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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.18 vom 02.09.1999, Seite 3

Iran

Ein Hauch von Frühling

Mit Gottes Willen und der Präsenz unseres Volkes ist das Chaos wieder zur Ruhe gebracht worden", brüstet sich der iranische Geheimdienst "Sawama" der Niederschlagung des studentischen Aufstands. "Die Schuldigen werden alsbald vor die Revolutionsgerichte gestellt und abgeurteilt werden."
Mehr als 4000 DemonstrantInnen sind seit den Auseinandersetzungen zwischen Sudierenden und Staatsmacht im Juni diesen Jahres verhaftet worden. Hunderte von ihnen sind seither verschwunden. Augenzeugen berichteten damals, dass staatliche Mordkommandos mit Kleinbussen in die Demonstrationen einbrachen, aus automatischen Waffen in die Menge schossen und die Leichen mit denselben Fahrzeugen direkt davonschafften. Andere seien auf dem Weg in die Krankenhäuser "verschwunden". Von ihnen allen fehlt seither jede Spur.

Die Auseinandersetzungen brachen los, als Anfang Juni die reformerisch islamistische Zeitung Salam verboten wurde. Mussawi Khoiniha, Chefredakteur der Zeitung und seinerzeit einer der Anführer des Sturms auf die US-Botschaft in Teheran, hatte kurz zuvor einen Artikel veröffentlicht, der die Strategien des Geheimdienstes zur Gleichschaltung der öffentlichen Meinung offenlegte. Der Artikel stammte von einem inhaftierten hohen Geheimdienstbeamten, der Opfer eines zweifelhaften Selbstmords geworden war.
Bereits einen Monat zuvor war ein weiterer Journalist, der Sudentenführer Heschmat Tabarzadi, Chefredakteur der Zeitung "Studentenbote" verhaftet worden. Die Zeitung, die mehrfach Demokratisierungsaufrufe veröffentlicht hatte, wurde geschlossen. Die verstärkte Repression gegen die reformorientierten Medien stellte die Umsetzung eines zuvor im Parlament verabschiedeten Gesetzes zur Beschränkung der Pressefreiheit dar.
Mit brutaler Gewalt beantwortete die staatliche Seite bereits die ersten friedlichen Proteste gegen die Einschränkungen der reformorientierten Presse. Pasdaran-Milizen (Revolutionswächter) stürmten noch in der Folgenacht die Wohnheime der Sudierenden der Universität Teheran, plünderten und zerstörten die Räume, verprügelten die im Schlaf überraschten BewohnerInnen und warfen nicht wenige aus den Fenstern der mehrgeschossigen Gebäude. Vier Studenten wurden auf diese Weise ermordet.
Doch die Sudierenden ließen nicht von ihren Protesten ab. Im Gegenteil, die Provokation trieb nur noch mehr Menschen auf die Straßen. Während der darauf folgenden Tage protestierten Hunderttausende in den Universitätsstädten Teheran, Isfahan, Mashad und Tabriz.
Der in den westlichen Medien zumeist mit dem Beginn der Revolution von 1979 verglichene Sudierendenaufstand, trat im Unterschied zu damals jedoch nie mit dem Anspruch an, das politische System des Iran gänzlich umzuwälzen. Er hatte seine Wurzeln in der Reformphase, die seit der Wahl Khatamis zum Staatspräsidenten im Juni 1997, die Politik des Landes bestimmt.
Für viele brach mit dieser Wahl eine Epoche der Hoffnung auf eine schrittweise Liberalisierung des verkrusteten islamistischen Regimes an. Khatami versprach eine menschenwürdige Gesellschaft und eine offene Politik - wenn auch im Rahmen des bestehenden Systems. Bei einer Wahlbeteiligung von 30 Millionen erhielt er 22 Millionen Stimmen. Davon kam ein sehr hoher Anteil aus den Reihen der Sudierenden und der Frauen auch außerhalb der Universitäten.
Mit dem Regierungswechsel ergaben sich tatsächlich neue Spielräume für die öffentliche Debatte um demokratische Freiheiten, insbesondere im Bereich der Presse und Redefreiheit. Durch die Gesellschaft insbesondere durch die Intellektuellen und Studierenden ging ein Ruck, der für viele den Aufbruch zu neuen politischen Initiativen bedeutete.
