Sozialistische Zeitung |
Dortmund
Bei der bevorstehenden Kommunalwahl wird nicht nur über die Kommunalpolitik abgestimmt. Die Leute machen keinen Unterschied
mehr zwischen Landes-, Bundes- und Kommunalpolitik." Peter Schulte ist Betriebsratsvorsitzender bei Kettner in Dortmund. Hier ist die
Partei wie auch andernorts in Korruptionsskandale verwickelt. Franz-Josef Drabig, Ex-OB-Kandidat und schon als Nachfolger von OB
Günter Samtlebe ausgeguckt, musste kurz vor der Wahl wegen Nichtversteuerung von Aufsichtsratsgeldern von allen Ämtern
zurücktreten.
"In den Betrieben wird häufig so diskutiert: Die SPD muss eine saftige Quittung kriegen, die einzige Möglichkeit dazu ist,
CDU zu wählen." Das ist natürlich nicht Peters Meinung, weswegen er auch die einzig wählbare linke Alternative, das
"Linke Bündnis - Parteilose, DKP, PDS" unterstützt. Kandideren mochte er für die Liste nicht, dazu ist sie ihm zu
KPF-lastig, das sei "das falsche Signal". (KPF = die sogenannte Kommunistische Plattform der PDS.)
Die Gewerkschaft argumentiert natürlich gegen den Trend, CDU zu wählen. "Auf der letzten Vertreterversammlung der IG
Metall waren die Leute richtig stinkig auf die SPD, vor allem wegen der Rentenpolitik. Schließlich sind die meisten davon auch in einem
Alter, in dem es sie betrifft. Solche Pläne kann auch ein Mann des Apparats wie Harald Schartau, der Bezirksleiter der IGM für
NRW, nicht mittragen, weil sie auch seine Position untergraben. Auch die Sache mit dem Kombilohn ist hier auf Kritik
gestoßen."
Gewerkschafter haben auf der Versammlung ausführlich erklärt, was der Gegenkandidat der CDU, der
Hörgerätehersteller Volker Geers, für einer ist: Er tritt ganz als Unternehmer auf, nimmt so gut wie keinen Bezug auf die
CDU, sagt sogar ausdrücklich, deren Programm interessiert ihn nicht. "Dortmund braucht Unternehmer, keine Langeweiler",
ist sein Motto. Das mit dem Langeweiler ist eine Ironie auf den Spitzenkandidaten der SPD, der heißt Langemeyer. "Damit versucht
er, sich den Leuten als über den Parteien stehend anzudienen. Er setzt darauf, dass sie ihm seine Kompetenz als Unternehmer abnehmen.
Inhaltlich vertritt er Marktradikalismus pur. Sein Unternehmen, das im Technologiepark angesiedelt ist, ist gewerkschafts- und betriebsratsfrei.
Er will alles privatisieren, die Preise für den öffentlichen Nahverkehr sollen steigen."
Die SPD hat dem konzeptionell nichts entgegenzusetzen. Der Kandidat wirbt mit einem völlig inhaltsleeren Spruch: "Dortmund
braucht einen klugen Kopf - Langemeyer". "Allein die Auswahl des Kandidaten ist ein Hinweis darauf, dass in der SPD was
aufbricht. Bislang hat immer die SPD-Betriebsgruppe von Krupp-Hoesch das kommunale Spitzenpersonal gestellt. Der neue Kandidat kommt
nicht mehr aus diesem Stall." Der war Kulturdezernent und kommt aus der Verwaltung. Die sozialen Entwicklungen, aber auch die Politik
der Bundesregierung und die harte Kritik der Leute insbesondere an der Renten- und Sozialpolitik zwingen die Partei, sich zu
"erneuern". Sie ringt schwer um angemessene Reaktionen. Aber sie tut nichts für ihre Anhängerschaft, die mehrheitlich
immer noch aus den Betrieben kommt. Und im Rat macht sie - trotz ihrer absoluten Mehrheit - bei allen wichtigen Projekten seit Jahren eine
große Koalition mit der CDU.
