Sozialistische Zeitung |
Schon vor Monaten war erkennbar, dass die SPD in Brandenburg bei den Landtagswahlen Stimmen verlieren
würde. Dass sie trotzdem erklärte, um die absolute Mehrheit kämpfen zu wollen, hatte sicher nicht nur wahltaktische
Gründe. In der gesamten Landes-SPD hatten sich Selbstsicherheit, Arroganz und Überheblichkeit breitgemacht, die sie daran
hinderten, die unverkennbaren Signale einer sich abzeichnenden Wahlniederlage zu erkennen und gegenzusteuern.
Genannt seien Beispiele aus dem Landkreis Barnim: Als erste Maßnahme nach der Kommunalwahl 1998 änderte die Koalition von
SPD und CDU im Kreistag die Hauptsatzung in der Weise, dass ihr zusätzliche Mandate in den Ausschüssen zufielen. Seit Oktober
1998 ließ die Koalition alle Vorschläge der Opposition durchfallen. Zu über 2000 gesammelten Unterschriften eines Ortes
gegen die Abfallgebührensatzung erklärte der Vorsitzende der SPD-Fraktion: "Was vom Bürger kommt, ist nicht
repräsentativ."
Die Kreisverwaltung schaltete ein Denunziantentelefon gegen Sozialhilfeempfänger, das erst nach öffentlichem Druck vom Landrat
zurückgenommen wurde. Einen von den Arbeitslosen geforderter Arbeitslosenbeirat lehnten der Kreistag wie auch die
Stadtverordnetenversammlung Eberswalde ab (und das bei 20% Arbeitslosen!).
Vier Tage vor der Landtagswahl peitschte die SPD im Kreistag eine Vorlage zur Abfallentsorgung als Tischvorlage durch und ließ der
Opposition keine Möglichkeit der Mitgestaltung. Gegen überzogene Nutzungsentgelte für Garagen-, Garten- und
Erholungsgrundstücke (ein noch vom Einigungsvertrag belastetes Thema) bildete sich in der Stadt Eberswalde eine
Bürgerinitiative, die von der SPD ignoriert wurde. Bei 4500 betroffenen Familien dürfte das die SPD viele Stimmen gekostet
haben.
18 Prozentpunkte Stimmenverluste (von 53% auf 35%) waren die Quittung der WählerInnen für die SPD im Barnim. Bei den
Erststimmen straften die Wähler die SPD-Kandidaten noch stärker ab.
Im Wahlkreis 15 (Eberswalde) verlor die SPD gegenüber der Landtagswahl 1994 sogar 21,27 Prozentpunkte! (von 57% auf 35,7%) Der
SPD-Spitzenkandidat in diesem Wahlkreis und bisheriges Mitglied des Landtags, Peter Kikow (SPD), erzielte bei der Erststimme sogar nur
30,3%.
Jubel bei den Genossen der PDS. Ein riesiger Erfolg nach einem intensiven Wahlkampf. Zwei Direktmandate und 28,5% bei den Zweitstimmen
(1994 20,2%) erhielt die PDS im Barnim. Aber auch die CDU hatte einen Zuwachs von 7 Prozentpunkten auf 24,8%. Im Land musste die SPD
sechs Wahlkreise abgeben, vier davon an die PDS, zwei an die CDU.
Auch in Brandenburg sind die Landtagswahlen in erster Linie das Ergebnis der verfehlten Politik der neuen Bundesregierung. Die
Brandenburger haben im vergangenen Herbst Kohl in der Erwartung abgewählt, dass die SPD gemäß ihrem Versprechen den
Sozialabbau stoppen und eine Umverteilung von oben nach unten in Gang bringen würde (so äußerte sich auch Lafontaine auf
dem Marktplatz von Eberswalde im September 1998). Dass nach einem Jahr hier noch kein Land in Sicht ist, löste Enttäuschung
und Frust aus. Die WählerInnen konnten auch nicht erkennen, dass sich die SPD-Landesregierung gegenüber der Bundesregierung
(z.B. beim Sparpaket) stark machen und eine sozialere Politik fordern würde. So war die Landtagswahl vor allem eine Protestwahl,
deren Adressaten in erster Linie im Bund, aber auch im Land und in den Kommunen zu suchen sind.
Zur Protestwahl hatten auch NPD und DVU aufgerufen. Während die DVU mit 5,3% der Stimmen in den Landtag einzieht, erreichte sie in
Eberswalde "nur" 3,7%. Ein "Bündnis gegen rechts" war in Eberswalde aufklärend tätig und hat
unmittelbar in den Wahlkampf eingegriffen. Der Kreistag Barnim beschloss am 1.September einen Aufruf an die Bürger, nicht rechts zu
wählen (allerdings ohne die Ursachen der Rechtsentwicklung aufzudecken).
Die SPD schmiedet nun an einer großen Koalition mit der CDU. Anzeichen dafür gab es mindestens seit der Kommunalwahl 1998.
In allen Landkreisen, in denen die SPD damals keine absolute Mehrheit erzielte, ging sie Koalitionen mit der CDU ein. Wo in
Einzelfällen auch einmal mit der PDS verhandelt wurde, pfiff Potsdam zurück. Und gegen die Opposition der PDS waren sich SPD
und CDU immer einig. Ministerpräsident Stolpe brauchte die PDS wohl nur, um seine Verhandlungsposition gegenüber der CDU zu
stärken.
Er ist im Übrigen ein Mann, der sich immer sehr moderat gibt, sich im Zweifelsfall aber stets für den Stärkeren entscheidet;
die Mehrheit der SPD-Genossen ist für die Koalition mit der CDU. Dafür trennt er sich auch von seiner stärksten
Stütze, der Arbeitsministerin Regine Hildebrandt, die nach der Wahl erklärte, mit den "Arschlöchern" (O-Ton)
von der CDU nichts zu tun haben zu wollen. Damit ginge dann auch der "Lafontaine von Brandenburg", denn Frau Hildebrandt galt
als die Verkörperung des sozialen Gewissens in der Brandenburger SPD. Das wird zwangsläufig auch zu innerparteilichem Streit
in der SPD führen.
Die PDS wird wohl in Brandenburg nicht mehr für eine Koalition gefragt sein, denn der SPD-Landesparteitag wird das
Verhandlungsergebnis absegnen. Die PDS-Basis hätte dieser Option gegenüber auch gemischte Gefühle gehabt, denn bei
wenig landespolitischem Gestaltungsspielraum einerseits und den zu erwartenden Problemen aus der Bundespolitik andererseits hätte die
PDS in einer Koalition Mitverantwortung für die vorprogrammierten Verschlechterungen übernommen - und bei der nächsten
Wahl die Quittung dafür bekommen.
Albrecht Triller