Die Debatten über mögliche neue Freiheiten fanden ihren Widerhall innerhalb der Presse und wurden an den Universitäten aufgegriffen. Die neu entstandene Sudierendenbewegung grenzte sich deutlich von den Fundamentalisten der Regierung ab, forderte mehr Demokratie, Pressefreiheit, die Freilassung der politischen Gefangenen, und ein Teil der Studierenden verlangte gar die Trennung von Religion und Politik.
Diese Entwicklung konnte die alte Garde der Machthaber des Iran nicht tatenlos hinnehmen. Niemals hatten die Fundamentalisten mit einem so deutlichen Stimmenverlust bei den Präsidentschaftswahlen gerechnet. Nach der Erholung vom ersten Schock begannen sie mit der Torpedierung des Reformkurses und dem Ausbau der im Wesentlichen noch bei ihnen verbliebenen Macht.
Auf Initiative des bei der Wahl gescheiterten Ex-Präsidenten Rafsandjani, setzte der oberste Ayatollah Khamenei eine Sonderkommission unter dem Titel "Aufsichtskommission zugunsten der Regierung" ein. Hiermit entstand eine zusätzliche Regierung innerhalb der bereits bestehenden Regierung.
Damit versuchte sich der seit der Revolution von 1979 uneingeschränkt herrschende islamistische Machtapparat, das sog. Regime des "Welayate Faghih", des "Allwissenden", den ins Wanken geratenen Regierungseinfluss zurückzuholen.
Innerhalb dieses Regimes ist der religiöse Führer, der oberste Ayatollah, der eigentliche Herrscher über Politik die Gesellschaft. Er hat sämtliche Entscheidungsvollmachten, einschließlich der Ausrufung von Kriegen. Ihm unterstehen die gesamte Armee, die Revolutionswächter und der komplette Sicherheitsapparat. Die Justiz und alle Regierungsämter sowie Hörfunk, Fernsehen und die staatliche Tageszeitung Keyhan sind durch den Ayatollah kontrolliert. Der noch über der Regierung stehende Sicherheitsrat, der alle Senatsabgeordneten kontrolliert und die Gesetze verabschiedet wird durch den Ayatollah berufen und entlassen. Auch die Ernennung des Ministerpräsidenten bedarf seiner Zustimmung. Der oberste Ayatollah sieht sich als Prophet Gottes.
Auch nach der Wahl Khatameis zum Präsidenten blieb das Regime des "Welayate Faghih" zwar unangetastet, die Verankerung des Reformers in der Bevölkerung setzte die konservativen Mullahs dennoch unter erheblichen Legitimationsdruck.
Eigentlich erlaubt das Regime des "Welayate Faghih" dem obersten Ayatollah auch, den Sicherheitsrat dazu aufrufen, den Staatspräsidenten seines Amtes zu entheben. Die Beliebtheit Khatameis jedoch setzte selbst dem autoritären Regime gewisse Grenzen der Willkür. Daher planen die systemstabilisierenden Kräfte bereits seit längerer Zeit die Absetzung des Reformers über eine gesteuerte Zuspitzung der öffentlichen Auseinandersetzungen. Bereits im vergangenen Jahr diente die Verhaftung des ebenfalls reformorientierten Bürgermeisters von Teheran und die gezielte Ermordung bekannter und beliebter Schriftsteller und Intellektueller der Provokation der Reformregierung.
Auch die brutalen Übergriffe gegen die studentischen Demonstrationen die ja angetreten waren um Khatameis Reformkurs zu unterstützen und voranzutreiben, ohne jedoch das System insgesamt in Frage zu stellen lassen sich nur vor dem Hintergrund dieser Strategie verstehen. Eine von Seiten des Regimes intendierte Zuspitzung der Proteste durch gezielte Provokation, sollte Unruhen in den wichtigsten Städten des Landes aufbrechen lassen, die den Rückgriff auf die gesetzlich erlaubte Ausrufung des Ausnahmezustands ermöglichen sollte. Dieser Ausnahmezustand, der auf sechs Monate zu begrenzen ist, hätte damit den Weg dafür bereitet, vor den für Februar nächsten Jahres geplanten Parlamentswahlen, die Reformkräfte, denen erhebliche Stimmerfolge vorausgesagt werden, in der Vorwahlphase mundtot zu machen.
