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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.19 vom 16.09.1999, Seite 6

Citibank-Boykott

Breites Bündnis will Eskalation

Im Zentrum der Stadt, unweit des Duisburger Hauptbahnhofs, hat am 10.September die Citibank ihr größtes Callcenter in Deutschland eröffnet. Weit sichtbar für die Bahnreisenden prangt der Schriftzug des weltweit operierenden US-amerikanischen Finanzdienstleisters am Kopf des neu errichteten Hochhauses. 800 "neue" Arbeitsplätze will die Citibank dort einrichten und hat dafür mehr als 7 Millionen Mark Fördergelder des Bundeslands Nordrhein-Westfalen beantragt.
Was Landesregierung und die Stadtoberen als "neues Jobwunder" anpreisen, stößt jedoch auf Widerspruch. Bereits im August hatten ehemalige Beschäftigte unter dem Motto "Citibank - nein danke!" im Bahnhofsviertel eine großflächige Plakatwand angemietet. Darauf war zu lesen, dass "keine andere Bank so ungeniert Arbeitsplätze abbaut" und "so massiv gegen Sozialstandards und Schutzrechte verstößt". Der Neueröffnung des tariffreien Citibank-Callcenters waren Schließungen von zum Teil tariflich gebundenen Filalen in Bochum, Köln, Mannheim, Gelsenkirchen, Meerbusch, Bremen und Duisburg und damit der Abbau von insgesamt 1300 Arbeitsplätzen vorangegangen.
Am Tag vor der Eröffnung hatten die ehemaligen Beschäftigten aus Bochum und Duisburg ihre Kampagne gegen den Marktführer im Telebanking auf breitere Füße gestellt. Gemeinsam mit der Gewerkschaft HBV, Kirchenvertretern, Parteien, Betriebsräten und der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung rufen sie nun zum Boykott der Citibank auf. Ihre Forderungen: Wiedereinstellung der entlassenen Kollegen, Wiederaufnahme der Tarifverhandlungen und an die Adresse der Landesregierung, die erst nach den landesweiten Kommunalwahlen über die Fördermittel entscheiden will: "Keine Steuergelder für Arbeitsplatzvernichter".
Bereits Ende des letzten Jahres hatten die zu tariflichen Bedingungen Beschäftigten der Callcenter in Duisburg und Bochum gestreikt, um die tariffreie Zentralisierung und den Verlust der Arbeitsplätze zu verhindern. Die ohnehin harten Arbeitsbedingungen - z.B. gibt es keine Regeln, wie viel Zeit zwischen den einzelnen Telefonaten liegen muss - will die Geschäftsleitung in dem neuen Callcenter weiter verschlechtern. Das Weihnachtsgeld soll gekürzt, das Urlaubsgeld gestrichen und die Urlaubsdauer von sechs auf fünf Wochen gesenkt werden. Außerdem sollten die Beschäftigten künftig 40 Stunden und damit eine Stunde länger pro Woche arbeiten. Die 220 Duisburger Citibank-Beschäftigten rechneten mit einem Einkommensverlust von bis zu 500 Mark monatlich.
In Bochum kündete bereits im August des vergangenen Jahres die Geschäftsführung den 450 Beschäftigten des "Citiphone Banking" ihre Entlassung an. Eine generelle Übernahme der meist studentischen Beschäftigten in das neue Callcenter in Duisburg sei nicht geplant, hieß es von Seiten der Citicorp Deutschland AG, die unverhohlen die "soziale Dimension" ihrer Entscheidung gegenüber den Mitarbeitern hervorhob: die Beschäftigten dürften sich im neuen Callcenter bewerben, ein neuer Arbeitsvertrag sei eine "Riesenchance".