Das betrifft vor allem die Großbauprojekte, mit denen sie im Wahlkampf wirbt und die in der Regel höchst fraglich sind: die
Untertunnelung der B1 bspw., die Überbauung des Hauptbahnhofs, der Ausbau des Flughafens…
"Dabei ist die Infrastruktur der Stadt an vielen Stellen sanierungsbedürftig, da passiert wenig. Dringend wären die
Wiederherstellung des Dortmund-Passes für Arme, die Schaffung von kommunalen Stellen zu tariflichen Bedingungen, um die
Langzeitarbeitslosigkeit zu bekämpfen - das sind Themen für eine linke Opposition".
"Auffällig ist die Amerikanisierung desWahlkampfs und die marktwirtschaftliche Zurichtung von Politik. Die CDU führt gar
keine eigene Kampagne; sie stellt nur ihren Kandidaten heraus, in den Farben von Borussia und begleitet von allen möglichen
Werbeartikeln. Sie hat zwei Plakatserien entworfen: eine für Geers in den Farben gelb und schwarz; die Gegenplakate gegen die SPD
sind schwarz und rot und tragen die Aufschrift: ‚Genossen, ihr habt eure Chance gehabt: Abtreten!"
Duisburg
In Duisburg gibt es nicht so spektakuläre Korruptionsfälle wie in Dortmund oder Köln. Dafür kleinere: Vor einigen
Monaten musste der Dezernent der Entsorgungsbetriebe wegen für die Stadt kostspieliger Verträge im Zusammenhang mit der
Privatisierung der Stadtreinigung abtreten. Auch in Duisburg ist die Stimmung verheerend. Ein WDR-Team hat kürzlich für die
Sendung Lokalzeit Stimmungsbilder von SPD-Veranstaltungen, Sommerfesten, aus Schulen und Betrieben eingefangen. Der Beitrag musste
"umgeschrieben" werden, die Sendeleitung bezeichnete ihn als "nicht ausgewogen".
Auch in Duisburg ist die Neigung bis in die Stammwählerschaft groß, der SPD diesmal einen Denkzettel zu verpassen. "Zu
lange haben zu viele an der SPD-Basis die Politik ihrer Partei gesundgebetet. Jetzt wirkt die Kritik an der SPD auf allen Ebenen, weil sie auf
allen Ebenen die Schalthebel besetzt."
Hermann Dierkes, Betriebsrat bei der E&H GmbH, kandidiert für das DuisBürgerBündnis (1994 bei den
Kommunalwahlen 2%) auf dem ersten Platz der PDS/Offene Liste. "Wir haben großen Zuspruch; bei vielen Infoständen ist
die SPD unter sich, die Grünen völlig isoliert. Unsere Stände hingegen erfreuten sich guten Zulaufs. Bis vor kurzem stand die
PDS noch in der Schmuddelecke, jetzt ist ein regelrechter Meinungsumschwung eingetreten. Wir kandidieren flächendeckend und haben
eine ganze Reihe von bekannten Leuten auf der Liste: aus der DKP, dem BürgerBündnis, Parteilose. Die örtliche PDS allein
wäre zu schwach gewesen." Die Aussagen der Liste drehen sich in der Hauptsache um Arbeitsplätze, die Reduzierung von
Industriedreck und Verkehrsaufkommen, innenstadtfixierte Stadtentwicklung, Ausländerfeindlichkeit und kommunale
Demokratie.
