Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.19 vom 16.09.1999, Seite 4

Inhumanitäres Nichteingreifen in Osttimor

von Edward Said

Schon sehr bald nach der Verwüstung Jugoslawiens im vorgeblichen Interesse des Humanismus und des Schutzes der Menschenrechte, bestätigte die Haltung der NATO-Mächte während der Osttimor-Krise jene, die schon die moralische Grundlage der NATO-Intervention im Kosovo anzweifelten. Im Falle des Kosovo bestand die NATO auf die Bombardierung, obwohl Jugoslawien einer großen internationalen Präsenz - nicht aber einer NATO-Besetzung ganz Jugoslawiens, wie es im Rambouillet-Ultimatum gefordert wurde - und einer sehr weit gefassten Autonomie für Kosovo zustimmte. Es gab gute Gründe anzunehmen, dass der bereits starke internationale Druck auf Jugoslawien zu einer nichtmilitärischen Lösung der Krise geführt hätte.
Im Falle der andauernden indonesischen Gewalt gegen die Osttimoresen und in Anbetracht der Tatsache, dass Indonesien Osttimor seit 24 Jahren unter Bruch der UNO-Konvention besetzt hält und dabei mehr Menschen ermordete als Pol Pot in Kambodscha, haben die NATO- Mächte, die Jugoslawien so massiv bombardiert haben, nicht einmal die Aussetzung der IWF-Kredite gefordert. Am 7.September gab die Blair-Regierung bekannt, dass Wirtschaftssanktionen nicht auf der Tagesordnung stünden. Sie seien angeblich "nicht wirksam".
Blairs Empörung über Menschenrechtsverletzungen, die so heftig in Bezug auf Jugoslawien war, fehlt in diesem Falle völlig. Die Frage des Einsatzes von Gewalt scheint sich für Blair und Clinton erst gar nicht zu stellen. Die Blair-Regierung wiederholt die alte Geschichte der angeblichen "stillen Diplomatie", die wir immer hören, wenn es um die Rechtfertigung der Untätigkeit gegenüber dem Verhalten befreundeter Staaten geht.
Nach dem Sturz Suhartos im Mai 1998 erhielten die Osttimoresen eine schwache indonesische Führung, die dem von der UNO unterstützten Referendum zustimmte. Das indonesische Regime änderte schnell den Kurs und organisierte, bewaffnete und beschützte die militärischen Gruppen, die Osttimor mit Terror überzogen und dadurch einen Aufschub der Abstimmung bis zum 30.August bewirkten.
Die ursprüngliche Vereinbarung der UNO mit Indonesien über die Vorbereitung der Abstimmung gab Indonesien das Recht, die Durchführung des Plebiszits zu überwachen. Es gab natürlich genauso wenig historische Gründe dafür, dass Indonesien eine solche Wahl organisiert, wie dafür, Milo?sevi´c eine Abstimmung über die Unabhängigkeit des Kosovo durchführen zu lassen.
Doch selbst als klar wurde, dass Indonesien seiner Verantwortung nicht gerecht wurde, als schon zehn Monate vor der Abstimmung die Gewalt der Milizen eskalierte, machten die Großmächte keine Anstalten, die Vereinbarungen zu ändern oder Indonesien zu drohen oder zu bestrafen.
Noch jetzt, wo nach dem Referendum die Teilnahme des Militärs und der Polizei an den Morden offensichtlich geworden ist, ist der Westen nicht bereit, Sanktionen zu verhängen. UNO-Generalsekretär Kofi Annan erinnert Indonesien fortwährend an seine Verpflichtungen, denen es früher schon nicht nachgekommen ist und die es heute offen missachtet.
Die Schwäche der UNO spiegelt die Tatsache wieder, dass die Großmächte sich weitgehend zurückhalten. Wie aggressiv waren sie dagegen im Kosovo, wie leicht fanden sie Mittel und Wege zu handeln, und wie groß war ihre Bereitschaft, Gewalt anzuwenden!
Das Nichteingreifen des Westens hat offensichtlich dieselben Wurzeln wie seine drei Jahrzehnte dauernde Unterstützung der Suharto- Diktatur durch den Verkauf von Waffen, die Ausbildung ihrer Armee und ihrer Polizei sowie die Akzeptanz der Invasion und Okkupation Osttimors. Als streng antikommunistischer Verbündeter wurde Indonesien unter Suharto zu einem "Investorenparadies", beliebt durch seine Ölvorkommen, Bergwerke und Holzindustrie. Das Regime stellte Osttimors Gewässer den Ölkonzernen zur Verfügung. Diese Vorteile erklären, warum der Westen bereitwillig undemokratische Methoden sowie Massenhinrichtungen während der Machtübernahme des Militärs 1965/66 und während der Invasion und Okkupation seit 1975 hinnahm. Und diese Vorteile helfen uns zu begreifen, warum der Westen keinen Druck auf Indonesien ausübte, damit dort die humanitären Prinzipien eingehalten werden.


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