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Der Zug endete mit der Rede eines führenden Gewerkschaftsfunktionärs", gab der Spitzel des
thüringischen Verfassungsschutzes anonym zu Protokoll. Beobachtet hatte er noch vor Jahreswechsel eine friedliche antifaschistische
Demonstration in Erfurt, die am 7.November maßgeblich von HBV und DGB mitgestaltet worden war.
Derlei Aufmerksamkeit des "Amts" hat Methode in Thüringen, wo nach Erkenntnissen von DGB-Landeschef Frank Spieth
Gewerkschaften und gewerkschaftsnahe Einrichtungen "systematisch ausgespäht" werden. Viele Hinweise darauf liefert auch
die halböffentliche VS-Hauspostille Der Nachrichtendienst.
So ist der Ausgabe Nr.11/98 zu entnehmen, dass Frank Spieth Kundgebungsredner der Erfurter Antifademo war. Verfassungsschutzsprecher
Werneburg sieht nichts Anrüchiges in der Namensnennung. Spieth sei in der Rubrik "Der Monat im Amt" erwähnt, nicht
im offiziellen Berichtsteil zu extremistischen Bestrebungen, unterscheidet er spitzfindig.
Nach Auskunft Werneburgs wird der Nachrichtendienst seit Mai 1998 monatlich erstellt und zur Lektüre an alle Behörden des
Thüringens sowie die übrigen Landesämter für Verfassungsschutz geliefert. Die Gewerkschaften seien, "was mir
bekannt ist von den Kontakten mit meinen Kollegen", als Beobachtungsobjekt tabu.
Tatsächlich sind die Horcher und Gucker von Verfassungsschutzpräsident Helmut Roewer auch in dieser Richtung überaus
aktiv: "In Thüringen fand in diesem Zusammenhang [kurdisches Neujahrsfest] eine von Gewerkschaften und linken Organisationen
initiierte Antirassismusdemo am 20.März in Altenburg mit etwa 130 Teilnehmern statt", hielten sie in diesem Frühjahr
fest.
"Es geht bei den Überwachungs- und Kriminalisierungsversuchen nicht nur um den DGB oder den Flüchtlingsrat",
betont Julika Bürgin vom DGB-Bildungswerk. Als Vorstandsmitglied des Flüchtlingsrats hatte sie in Erfurt im März 1998
eine Demonstration anlässlich des Tages gegen den Rassismus angemeldet - prompt tauchte ihr Name im Monatsbericht des
Verfassungsschutzes auf, obwohl alles friedlich verlaufen war. Wegen der Teilnahme von "Unterstützern aus der örtlichen
autonomen Szene", so die nachgeschobene Begründung.
Julika Bürgins Klage auf Streichung ihres Namens ist noch immer anhängig. "Das alles ist nicht in erster Linie ein
Datenschutzproblem", erläutert sie.
"Es stellt sich die Frage, was für ein Demokratieverständnis dahinter steckt, wenn alle, die sich kritisch mit Staat und
Gesellschaft auseinandersetzen, ins Visier des Verfassungsschutzes geraten - Gewerkschafter, Hausbesetzer, AKW-Gegner oder jugendliche
Antifas."
Egal, ob eine Weimarer Friedensdemo zum Kosovo-Konflikt ("Mit Teelichtern wurde das bekannte Peace-Zeichen nachgebaut")
oder ein Antifa-Workcamp in Buchenwald - Augen und Ohren des Verfassungsschutzes sind immer dabei, wie seinen Berichten zu entnehmen
ist.
Gebaggert wird auch im World Wide Web. Die Auswertung im Nachrichtendienst (Juli 1998) liest sich dann z.B. so: "Antifa im Internet:
Der unter dem Briefkopf der Gewerkschaft HBV agierende Antifaschist F.Lucifero (Arbeitsname Angelo) teilt mit, dass das Hauptproblem des
Faschismus nur zu einem Teil die Organisationen seien, zum anderen wesentlicheren Teil sei es diese Gesellschaft." Es folgt der
diffamierende Ratschlag an den heutigen HBV-Landesvorsitzenden, in den Hinterlassenschaften des Ministeriums für Staatssicherheit
nachzulesen, wie man Normalbürger bespitzelt.
Gespitzelt aber hat der Verfassungsschutz selbst, wobei der Teufel hier buchstäblich im Detail steckt: Angelo (weder Arbeits- noch
Deckname) Lucifero war zum Zeitpunkt dieses versuchten Rufmords noch nie öffentlich mit seinem zweiten Namen Francesco
aufgetreten. Antworten auf die "Ausblick"-Fragen, welche Daten des HBV-Landeschefs der VS speichert und warum
Gewerkschafter einem ausgewählten Leserkreis als mutmaßliche Verfassungsfeinde präsentiert werden, wurden Mitte Juli
verweigert.
Polemisch und richtig leidenschaftlich wird der thüringische Verfassungsschutz immer dann, wenn es gegen links geht - gegen
Gewerkschafter, Autonome, Kommunisten/Sozialisten. Dagegen werden rechtsextremistische Aktivitäten zum Teil verharmlost oder gar
nicht erst zur Kenntnis genommen.
NPD und Junge Nationaldemokraten galten noch im letzten Jahr "als nicht gewaltbereite Organisationen", bei denen nur einzelne
Mitglieder auffällig würden. Für einen Skandal sorgte Verfassungsschutzpräsident Roewer, als er im Januar 1999 bei
einer Podiumsdiskussion forderte, "die guten und die schlechten Seiten" des Dritten Reichs darzustellen, um die Anfälligkeit
Jugendlicher für rechtes Gedankengut zu mindern. DGB-Landeschef Spieth hat von Innenminister Dewes (SPD) die Abberufung Roewers
gefordert. Bisher ohne sichtbares Ergebnis.
"Regierungen, die Angst haben vor kritischen Bürgerinnen und Bürgern, gefährden die Demokratie selbst" - ein
Satz aus dem Forderungskatalog des thüringischen DGB zu den Landtagswahlen am 12.September bringt das politische Klima im
Freistaat ziemlich genau auf den Punkt.
Andreas Hamann