Auch in anderer Beziehung ist die Situation mit der in Dortmund vergleichbar: Der langjährige OB Josef Krings, der die Stadt seit Mitte
der 70er Jahre geleitet und auch die SPD zusammengehalten hat, trat nach der halben Amtszeit in den Ruhestand und wurde von der
Fraktionssprecherin der SPD, Frau Zieling, abgelöst, "eine rechte Technokratin, früher Oberstudienrätin, die mit den
alten Betriebsstrukturen und dem altsozialdemokratischen Milieu nichts zu tun hat". Sie vertritt ein Modernisierungsprogramm (Duisburg-
Plan, kapitalfreundliche Standortpolitik), das u.a. auf Glitzerprojekte in der Innenstadt, modische kulturelle "Events", die
Ansiedlung von Call-Centern und den Ausbau der Stadt zum Logistikzentrum setzt. Dies stößt in der Bevölkerung, bei HBV
und ÖTV wie auch beim örtlichen Handel mittlerweile aber auf Widerstand. Hermann gibt Beispiele. Ähnlich wie das
CentrO. in Oberhausen soll in der Nähe des Hauptbahnhofs ein gigantischer Konsumtempel entstehen, das Multi Casa. "Die
Vorbereitungen dafür laufen völlig geheim, nicht mal der Rat konnte sich damit befassen, und der lässt sich das auch noch
gefallen." Die WAZ hat neulich eine Umfrage pro oder contra Multi Casa gemacht, da haben sich fast 70% dagegen ausgesprochen, vor
allem Frauen, obwohl das angeblich ihre Chance sein soll, einen Arbeitsplatz zu kriegen. Das Musical Les Misérables, das vier Jahre
in Duisburg spielte, ist inzwischen pleite. Dafür soll Duisburg die vierte NRW-Spielbank bekommen. Wir frotzeln nur darüber:
vielleicht will Frau Zieling mit ihren Spieleinsätzen ja demnächst die Haushaltslage der Stadt aufbessern - natürlich nur aus
der Portokasse!"
Frau Zieling, erklärt Hermann, ist gegen den Willen von Krings seine Nachfolgerin geworden. "Da hat sich der jüngere
Technokratenflügel gegen die alten AfA-Strukturen der SPD durchgesetzt." Die "Jungen" haben auch ein anderes
Verhältnis zu den Gewerkschaften. Frau Zieling z.B. tritt gegen gewerkschaftliche Kritik ziemlich frech auf. Das Duisburger Citibank-
CallCenter hatte im Juni geschlossen und 80 Leute auf die Straße gesetzt, weil die Beschäftigten für einen Haustarif streikten.
In den neuen Büroturm am Hauptbahnhof wurden nur willige Beschäftigte aufgenommen. "Die HBV führt einen
erbitterten Kampf um tariflich geschützte Arbeitsverhältnisse und die Oberbürgermeisterin lässt sie im Stich, wirbt
lieber für die Ansiedlung weiterer Billigjobs."
Unterdessen geht der Arbeitsplatzabbau weiter: Schließungen drohen bei der DB Cargo (500 Arbeitsplätze), in der
Stadtverwaltung (1000), natürlich auch im Stahlbereich. Azubis werden fast keine mehr eingestellt.
Die CDU hat einen unabhängigen Kandidaten aufgeboten, Herrn Born, ehemaliger Unirektor und Professor der Physikpädagogik.
Angeblich ist er kein CDU-Mitglied. "Inhaltlich unterscheidet ihn nichts von Frau Zieling, aber er erweckt den Eindruck von frischem
Wind und wird sicher SPD-Stimmen ziehen. Wenn die Grünen, die in Duisburg zur Bundes -und Landespartei auf Distanz gehen, auf 5-7
Prozent kommen, kann Frau Zieling in die Stichwahl kommen." Hermann rechnet damit, dass er in den Rat kommt, das ist nach dem Fall
der 5%-Klausel nicht schwer. Aber allein will er da nicht sitzen, sein Ziel ist die Fraktionsstärke. Deshalb wirbt die PDS-Offene Liste
auch mit der Aufforderung: "Drei sind eine Fraktion".
