29.August in der Nähe von Grenoble die 8.Sommeruniversität der Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR - französische Sektion der IV.Internationale) statt. 480 Menschen nahmen daran teil.
Die Vielfalt der Themen reichte von der Globalisierung, Widerstand gegen die Liberalisierung in Europa, der "unauffindbaren Gleichheit für Frauen", Gewerkschaftskämpfen in Europa bis zur "nationalen Frage", Problemen der Ökologie, der Schule, Gesundheistwesen, neue Kommunkationstechnik, Ernährung, moderne Kunst, Länderanalysen zu Lateinamerika, China und Kuba bis zum Kosovo und dem Krieg auf dem Balkan.
Die Podien waren kontrovers mit Historikern, Wirtschaftswissenschaftlern, Intellektuellen und Gewerkschaftern besetzt, die nicht nur in Frankreich einen Namen haben. Die Beteiligung anden Diskussionen war erstaunlich vielfältig, es gab keine "vorgeschriebene Linie", die das Podium versucht hätte durchzusetzen; es ging um Aufklärung, bei der auch Selbstkritik eine nicht unerhebliche Rolle spielte.
Durchaus nicht triumphalistisch, sondern mit skepischem Realismus schilderten Roseline Vachetta und Alain Krivine, die ins Europaparlament gewählt worden sind, die jetzige Lage in Frankreich und die Perspektiven der LCR. Zwar habe diese über den Einzug ins Europaparlament eine "Verschönerung" erfahren. Aber die Lage um sie herum habe sich seit der Streikbewegung 1995 geändert. Die soziale Bewegung ist stumm. Ihr ist die Luft ausgegangen, obwohl es genügend Gründe für die Revolte gibt. Die Bewegung der Erwerbslosen und der "Sans Papiers", der AusländerInnen ohne Papiere, stagnieren. Nur die Viehzüchter haben der Regierung den Kampf angesagt.
Die Regierung will "die französische Wirtschaft an die Bedürfnisse des Liberalismus anpassen". Der sozialdemokratische Ministerpräsident Lionel Jospin verfolge die gleiche Politik wie Blair und Schröder. Er packe es nur etwas klüger an. Arbeitsministerin Aubry habe mit einem zweiten Gesetz zur 35-Stunden-Woche das erste bis zur Karikatur geändert: diese Forderung werde damit diskreditiert. (Im ersten Gesetz war noch von einer Verpflichtung zur Schaffung von Arbeitsplätzen die Rede, im zweiten Gesetz wurde dies gestrichen.)
Krivine wandte sich scharf gegen die Tendenz, Grüne und KP zu Satelliten der übermächtig werdenden Sozialistischen Partei (PS) zu machen. Es gebe eine Komplizenschaft der Interessen: Die KP brauche die PS, um bei den Kommunalwahlen 2001 die Stellung halten zu können, die PS benötige die KP, damit sie mit einer radikal-populistischen Phraseologie die Wähler bei der Stange halte.
Das Bündnis LO-LCR, das 5,2% der Stimmen auf sich zog und fünf revolutionäre Abgeordnete ins Straßburger Parlament schicken konnte, dürfe nicht aufgegeben werden, erklärte Krivine. Man müsse es vielmehr erweitern, damit eine größere Umgruppierung möglich werde: "eine große Partei, die Ökologen, Feministinnen und antikapitalistische Kräfte einbezieht". Er lehnte es ab, bei den kommenden Kommunalwahlen landesweit ein Bündnis mit Parteien einzugehen, die die jetzigen Regierung unterstützen.
Abends wurden Filme gezeigt, u.a. einer, den der Sender Arte über den Wahlkampf von Arlette Laguiller (LO) und Alain Krivine gedreht hatte, aber auf Druck von oben nicht senden durfte. Das Programm durchzustehen war nur dank der vorzüglichen französischen Küche möglich - wann wird das endlich europäisiert?


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