Sozialistische Zeitung |
Immer wieder wird im Zusammenhang mit der zunehmenden Integration der SPD in den Neokapitalismus und
der damit verbundenen Übernahme von Funktionen die Frage aufgeworfen, was denn wohl Oskar Lafontaine davon hält.
Sicher wird der Autor Oskar Lafontaine ("Mein Herz schlägt links") die Niederlagen der SPD bei den zurückliegenden
Wahlen als Folgewirkung des Kurswechsels der SPD unter Schröder deuten. Gleichwohl wäre es - bei aller Dominanz
Schröders in der gegenwärtigen SPD-Politik - falsch, deren Entwicklungstendenzen zu stark zu personalisieren. Die Transformation
der SPD von einer linken Reformpartei zu einer mehr und mehr modernistisch-konformistisch orientierten bürgerlichen Demokratischen
Partei nach dem Vorbild der USA setzte bereits vor Jahrzehnten auf allen politischen Ebenen ein. Dieser Wandlungsprozess zur Neuen SPD ist
allerdings in vollem Umfang erst unter Schröder sichtbar geworden.
Ein übrig gebliebenes, sich sozialistisch orientiert nennendes Potenzial existiert in der SPD höchstens noch als Diaspora..
Gelegentlich diese Überreste von Gesinnungsgenossen verbal und mit exotisch anmutenden Papieren kurzzeitig auf Nebenbühnen -
vor allem Juso-Veranstaltungen - in Erscheinung. Dergleichen hatte und hat aber auf die Gesamtentwicklung der Partei so gut wie keinen
Einfluss.
Lafontaine selbst ist von seinem gesellschaftskritischen und ökonomischen Ansatz her wohl kaum als sozialistischer, eher als
keynesianischer Reformer zu definieren. Doch selbst dieser Ansatz gilt der gegenwärtigen Führungsriege der Neuen SPD
mittlerweile als zu links und ist gescheitert.
Erstaunlich ist nur, wie spät dies dem politisch so erfahrenen und pragmatischen Analytiker Lafontaine aufgefallen ist. Man kann nur
vermuten, dass er, sich selbst täuschend und noch immer euphorisch stimuliert vom Mannheimer Coup, wo er in mitreißender Rede
Scharping als Parteivorsitzenden abservierte, glaubte, nun die Zügel in der Hand zu haben. Wahrscheinlich hat er wirklich geglaubt, mit
Schröder die Bundestagswahl gewinnen und anschließend selbst die Weichen für die Regierungspolitik stellen zu
können. Den tatsächlichen ideologisch-pragmatischen Entwicklungsstand der SPD hat er bei diesem Kalkül offenkundig
weitgehend und folgenreich ignoriert.
Nun ist Lafontaine in der SPD kein wirksamer Hoffnungsträger mehr; es mangelt ihm dort vor allem an gleich gesinnten und konkreten
Einfluss ausübenden Gefolgsleuten. So rollte der Zug der Neuen SPD weitgehend ungehindert weiter in systemkonforme Richtung.
Verschleiernd wird dies die klassenspezifisch nicht näher definierte "Neue Mitte" genannt.
Nicht nur eine Bewegung
von links nach rechts
Die etwas bekannteren SPD-Linken Detlev von Larcher, Albers, Andrea Nahles werden kaum noch zur Kenntnis genommen - von der
Parteiführung ohnehin nicht, weil solche SPD-GenossInnen über so gut wie keine Interventionskraft verfügen. Ob sich
für Lafontaine demnächst andere politische Zuordnungen ergeben, muss vorerst offen bleiben.
Die jüngsten, verheerenden Wahlergebnisse der SPD sind für die in alter Parteitreue verbliebenen Mitglieder und
WählerInnen schockierend. Die Mehrzahl unter ihnen reduziert die Erklärung dafür aber darauf, die SPD habe ihre Politik
schlecht verkauft. Das ist auch der Grund, den die Parteioberen den Mitgliedern immer wieder vorhalten.
