Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-
Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.18 vom 02.09.1999, Seite 15

Warten auf die letzte Welle

Manu Chao: Clandestino (Virgin France)

Mano Negra, mal als beste Lifeband der Welt, mal als Erfinder des world punk beschrieben, haben sich vor drei Jahre leider, leider aufgelöst. Was soll unsereiner da im Sommer hören, wenn das Wetter nach leichter Musik schreit. In diesem Jahr war es besonders schlimm. Schönes Wetter den ganzen Juli und die Sommerhits einer grausamer als der andere. Da fiel mir zum Glück die Platte des Sängers und Mitbegründers von Mano Negra, Manu Chao, ein die er im letzten Jahr nach einer langen Südamerikareise in Frankreich produziert hatte. In der Schweiz war die Platte im letzten Jahr ein Renner und hier völlig unbeachtet.
Die Musik, die Manu Chao von seiner Reise mitbrachte, plätschert mit genau der Leichtigkeit vor sich hin, bei der sich Bilder des Südens in die Tagträume mischen, und er reiht im Grunde einen Sommerhit an den anderen. Ob Rumba, Reggae, Afrobeat oder die Musik seiner Heimat Andalusien, Manu Chao verbreitet mit der Musik Leichtigkeit und wohlige Melancholie.
Die Texte, zumeist in spanischer Sprache, sprechen von den Alltagsproblemen in diesem Süden. Das einzige Liebeslied ist in Französisch. (Es handelt von der Konsequenz einer gescheiterten Beziehung.) Wie eine derart einfache Liedstruktur es schafft, sich locker vom Schlager wie von den oben genannten Sommerhits abzugrenzen, macht einfach Freude.
So leicht wie die Musik daherkommt, so tief sitzen die Texte. Es ist unübertroffen, wie er besingt, dass die ganze Welt eine Lüge ist, oder die Geliebte keine Schuld hat an der Hässlichkeit der Erde.
"Welcome to Tijuana", ist für mich der herausragende Titel auf dieser CD. Diese Stadt an Mexikos Grenze zu den USA, Durchgangsstadt für Latinos und Latinas, die in die USA wollen, und Ziel für US-Touristen auf der Suche nach billigem Alkohol, Shit oder Huren bietet immer wieder Stoff für Lieder. Meistens wird nur eine Seite dieser Stadt besungen, ihre südliche Seite. So zum Beispiel J.J. Cale, der die Begegnung mit einem Mädchen beschreibt, das ihn bittet, sie als seine Tochter auszugeben und so über die Grenze mit nach Norden zu nehmen.
Manu Chao aber lässt beide Seiten auftreten, den Norden auf Englisch, den Süden auf Spanisch. Neben den Mariachi-Bläsern taucht die Gitarrenmelodie aus "Desaperecido" (Der Verschwundene), einem anderen Lied der CD, wieder auf. Subcomandante Marcos fordet am Ende des Liedes Bildung, Demokratie, Brot etc. vor dem Hintergrund einer Straßenszene.
Auch in anderen Liedern wendet Manu Chao eine ähnliche Collagetechnik an. Verweise auf andere Stücke, auch von Mano Negra, gespickt mit Nachrichtenausschnitten oder Tiergeräuschen. So bekommt die Leichtigkeit der Musik Brüche, Kanten und verhindert, dass sie eintönig wirken.
Eine Kritikerin schrieb: "Eine Stunde lang scheinen die Kontinente zusammenzudriften, wen kümmern da noch Nebensächlichkeiten wie Börsenkurse." Aber das ist es eben genau nicht, vielmehr balanciert Manu Chao auf der Grenze zwischen Norden und Süden, wartend auf die letzte Welle, die da sämtlichen Börsenkursen den Garaus macht.
DJ Tommy


zum Anfang