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Nicht nur in Finnland, das in diesem Halbjahr den EU-Vorsitz innehat, auch in anderen Teilen Europas planen
antirassistische Organisationen zahlreiche Proteste anlässlich der Tagung der europäischen Innen- und Justizminister Mitte Oktober
in Tampere. Ziel der Minister ist die Umsetzung der Vorgaben des Amsterdamer Vertrags. Dazu gehört u.a. das Fingerabdrucksystem
für Asylbewerber, Eurodac, das die Möglichkeit eines Asylantrags in einem weiteren EU-Land verhindern soll, wenn ein
Mitgliedstaat bereits abgelehnt hat. Weiter ist beabsichtigt, das Schengener Abkommen, dem die Benelux-Staaten sowie Frankreich,
Österreich und Deutschland angehören, auf die EU zu übertragen.
Nach Ansicht der finnischen EU-Ratspräsidentschaft dient das Treffen der "Verwirklichung der Freizügigkeit" und ist
der "Achtung der Menschenrechte verpflichtet". Das sehen die finnischen Veranstalter des vom 15. bis 17.Oktober ebenfalls in
Tampere stattfindenden Gegengipfels anders. Sie befürchten eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit nach Europa. "Wir
fordern, dass der von uns produzierte Reichtum dazu benutzt wird, den Menschen eine Möglichkeit zu geben, sich frei zu bewegen und am
Wohlstand teilzunehmen", heißt es in einem Aufruf zum Gegengipfel.
Wenig Hoffnung
Gleichzeitig versuchen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie der Europäische Flüchtlingsrat, mit Lobbyarbeit Einfluss auf
die Minister zu nehmen und mahnen die Wahrung "internationaler Menschenrechtsnormen" an. Bisher haben ihre Eingaben nicht
allzuviel Gehör gefunden. Mit der Amsterdamer Regierungskonferenz 1997 hätten viele NGOs gehofft, dass eine neue
"Arä der demokratischen und gerichtlichen Kontrolle bei der Entscheidungsfindung der EU" im Bereich der
Flüchtlingspolitik begonnen hätte. Im Nachhinein bewerteten sie den Amsterdamer Vertrag jedoch als einen
"enttäuschenden Aufschub" für die "notwendigen Reformen". Sie begrüßen den Ansatz, das
Asylrecht europaweit harmonisieren zu wollen, allerdings nicht auf einem "kleinsten gemeinsamen Nenner".
Zentral festgehalten ist im Amsterdamer Vertrag der Zuständigkeitswechsel der Flüchtlingspolitik von einer zwischenstaatlichen
Regelung der einzelnen Mitgliedstaaten zu einer allgemeinverbindlichen auf europäischer Ebene. Während jedoch Norwegen und
Island, die nicht zur EU gehören, aber Schengen-Vetragsstaaten sind, ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit signalisiert haben, wollen sich
Dänemark, Großbritannien und Irland nicht einer einheitlichen Regelung unterwerfen.
Da für die Innen- und Justizpolitik nach wie vor das Prinzip der "einheitlichen Beschlussfassung" gilt, könnte dies zu
einigen Schwierigkeiten führen. Zumindest dann, wenn es nach den Vorstellungen des Europäischen Flüchtlingsrats um eine
Verbesserung für die Situation der Flüchtlinge gehen soll. Der Europäische Flüchtlingsrat kritisiert außerdem die
mangelnde Einbindung des Europäischen Parlaments und des Europäischen Gerichtshofs. Während sich das Parlament
gemäß des Amsterdamer Vertrags mit einer kommentierenden Rolle zufrieden geben muss - es muss bei neuen Maßnahmen
lediglich "konsultiert" werden - kann der Gerichtshof nicht von nationalen Gerichten unterer Instanzen bei offenen Fragen im
Bereich der Einwanderung und des Asyl befasst werden. Das hat zur Folge, dass Asylbewerber und Migranten sich erst bis zur letzten - und
teuersten - gerichtlichen Instanz in den einzelnen Mitgliedstaaten durchklagen müssen, um überhaupt derartige Vorabentscheidungen
beantragen zu können.