Der daran anschließende Arbeitskampf war eine Premiere: Nach Angaben des ehemaligen Bochumer Betriebsrats Hannes Oberlindober fanden damals die weltweit ersten Tagesstreiks in Callcentern statt. Es wurde eine Tarifkommission ins Leben gerufen, die das Unternehmen aber nicht anerkannte. Bei der Urabstimmung votierten dann über 90% der Belegschaft für Arbeitsniederlegung. Die Geschäftsführung versuchte, die Streiks gerichtlich verbieten zu lassen und scheiterte.
Die Arbeitskämpfe erreichten jedoch nicht ihr Ziel. Allein in Deutschland verfügte die Citibank zu diesem Zeitpunkt über acht Callcenter, hatte die Anrufe der Kunden kurzerhand umgeleitet und belohnte anschließend die Streikbrecher mit einer Feier. 500 der Beschäftigten aus Bochum und Duisburg sind heute erwerbslos, die Telecenter seit dem 30.6.99 geschlossen.
Einigen ehemals Beschäftigten, die sich am Streik beteiligt hatten und sich für die neuen Arbeitsplätze in Duisburg beworben hatten, teilte die Geschäftsleitung in einem ablehnenden Schreiben mit, sie seien wahlweise "über- bzw. unterqualifiziert". Gleichzeit wirbt die Citibank aber mit zahlreichen Werbezetteln und Durchsagen im Duisburger Wedaustadion um neue Mitarbeiter. "Wer streikt, wird arbeitslos. Offensichtlich wollte die Citibank an den streikenden Kolleginnen und Kollegen ein Exempel statuieren", kommentiert Hans-Peter Lauer vom "Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt" die Strategie des Unternehmens.
Für Oberlindober war nicht nur der Streik, sondern ist auch die außerbetriebliche Fortsetzung der Auseinandersetzung "prinzipieller Natur und richtungsweisend für die generelle Entwicklung in der Callcenter-Branche". Er stellt sich die Frage, ob "in Zukunft Banken, Versicherungen und andere ohne wirkungsvollen Widerstand Callcenter als leicht auf- und abzubauende Outsourcingstätten außerhalb tariflicher Regelungen implementieren" können. Oberlindober geht es "um ein weithin sichtbares Signal", dass "lokale Initiativen darauf Einfluss nehmen können, wie sich Globalisierung in Zukunft ereignet".
Die Schwierigkeit, allein mit traditionellen Mitteln des Arbeitskampfs in den modernen Dienstleistungsbetrieben tarifpolitischen Druck auszuüben, hat die Belegschaften und die HBV dazu bewegt, den Konflikt aus dem Betrieb herauszutragen und die Boykottkampagne "CitiCritic" zu initiieren.
Mit einem "eskalierend aufgebauten Boykottmodell", das stufenweise räumlich und sozial ausgeweitet werden soll, hofft die Kampagne nun, dass die Citibank ab einer gewissen Anzahl von Kontokündigungen erheblich unter Druck gerät und auf die Forderungen eingeht.
Boykottaufrufe dieser Art sind nicht neu. CitiCritic bezieht sich positiv auf die internationale Kampagne gegen Shell und auf die nationale gegen die Drogeriekette "Schlecker". Beide hätten gezeigt, dass Konzerne vor allem an zwei Stellen "verwundbar sind - beim Image und bei den Umsätzen".
Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Kampagne sind vorhanden. Neben den ehemaligen Beschäftigten und der HBV unterstützt die Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung den Boykott aus Sicht der verschuldeten Kunden. Wie keine andere Bank ignoriere die Citibank gesetzliche Zumutbarkeitskriterien bei Lohnpfändungen. Häufig würden Kunden regelrechtem "Telefonterror" ausgesetzt, so Carl Lewerenz, Vorstandsmitglied der BAG Schuldnerberatung. Deshalb würden die Schuldnerberatungen ihren Klienten, die Kunden bei der Citibank sind, "als allererstes die Installation eines Anrufbeantworters" empfehlen.
