Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-
Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.19 vom 16.09.1999, Seite 10

Gentechnik

Keine Waffe gegen den Hunger

In der Debatte über genetisch veränderte Nahrungsmittel argumentieren Verfechter der Genmanipulation wie der republikanische Senator des US-Bundesstaats Indiana, Richard Luger, dass solche Produkte von entscheidender Bedeutung sind, wenn wir die Welt ernähren wollen.
Doch diese Behauptung beruht auf zwei fundamentalen Irrtümern über den Hunger: erstens, dass Menschen hungern aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte, und zweitens, dass Gentechnik der beste oder einzige Weg ist, unsere zukünftigen Bedürfnisse zu befriedigen.
Tatsächlich besteht kein Zusammenhang zwischen dem Ausmaß des Hungers in einem Land und seiner Bevölkerung. Auf jedes dicht besiedelte und hungernde Land wie Bangladesh kommt ein dünn besiedeltes und hungerndes Land wie Brasilien.
Die Welt produziert heute mehr Nahrungsmittel je Einwohner als je zuvor. Es steht genug zur Verfügung, um jede Person jeden Tag mit 2 Kilogramm zu versorgen: etwa 1 kg Getreide, Bohnen und Nüsse, etwa ein halbes Kilogramm Fleisch, Milch und Eier und noch einmal ein halbes Kilogramm Obst und Gemüse - mehr als irgendjemand jemals essen kann.
Die wirklichen Probleme sind Armut und Ungleichheit. Zu viele Menschen sind zu arm, um die zur Verfügung stehenden Nahrungsmittel zu kaufen, oder haben kein Land, um sie selbst anzubauen.
Der zweite Irrtum ist die Auffassung, dass Gentechnik der beste Weg sei, die Nahrungsmittelproduktion zu fördern. Auf dem Markt werden zwei Haupttechnologien angeboten. Monsanto bietet das Saatgut "Roundup Ready" an, das manipuliert ist, um ihrem Herbizid "Roundup" zu trotzen. Dieses Saatgut - gewöhnlich Sojabohnen, Raps und Baumwolle - ermöglicht es den Farmern, das Herbizid massiv anzuwenden.
Monsanto und einige andere Firmen produzieren auch "Bt"-Saatgut - meist Mais, Kartoffeln und Baumwolle -, das so manipuliert ist, dass jede Pflanze ihre eigenen Insektizide produziert.
Mehrere Forscher haben gezeigt, dass kein gentechnologisch behandeltes Saatgut den Fruchtertrag nennenswert steigert. Tatsächlich hat "Roundup Ready"-Saatgut bei mehr als 8200 Feldversuchen weniger Sojabohnen produziert als vergleichbare natürliche Varianten, wie eine Studie von Dr.Charles Benbrook, dem früheren Leiter der landwirtschaftlichen Abteilung der National Academy of Science zeigte.
Weit davon entfernt eine Lösung für das Welthungerproblem zu sein, kann stattdessen die rasche Einführung genmanipulierter Erträge möglicherweise die Landwirtschaft und die Nahrungsqualität bedrohen. Die massive Verwendung herbizidresistenten Saatguts kann zu verstärktem Gebrauch von Chemikalien führen, die "Unkräuter" töten. Doch in der Dritten Welt werden heute viele Pflanzen, deren Früchte nicht geerntet werden, von Kleinbauern als zusätzliche Nahrungsquelle oder Tierfutter verwendet. In den USA hat der Fish and Wildlife Service herausgefunden, dass Roundup bereits 74 gefährdete Pflanzenarten bedroht.
Die biologische Umweltverschmutzung durch genmanipulierte Organismen kann ein weiteres Problem sein. Monsanto ist dabei, die Lizenz für eine Gentechnik zu erhalten, die die Samen einer Frucht steril macht, so dass die Bauern von Monsanto abhängig werden, weil sie jedes Jahr neues Saatgut benötigen. Die Landwirtschaft in der Dritten Welt kann massiv geschädigt werden, wenn diese Gene andere lokale Nutzpflanzen kontaminieren, von denen die Armen abhängen. Und solche Gene können laut einer Studie von Martha Crouch von der Universität Indiana unbeabsichtigt andere Pflanzen sterilisieren.
Eine wirkliche Lösung des Hungerproblems hängt davon ab, ob die Armut und die Ungleichheit unter den Nahrungsmittelproduzenten und -konsumenten angegangen wird. Ein Nahrungsmittelsystem, das zunehmend von genetisch verändertem Saatgut abhängig wird, führt uns in die falsche Richtung.
Peter Rosset

Aus: New York Times, 1.9.1999. Peter Rosset ist Direktor des Institute for Food and Development Policy und Co-Autor des Buches World Hunger: Twelve Myths.


zum Anfang