In zahlreichen Dokumenten und Erklärungen weist die EU auf den Zusammenhang zwischen der "Steuerung von Migrations- und
Flüchtlingsbewegungen" und den "außenpolitischen Aspekten internationaler Flüchtlings- und
Migrationsbewegungen" hin. Doch genausowenig, wie sie bisher den ersten Punkt unter dem Aspekt eines "effektiven und gerechten
Schutzsystems für Flüchtlinge" in die Praxis umgesetzt hat, zielt die Einschließung der Außenpolitik auf den
"Schutz von Menschenrechten" oder auf die "Förderung der sozioökonomischen Entwicklung".
Der Regelung der Flüchtlingspolitik wird beim finnischen Regierungsgipfel auch deshalb so viel Bedeutung beigemessen, weil die
geplante Osterweiterung nun nach langer Zeit in die Wege geleitet werden soll. Für die Anwärter ist Bedingung, die
europäischen Standards der restriktiven Visapolitik sowie der Aufrüstung und Kontrolle der Außengrenzen zu
übernehmen, um die EU gegen unerwünschte Migrationsbewegungen abzuschotten.
Hochrangige Arbeitsgruppe
Dem Ansatz der "Prävention" von Flüchtlingsbewegungen entsprechen auch die neuen "Aktionspläne"
der seit Ende des letzten Jahres arbeitenden "Hochrangigen Arbeitsgruppe Asyl/Migration". Einzelne EU-Mitgliedstaaten erstellen
federführend Lageberichte von ausgewählten Herkunftsländern, aus denen es Migrationsbewegungen nach Europa gibt. Die
Abschlussberichte, vergleichbar mit den Lageberichten des Auswärtigen Amts in der BRD, die vor allem Grundlage für
gerichtliche Abschiebebescheide sind, sollen auf dem Gipfel in Tampere vorgelegt werden.
Entscheidende Kriterien für die Erstellung sind die "politische, wirtschaftliche, entwicklungspolitische und humanitäre
Zusammenarbeit" mit der EU. Bisher sind fünf Staaten unter Beobachtung: Afghanistan, Marokko, Somalia, Sri Lanka und der Irak.
Die finnische Präsidentschaft lobt die "enge Kooperation", die sich auf die Vertreter der jeweiligen Regierungen konzentriert.
Der "besondere Schwerpunkt" liege "bei der Lösung der Migrationsproblematik, insbesondere der illegalen
Zuwanderung und des illegalen Aufenthalts".
Dem entspricht der erste bisher erstellte Aktionsplan unter deutscher Federführung über den Irak: dort geht es nicht um die
Beseitigung der Fluchtursachen, sondern "gegen den Zustrom von Zuwanderern". Der Europäische Flüchtlingsrat
vermutet, dass mit diesen Aktionsplänen die "Einwanderungskontrollen außerhalb des EU-Hohheitsgebiets" weiter
verstärkt werden sollen.
Am 15.10. planen antirassistische Gruppen einen europaweiten Aktionstag. In Deutschland rufen sie zu einer bundesweiten Demonstration in
Koblenz auf. Dort befindet sich die Bundesgrenzschutzdirektion, die als zentrale Abschiebebehörde nicht nur für die Umsetzung
gesetzlicher Aufgaben zuständig ist, sondern durch ihre Informationspolitik die Abschiebestrategien mitbeeinflusst. Sie ist verantwortlich
für Massenabschiebungen, wertet die Angaben des Bundesamts für Flüchtlinge aus, um Fluchtwege zu blockieren, und
verhandelt mit den Botschaften der Verfolgerstaaten Bedingungen für die Beschaffung von Dokumenten aus. "Wir denken, dass es an
der Zeit ist, mal bei der Grenzschutzdirektion vorbeizuschauen", erklärt das antirassistische Netzwerk "Kein Mensch ist
illegal".
Gerhard Klas