Ebenfalls Unterstützung erhält die Kampagne von den Vertrauensleuten und Teilen des Betriebsrats der ThyssenKrupp Stahl AG. Auch sie hätten "ihre Erfahrungen mit den Banken bei dem Versuch der feindlichen Übernahme" vor zwei Jahren gemacht, erklärt Wilfried Müller, Mitglied der Vertrauenskörperleitung. "800 IG-Metall-Vertrauensleute werden dafür sorgen, dass der Boykottaufruf gegen die Citibank bei der Belegschaft von ThyssenKrupp Stahl breite Unterstützung findet."
Die ehemalige Stahlhochburg Duisburg gilt mittlerweile als Zentrum der Callcenter aus dem Bereich der Finanzdienstleistungen. In den letzten Jahren zogen nicht nur die Citibank, sondern auch Deutsche Bank und Dresdner Bank ihre Center in Duisburg hoch. Die Stadt ist für die Unternehmen ein attraktiver Standort: die Fördermittel der Landesregierung NRW und der große studentische Arbeitsmarkt sind ideale Faktoren zur Errichtung eines Callcenters.
Fördergelder gibt es für neu geschaffene Arbeitsplätze. Dabei spielt nicht nur die Bindung an Tarifverträge als Kriterium keine Rolle. "In der Förderpraxis werden Arbeitsplätze, die aus anderen Ländern nach NRW verlagert werden, als neu geschaffen anerkannt", erklärte im Landtag der ehemalige Wirtschaftsminister Bodo Hombach. Damit werden Bundesländer und Kommunen in Konkurrenz gegeneinander getrieben, sich mit immer höheren Angeboten gegenseitig Arbeitsplätze abzuwerben.
"So zurückhaltend Banken und Konzerne bei der Zahlung von Steuern sind, so deutlich halten sie die Hand nach Steuergeldern auf und kennen dabei keine Skrupel, von sozialer Verantwortung ganz zu schweigen", erklärt dazu die PDS-Bundestagsabgeordnete Ulla Lötzer, die die Kampagne aktiv unterstüzt. Sollte diese Unternehmespraxis Schule machen, stelle sie eine "gesellschaftliche Bedrohung" dar. Die ersten Unternehmen haben schon nachgezogen: die Deutsche Bank hat mehr als tausend Arbeitsplätze aus dem Servicebereich in neu gegründete Unternehmen ausgelagert, die nicht mehr an Bankentarifverträge gebunden sind.
Die Branche boomt bundesweit: Nach einer Umfrage des Deutschen Direktmarketing-Verbands unter den führenden 5000 deutschen Unternehmen setzen schon heute 30% auf die Kundenbindung und -gewinnung per Telefon. Weitere 20% planen, bis zum Ende des nächsten Jahres Callcenter einzurichten.
"In der Branche entstehen Arbeitsplätze, die in der Regel als Existenzgrundlage nicht ausreichen", so die Boykott-Kampagne CitiCritic. Für einen Alleinverdiener sei es bei dem dort üblichen Stundenlohn von 14 bis 17 Mark nicht möglich, den Lebensunterhalt einer Familie zu bestreiten. Erschwerend kommt hinzu, dass ein Großteil der Beschäftigten Teilzeit arbeitet: im Duisburger Callcenter der Citibank mehr als 60%. Die hohen Belastungen am Arbeitsplatz - Schichtdienst, hohe Arbeitsdichte und dabei immer freundlich zu den Kunden - führe bei Vollzeitbeschäftigten bereits nach ein bis zwei Jahren zu Verschleißerscheinungen, so CitiCritic.
Die Kampagne plant, in den Callcentern betriebliche Interessenvertretungen zu installieren und gemeinsam mit den Beschäftigten Standards für eine angemessene, existenzsichernde Vergütung und akzeptable Arbeitsbedingungen zu entwicklen. Die sollen dann Grundlage für Haustarifverträge sein, langfristig vielleicht auch für einen Branchentarifvertrag.
Gerhard Klas


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