Oberhausen
"In Oberhausen wird die SPD nur 3% verlieren, nicht, wie landesweit, 5% und mehr." Tobias Michel, Konzernbetriebsrat beim
Krupp-Krankenhaus in Essen und Kandidat auf Platz 7 der PDS-Linke Liste, weiß auch warum: "Hier hat die SPD den
Strukturwandel geschafft und Oberhausen zu einem Tourismus- und Medienzentrum ausgebaut. Wir haben das Einkaufsparadies CentrO., das
Aquarium, einen gläsernen Menschen zum Besteigen, ein Gasometer mit Christo, eine gastronomische Meile. Bei jungen Arbeitern und
Angestellten kommt das gut an, die vergessen darüber auch schon mal die gleichbleibend hohe Arbeitslosigkeit und die Verödung
der Innenstadt: da geben nicht Tante-Emma-Läden auf, sonden ganze Kaufhäuser verkommen zu Ramschläden oder werden
ganz verrammelt." In der Hitliste der Städte mit dem größten Freizeitwert von NRW liegt Oberhausen mitttlerweile auf
Platz 3, gleich hinter Köln und Düsseldorf.
Der OB-Kandidat und gleichzeitiger Oberstadtdirektor Burkhardt Drescher wurde vor acht Jahren aus einer fremden Stadt geholt. Er hat das
alles in Bewegung gesetzt und will aus Oberhausen "eine Stadt wie Berlin und Paris" machen. Die Leute mögen das, er gilt
als "Weitermacher" und so kommt es, dass in dieser Stadt Skandale wie der um das Hightechzentrum HDO an der SPD
vorbeigehen.
Anders im benachbarten Mülheim. Dort hat die SPD vor fünf Jahren die absolute Mehrheit und damit das
Oberbürgermeisteramt an Schwarz-Grün bzw. an die CDU verloren. Mülheim mausert sich zur Geldburg des Ruhrgebiets:
hier konzentrieren sich Handelssitze von Firmen und die Wohnsitze der Reichen. Trotzdem sähe es für die jetzige Koalition nicht
gut aus: Schwarz-Grün ist an einer Personalfrage geplatzt und die SPD könnte den OB-Sitz zurückerobern, säße
ihr nicht Bodo Hombach im Nacken, der u.a. wegen dubioser Immobiliengeschäfte in Kanada den Vorsitz der SPD-Niederrhein
niederlegen musste. "Diesmal kann es passieren, dass die SPD gleich in einer Reihe von Städten die absolute Mehrheit verliert und
‚rot-grüne Bündnisse gebildet werden."
Die Kandidatur der PDS-Linke Liste wurde in Oberhausen ziemlich kurzfristig aus dem Boden gestampft. Die Autonomen hatten die Initiative
ergriffen, wollten dann aber nicht auf den vorderen Plätzen kandidieren. Dort sind nun eher behäbige DKPler gelandet, die
früher auf der Grün-Offenen Liste Platz hatten. Das Wahlkampfmaterial aus Düsseldorf kommt in Oberhausen nicht gut an. Da
malt man sich seine Plakate lieber selber. Mit Filzstift und als Kommentar zur Losung der Grünen: "Unser Programm heißt
Oberhausen" heißt es dann etwa: "Unser Programm beißt Oberhausen." Eine Veranstaltung vor den Wahlen kriegt
die Liste nicht hin, aber es gibt schon Vorschläge für erste Aktionen, wenn die PDS im Rat ist. Im Oktober-November will sie mit
einer Lesung der Rathausprotokolle an die Öffentlichkeit treten. Motto: "gläsernes Rathaus". Die Aktion soll
dokumentieren, dass im Rat nichts läuft.
"Das ist eher Schlingensief-Niveau", gibt Tobias zu, die Kandidatur knüpft nicht ans Massenbewusstsein an, bietet aber
vielen Menschen die Möglichkeit, ihre Unzufriedenheit mit dem herrschenden Politikgeschehen auszudrücken. "Niedrigstes
politisches Niveau" und etwas "Hobbygärtnerhaftes" kennzeichnet die "linke Alternative", es fehlen
"die personellen Antworten". Wenigstens eine Protestwahl will man hinkriegen.
Angela Klein