Sozialistische Zeitung |
Schon sehr bald nach der Verwüstung Jugoslawiens im vorgeblichen Interesse des Humanismus und des
Schutzes der Menschenrechte, bestätigte die Haltung der NATO-Mächte während der Osttimor-Krise jene, die schon die
moralische Grundlage der NATO-Intervention im Kosovo anzweifelten. Im Falle des Kosovo bestand die NATO auf die Bombardierung,
obwohl Jugoslawien einer großen internationalen Präsenz - nicht aber einer NATO-Besetzung ganz Jugoslawiens, wie es im
Rambouillet-Ultimatum gefordert wurde - und einer sehr weit gefassten Autonomie für Kosovo zustimmte. Es gab gute Gründe
anzunehmen, dass der bereits starke internationale Druck auf Jugoslawien zu einer nichtmilitärischen Lösung der Krise
geführt hätte.
Im Falle der andauernden indonesischen Gewalt gegen die Osttimoresen und in Anbetracht der Tatsache, dass Indonesien Osttimor seit 24
Jahren unter Bruch der UNO-Konvention besetzt hält und dabei mehr Menschen ermordete als Pol Pot in Kambodscha, haben die NATO-
Mächte, die Jugoslawien so massiv bombardiert haben, nicht einmal die Aussetzung der IWF-Kredite gefordert. Am 7.September gab die
Blair-Regierung bekannt, dass Wirtschaftssanktionen nicht auf der Tagesordnung stünden. Sie seien angeblich "nicht
wirksam".
Blairs Empörung über Menschenrechtsverletzungen, die so heftig in Bezug auf Jugoslawien war, fehlt in diesem Falle völlig.
Die Frage des Einsatzes von Gewalt scheint sich für Blair und Clinton erst gar nicht zu stellen. Die Blair-Regierung wiederholt die alte
Geschichte der angeblichen "stillen Diplomatie", die wir immer hören, wenn es um die Rechtfertigung der Untätigkeit
gegenüber dem Verhalten befreundeter Staaten geht.
Nach dem Sturz Suhartos im Mai 1998 erhielten die Osttimoresen eine schwache indonesische Führung, die dem von der UNO
unterstützten Referendum zustimmte. Das indonesische Regime änderte schnell den Kurs und organisierte, bewaffnete und
beschützte die militärischen Gruppen, die Osttimor mit Terror überzogen und dadurch einen Aufschub der Abstimmung bis
zum 30.August bewirkten.
Die ursprüngliche Vereinbarung der UNO mit Indonesien über die Vorbereitung der Abstimmung gab Indonesien das Recht, die
Durchführung des Plebiszits zu überwachen. Es gab natürlich genauso wenig historische Gründe dafür, dass
Indonesien eine solche Wahl organisiert, wie dafür, Milo?sevi´c eine Abstimmung über die Unabhängigkeit des
Kosovo durchführen zu lassen.
Doch selbst als klar wurde, dass Indonesien seiner Verantwortung nicht gerecht wurde, als schon zehn Monate vor der Abstimmung die Gewalt
der Milizen eskalierte, machten die Großmächte keine Anstalten, die Vereinbarungen zu ändern oder Indonesien zu drohen
oder zu bestrafen.
Noch jetzt, wo nach dem Referendum die Teilnahme des Militärs und der Polizei an den Morden offensichtlich geworden ist, ist der
Westen nicht bereit, Sanktionen zu verhängen. UNO-Generalsekretär Kofi Annan erinnert Indonesien fortwährend an seine
Verpflichtungen, denen es früher schon nicht nachgekommen ist und die es heute offen missachtet.
Die Schwäche der UNO spiegelt die Tatsache wieder, dass die Großmächte sich weitgehend zurückhalten. Wie
aggressiv waren sie dagegen im Kosovo, wie leicht fanden sie Mittel und Wege zu handeln, und wie groß war ihre Bereitschaft, Gewalt
anzuwenden!
Das Nichteingreifen des Westens hat offensichtlich dieselben Wurzeln wie seine drei Jahrzehnte dauernde Unterstützung der Suharto-
Diktatur durch den Verkauf von Waffen, die Ausbildung ihrer Armee und ihrer Polizei sowie die Akzeptanz der Invasion und Okkupation
Osttimors. Als streng antikommunistischer Verbündeter wurde Indonesien unter Suharto zu einem "Investorenparadies",
beliebt durch seine Ölvorkommen, Bergwerke und Holzindustrie. Das Regime stellte Osttimors Gewässer den Ölkonzernen
zur Verfügung. Diese Vorteile erklären, warum der Westen bereitwillig undemokratische Methoden sowie Massenhinrichtungen
während der Machtübernahme des Militärs 1965/66 und während der Invasion und Okkupation seit 1975 hinnahm. Und
diese Vorteile helfen uns zu begreifen, warum der Westen keinen Druck auf Indonesien ausübte, damit dort die humanitären
Prinzipien eingehalten werden.