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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.19 vom 16.09.1999, Seite 1

SPD: zweite Sonnenfinsternis

Die Landtagswahlen im Saarland, in Brandenburg und Thüringen sowie die Kommunalwahlen in NRW endeten in einem Fiasko für die Schröder-SPD. Dieses hat eine zentrale Ursache: die tiefe Enttäuschung und Verbitterung von Millionen Menschen über den Kurs der sozialdemokratisch geführten Bundesregierung und seine verheerenden sozialen Auswirkungen. Dafür haben sie die Kohl-Regierung im vergangenen Herbst nicht abgewählt.
Die CDU, die nun das Saarland und Thüringen allein regieren kann und auch in NRW reihenweise SPD-regierte Großstädte knackte, hat überhaupt keinen Grund zu jubeln. Die Wahlergebnisse sprechen ihr jede Legitimation für eine radikale Fortsetzung der Kohl-Schröder-Politik ab. Ihre Wahlerfolge verdankt sie nicht einer massiven Wählerwanderung von der SPD zur CDU, sondern vor allem der massenhaften Nichtbeteiligung sozialdemokratischer Wählerinnen und Wähler.
Die niedrige Wahlbeteiligung hat bei allen Wahlen geradezu eine Boykottstimmung zum Ausdruck gebracht. Diese Tendenz muss als Ablehnung sowohl der CDU- wie der SPD-Politik gewertet werden, die inzwischen weitgehend deckungsgleich geworden sind.
Bei den Wahlen stand nicht die Arbeit der Landesregierungen auf dem Prüfstand; deren Politik wurde in entsprechenden Umfragen jeweils viel besser beurteilt als die der Bundesregierung. Aber, wie Stolpe sagte: "Die Menschen haben uns nicht geglaubt, dass wir uns [gegen die Bundesregierung] durchsetzen können." Stolpe hätte dies auch nicht getan, zählt er doch zu den Ministerpräsidenten, die auf wirtschaftliches Wachstum durch weitere Deregulierung setzen. Seine Distanz zu Schröder kurz vor den Wahlen haben die WählerInnen als taktisches Manöver durchschaut. Mit Klimmt von der Saar ist es nicht anders. Er hat sich kurzerhand als Verkehrsminister ins Bundeskabinett holen lassen, um sich künftig der Kabinettsdisziplin zu unterwerfen. Damit wäre ein Scheinoppositioneller gegen Schröder kaltgestellt. Nicht zu Unrecht wird geunkt, daß das Bundeskabinett schon eine Versorgungsstation für gescheiterte SPD-Ministerpräsidenten geworden ist.
Bei der SPD ist nicht nur die famose "Neue Mitte" eingebrochen - aufstiegsorientierte Jungwähler, die sich keiner Klasse mehr zuordnen wollen; sie hat vor allem sozialdemokratisches Stammwählerpotenzial und junge WählerInnen verloren. In Saarland und Brandenburg verlor sie überdurchschnittlich bei den un- und angelernten Arbeitern (-10 bzw. -20 Prozentpunkte); bei den Arbeitslosen in Brandenburg verlor sie 22 Prozentpunkt; bei den WählerInnen unter 30 Jahren verlor sie im Saarland 13, in Brandenburg 25 Prozentpunkte. Auch in den Kommunen von NRW waren es vor allem Arbeiterviertel und sog. soziale Brennpunkte, in denen die Wahlbeteiligung auf 30% sank.
In Brandenburg hat sich gezeigt, dass das Thema Arbeitslosigkeit und die Unfähigkeit bzw. der Unwille der in Berlin und in den Ländern regierenden Parteien, diese wirksam zu bekämpfen, ein entscheidender Faktor für den Aufstieg einer rechtsextremen Partei wie der DVU ist. Nur die Hälfte der Wählerschaft in Brandenburg, das Arbeitslosenraten bis zu 30% hat, traute einer der Parteien zu, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Die DVU, die im Landesdurchschnitt in Brandenburg 5,3% bekommen hat, hat genau dort abgesahnt, wo die SPD ihre höchsten Verluste hatte: bei den unter 30-Jährigen (11% - bei Männern in dieser Altersgruppe sogar 16%), bei Arbeitern und Arbeitslosen 8%.
Die PDS hat in Brandenburg (+4,6%) und in Thüringen (+4,6%) hervorragende Ergebnisse erzielt. In Brandenburg landete sie als drittstärkste Partei knapp hinter der CDU, in Thüringen erstmals als zweitstärkste Partei (21,2%) noch vor der SPD (knapp 19%). In NRW hat die PDS 33 Mandate in 17 Stadträten und 4 Kreistagen errungen. Spitzenreiter ist Duisburg, wo auf Anhieb 4,2% erzielt wurden, was eine dreiköpfige Ratsfraktion einbrachte.
Wegen des gleichzeitigen Einbruchs der SPD wird es jedoch weder in Brandenburg noch in Thüringen zu der von der PDS nach der Bundestagswahl erhofften Koalition mit der SPD kommen. Die PDS enthebt das der Debatte über Koalieren oder Opponieren, die in ihren Reihen durchaus kontrovers geführt wird. Immerhin hatte der Parteivorsitzende Bisky, der in Potsdam das Direktmandat geholt hat, kurz nach der Wahl eilfertig erklärt, der Bau desTransrapid und des Großflughafens Schönefeld seien "nicht die Nagelprobe".
Die Schröder-SPD hat nichts Linkes mehr. Deren Reaktion läßt sich am besten an Münteferings Äußerung am Abend des Wahldebakels in NRW ablesen: "Jetzt muss die eigene Wohnung saubergefegt werden. Das wird geschehen." Das ist nicht etwa ein Hinweis auf eine neue Nachdenklichkeit in Berlin, sondern eine Kampfansage an die letzten Rest linker und keynesianisch orientierter Kritiker in der SPD.
Die vergangenen beiden Wahlwochenenden haben einen Erdrutsch zugunsten der Konservativen bewirkt. Es gibt überhaupt keine Aussicht, ihn zu stoppen, wenn nicht doch noch eine massive gesellschaftliche und politische Mobilisierung gegen die Schröder- und die CDU-Politik stattfindet, und hier unmittelbar gegen das 30-Mrd.-DM-Kürzungspaket der Bundesregierung. Gewerkschaften wie Sozialdemokraten können sich die sorgenvollen Worte um den Einzug der DVU sparen: wenn sie nichts gegen die neoliberale Politik mit ihren wüsten gesellschaftlichen Folgen unternehmen, bleibt dieses Gerede hilflos und bestenfalls ein Alibi. Bislang sind die Erwerbslosen wieder einmal die einzigen, die Aktionen gegen das Sparpaket angekündigt haben (am Weltspartag, dem 29.10.). Die DGB-Spitze hingegen hat deutlich erklärt, daß der DGB nichts tun werde. Bleibt es dabei, wird das verheerende Wahlergebnis im Nachhinein noch durch die Gewerkschaften legitimiert. Eine entscheidende Rolle kommt jetzt - wie schon früher - der IG Metall zu. Beschließt der Gewerkschaftstag Anfang Oktober den Widerstand gegen die Streichungspolitik, kann sich das Blatt noch wenden.
Hermann Dierkes/Angela Klein


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