Zugleich steigt in den Reihen der Partei der Unmut über die Renten-, Steuer- und Wirtschaftspolitik der Neuen SPD-Grünen-
Regierung. Selten werden die politische Transformation der Partei und die damit zusammenhängenden Wählerverluste in
Zusammenhang mit dem gebracht, was das eigentliche Kernelement der Neuen SPD ausmacht: den Verlust jeglicher grundsätzlicher
Systemkritik und die Preisgabe aller politischen Visionen, die auf ein anderes, humaneres, emanzipatives Gesellschaftsmodell gerichtet sind,
mindestens aber auf eine Gesellschaft, in der die kapitalistische Verwertungspraxis eingeschränkt ist.
Stolpe, Dewes, Clement usw. sind fixiert auf ein ständig beschworenes weiteres Wirtschaftswachstum auf der Grundlage noch weiter
deregulierter Märkte. Dabei wird das Prinzip der Solidarität durch ein immer härteres, im individuellen wie im kollektiven
Leben wirksames Konkurrenzverhalten ersetzt. Die Matadoren der Neuen SPD sind, wie auch der überwiegende Teil der heutigen
Funktionärsschichten und erst recht die Mandatsträger der Neuen SPD davon überzeugt, dass die gegenwärtige
Gesellschaft in all ihren Facetten die beste, weil effektivste und politisch am besten fundierte ist, die es in Deutschland je gegeben hat; ihre
eigene Interessenlage haben sie dabei berücksichtigt.
Deshalb, meinen sie, muss man auch Widersprüche und gelegentliche Tiefgänge und Schieflagen in der Gesellschaft hinnehmen,
denn es handele sich dabei nur um unangenehme, aber nicht vermeidbare Nebenerscheinungen, die das Ganze nicht in Frage stellen und sich
auch mehr oder minder abfedern lassen. So habe eine kräftige Sparpolitik zwar unangenehme Folgen, aber sie diene der Stabilisierung
der öffentlichen Finanzen und stelle damit die tragenden Säulen der sozialen Sicherung wieder her.
Weiter so
Deshalb wird Stolpe seinen Großflughafen in Schönefeld und den Transrapid wohl zusammen mit der CDU bauen lassen. O-Ton
Stolpe am 10.September: "Sozialdemokratische Politik lässt sich am besten zusammen mit der CDU verwirklichen."
Zusammen mit Schönbohm wird er subventionierte Wirtschaftsförderung betreiben, die zu noch mehr elektronisch gesteuerten
Produktions- und Dienstleistungsabläufen führt, die den Faktor menschliche Arbeitskraft als Humankapital noch weiter
überflüssig machen. Und Clemens wird mit einer vergrößerten Zahl von CDU-Bürgermeistern und
Stadträten autoritäre Staats- und Verwaltungsstrukturen einführen, öffentliche Dienstleistungen privatisieren, breit
angelegte Bildungsangebote auf ein Minimum zurückfahren und soziale Infrastruktur einschränken.
Ein nennenswerter Widerstand der Parteibasis ist dagegen nicht zu erwarten, vielmehr fortschreitende Resignation und
Entpolitisierung.
Fällt die SPD aber dauerhaft als demokratisches Potenzial und soziales Gegengewicht im gesellschaftlichen Binnengefüge aus,
wird dies für die politische Balance in der Republik bedenkliche Folgen haben; die Zugkraft nach rechts nimmt dadurch erheblich zu.
Diese verkörpert sich nicht nur durch rechtsradikale Parteien, Gruppierungen und Sekten. Der Rechtspopulismus hat längst
Ansatzpunkte und Ausdrucksformen in den etablierten Volksparteien gefunden.
Die PDS allein reicht als Gegengewicht (noch) nicht aus, um die verlassenen Felder linker Gesellschaftspolitik mit gleichem Gewicht und
gleicher Interventionskraft zu besetzen.
Heiner Halberstadt