Am 4.8. veröffentlichten mehrere iranische Zeitungen einen in der ersten Nacht der studentischen Proteste geschriebenen Brief des Oberkommandierenden der "Pasdaran-Milizen" an alle Kommandeure. In diesem Brief wurde die geplante Verhängung des Ausnahmezustands und die nachfolgende Kontrolle des Landes durch die Revolutionswächter angekündigt.
Die Provokationen verfehlten ihr Ziel nicht. Zu lange schon hatten sich die Studierenden angesichts der staatlichen Unterdrückung zurückgehalten. Zahllos sind die Forderungen der 25 Millionen Iranerinnen und Iraner, die unter 20 Jahre jung sind. 1,5 Millionen studieren in Teheran und anderen iranischen Großstädten. Ein Drittel davon sind Frauen, ein für die Geschichte der Frauen im Iran einzigartig hoher Anteil. Immer wieder waren es die Sudierenden, die als einzige geschlossene Gruppe dem bestehenden Regime entgegentraten. Auch die Bevölkerung verfolgt aufmerksam und erwartungsvoll die Aktivitäten der Studierenden.
Früher, zu Zeiten der Diktatur von Schah Reza Pahlewi, konnten nur die Kinder wohlhabender Eltern die Universität besuchen. Heute sind alle Schichten an der Hochschule vertreten. Die Universität wird somit zur breit gefächerten Plattform für soziale und politische Diskussionen. Vorbei sind die Zeiten, als sich der Studierendenrat ausschließlich aus gläubigen Muslimen zusammensetzte. Doch selbst unter den gläubigen Studierenden wird der Ruf nach Veränderungen immer stärker. Sie sind die Kinder jener DemonstrantInnen, die vor 20 Jahren auf die Straße gegangen sind und noch immer auf die Erfüllung der damals gemachten Versprechungen Khomeinis warten.
Die Forderungen der Studierenden beziehen sich nicht nur auf ihre Studiensituation, sondern ebenso auf die Veränderung der gravierenden sozialen Zustände im Land. Sie brachten die Arbeitslosigkeit genauso zur Sprache wie die Studiengebühren und die Durchsetzung demokratischer Reformen. Die meisten der Protestierenden stehen für eine Politik ohne Gewalt, aber mit entschiedem Willen zur Veränderung.
Unter den Sudierenden lösten die Übergriffe der sog. Sicherheitkräfte daher die erwartete Zunahme der Proteste aus. Über vier lange Tage hinweg tobten die Straßenkämpfe in den Universitätsstädten. Doch während die Sudierenden noch den Reformkurs Khatameis verteidigten, dachte dieser schon darüber nach, wie er den eigenen UnterstützerInnen in den Rücken fallen und die Proteste beenden könne. Er ließ öffentlich erklären, dass es "ausländischen Elementen" nicht erlaubt werden dürfe, den Status quo im Iran zu missbrauchen. Die Gesetze und die "islamische Einheit" seien in jedem Fall zu beachten und alle, die die staatliche Sicherheit gefährdeten, müssten unverzüglich bestraft werden.
Mit jenen, "die die staatliche Sicherheit gefährden", waren jedoch nicht etwa die zum Putsch bereitstehenden Reformgegner gemeint, sondern die für Khatameis Reformkurs protestierenden Sudentinnen und Studenten.
Mit dieser Kehrwende schlug Khatamei der Opposition die Spitze ab. Massenverhaftungen folgten. Hunderte von Angeklagten erwartet heute die Todesstrafe.
Fürs erste scheint der Demokratiebewegung im Iran durch den Verrat Khatameis ein empfindlicher Schlag versetzt worden zu sein. Doch mit oder ohne den vorsichtigen Reformer - die Sudierenden werden weitermachen. Längst beziehen sie sich in ihren Forderungen nicht mehr auf den zaudernden Staatspräsidenten. Viele haben erkannt, dass auch dieser den Rahmen des religiösen Systems letztlich nicht wirklich verlassen möchte. Wenn sie demnächst für friedliche demokratische Reformen streiten, werden sie sich auf sich selbst berufen.
Ruzbeh Sadeghi


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