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Eine Analyse der Ursachen des Balkankriegs, eine Bilanzierung der Folgen und Alternativen zur "neuen
Weltordnung", nachdem die neue NATO begonnen hat, sich als Interventionsallianz für das 21.Jahrhundert zu rüsten - das war
das Ziel einer Tagung, die am 4.September imFrankfurter DGB-Gewerkschaftshaus stattfand.
Veranstalter war eine ungewöhnliche breite Palette von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern, die in einer von mehr als 15.000 von
ihnen unterzeichneten Erklärung gegen den NATO-Krieg in Jugoslawien dafür eintraten, "Krieg als Mittel der Politik zu
ächten", wie es im DGB-Grundsatzprogramm festgelegt ist. Ein Grundsatz, der von zahlreichen gewerkschaftlichen
Vorständen durch ihre Zustimmung zum Jugoslawien-Krieg schlicht missachtet worden ist.
Die Referate, die im Plenum das Thema absteckten, aber auch die Foren über "Krieg als Medieninszenierung" sowie
"Was kostet der Krieg, und wer bezahlt ihn?" lösten zahlreiche Diskussionsbeiträge aus. Sie zeigten, dass dieser Krieg
völlig unterschiedliche Reaktionen auch bei denen hervorrief, die ihn ablehnten, und wie sehr es sie drängte, sich damit
öffentlich auseinanderzusetzen.
Den Höhepunkt bildete eine Podiumsdiskussion in der hochrangige Gewerkschaftsfunktionäre sich nicht scheuten offenzulegen,
welche Schwierigkeiten sie hatten, ihre kritischen Positionen in den eigenen Reihen zu vertreten. Vor allem auch darum, weil "von
unten" kein Druck kam. Offensichtlich hatte dort die Zustimmung zum Krieg, der von ihrer Regierung mit der Verteidigung von
Menschenrechten begründet wurde, breite Zustimmung hervorgerufen.
Sabine Leidig, DGB-Vorsitzende von Mittelbaden, berichtete, wie glücklich sie war, als es ihr gelang, "Verantwortliche" aus
ihrem Bereich von ihrem Standpunkt zu überzeugen und geschlossen gegen die Haltung des DGB-Bundesvorstands zu protestieren.
Selbstkritisch bemerkte sie, dass in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit gesellschaftliche Probleme neben den betrieblichen kaum diskutiert
werden.
Horst Schmitthenner, Mitglied des IG-Metall-Vorstands, nannte es seine "bitterste Erfahrung", dass die Gewerkschaften nach dem
Angriff auf Jugoslawien nicht den sofortigen Stopp der Bombardierungen forderten und die Verletzung des Völkerrechts
brandmarkten.
Der stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Postgewerkschaft (DPG), Michael Sommer, kritisierte, dass es seit 1990 in den
Gewerkschaften keine friedenspolitische Diskussion mehr gegeben hat. Die Zustimmung zum Angriffskrieg in Jugoslawien, die sich nicht nur
auf den Krieg beziehe, sei die Folge der "Hegemonie des Neoliberalismus in den Köpfen". Darum müsse eine
grundsätzliche Alternative zum Neoliberalisms, die sich nicht nur auf das Alltagsbewusstsein erreicht, erarbeitet werden. Mit Beifall
wurde begrüßt, dass er ankündigte, die Kommunikationgewerkschaften würden eine Balkankonferenz ihrer Mitglieder,
auch derer aus den Ländern Südosteuropas, durchführen.
Der Landesvorsitzende der IG Medien Hessen, Berthold Balzer, kündigte an, dass ein Europäisches Tribunal gegen den
"nicht erklärten Krieg" in Jugoslawien stattfinden werde, das am 30.September beginnt. Frank Spieth, DGB-Vorsitzender in
Thüringen, kritisierte, dass die Gewerkschaften sich in "eine babylonische Gefangenschaft militärischen Denkens"
begeben haben. Als Gegenentwurf schlug er vor, dass die Gewerkschaften z.B. die Auflösung der Bundeswehr zugunsten der Schaffung
eines Friedenskorps diskutieren sollten.
Selbstkritische Diskussionen "Hauptamtlicher" bei gleichzeitiger Entwicklung von Gegenpositionen gehören nicht eben zur
Tradition deutscher Gewerkschaften. Dieses Podium war deshalb eine ungewöhnlich lehrreiche und fruchtbare Überraschung, die
sich nicht durch Einmaligkeit auszeichnen darf. Es wäre durchaus sinnvoll zu diskutieren, wie Gewerkschaften sich zum Befreiungskampf
in Osttimor verhalten sollen. Nachdem die indonesische Diktatur Waffen für fünf Milliarden aus dem freiheitlichen Westen zur
Unterdrückung des eigenen Volkes erhielt, wäre die Forderung die Kämpfenden für die Unabhängigkeit
Osttimors mit Waffenbeständen der Bundeswehr zu versorgen durchaus angebracht.
Der "Arbeitsausschuss der Gewerkschaftslinken", kündigte an, dass am 3/4.Dezember in Stuttgart eine Konferenz stattfinden
wird, wo neben Thesen zu einer gemeinsamen Plattform auch die Haltung zur "rot"-grünen Regierungskoalition und zum
"Bündnis für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit" geklärt werden soll.
Jakob Moneta