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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.19 vom 16.09.1999, Seite 11

‘Wir haben verstanden‘

Weltspartag wird Protesttag gegen das Sparpaket

Die Aktionstage der Erwerbslosen im vergangenen Jahr (die sog. Jagoda-Tage) waren - neben der von der Initiative "Aufstehen für eine andere Politik" angeschobenen Demonstration am 20.Juni - der sichtbarste Ausdruck der "Kohl-muss-weg"-Stimmung, die schließlich für die Abwahl seiner Regierung gesorgt hat.
Die Erwerbslosen beschränkten sich damals jedoch nicht darauf, die Abwahl der Regierung zu fordern. Zum Abschluss der Kampagne im September in Berlin stellten sie ein 101-Tage-Programm vor, in dem sie - in Anlehnung an die Forderungen aus den Aktionstagen - ihre Erwartungen an eine neue Politik formulierten. Nach einer Schonfrist von 101 Tagen wollten sie die neue Bundesregierung an diesen Forderungen messen und entsprechend neue Aktionsschritte überlegen.
Nach 101 Tagen fiel die Bilanz der Regierung Schröder recht mager aus: die Regierung hatte die dreimonatige, persönliche Meldepflicht abgeschafft, den Zugang zu AB-Maßnahmen erleichtert und für Ältere eine längere Förderungdauer ermöglicht. Nicht zurückgenommen wurde hingegen alles, was auch nur ein bisschen Geld kostete: die jährliche 3%ige Kürzung der Arbeitslosenhilfe, die Aufhebung des Berufs- und Qualifikationsschutzes, die Zumutbarkeitsregelungen.
Dass die Bundesregierung nach einer Anstandspause von sechs Monaten darangehen würde, ein Sparpaket aufzulegen, das mit Rentnern und Erwerbslosen gezielt die Einkommensschwächsten ins Visier nehmen würde (siehe Artikel auf dieser Seite), hatten sie sich nicht vorgestellt. Die Initiativen, die Anfang September zur 13.Tagung der gewerkschaftlichen Arbeitslosengruppen in Bielefeld zusammentrafen, standen deshalb vor einer völlig neuen Situation und hatten sichtlich Schwierigkeiten, diese zu verdauen.
Das Sparpaket stand natürlich im Mittelpunkt der Beratungen und es war auch klar, dass Erwerbslose als Hauptbetroffene sich dagegen massiv zur Wehr setzen müssen. Gerade dies scheint derzeit jedoch besonders schwierig.
Es fängt damit an, dass auch viele Erwerbslose mit der Abwahl der Kohl-Regierung Hoffnungen verbunden haben und tief enttäuscht wurden. Eine solche Enttäuschung schlägt zumeist nicht gleich in Zorn und Widerstand um, zunächst machen sich Resignation und Rückzug auf individuelle Probleme breit. Das Zutrauen in die eigene Kraft schwindet und die Erwartung wächst, die Gewerkschaften mögen diejenigen sein, die sich in Bewegung setzen - obwohl die Signale aus dieser Ecke mehr als widersprüchlich sind.
Berichtet wurde, die DGB-Vorsitzenden aus Sachsen und Sachsen-Anhalt hätten dazu aufgerufen, gegen die Sparpläne einen heißen Herbst zu organisieren; ob sie auch aktiv werden, wenn aus dem DGB-Bundesvorstand kein grünes Licht dafür kommt, ist nicht ausgemacht.
Vom IG-Medien-Vorsitzenden Detlev Hensche wurde ein Brief verteilt, der an die Ortsvereine und Bezirke ging und eine deutliche Bewertung der Politik der Bundesregierung enthält: "Spätestens mit der Vorlage des Sparkonzepts hat die Bundesregierung eine grundsätzliche Wende vollzogen … Damit zeigt sich die rot-grüne Koalition gewillt, den neoliberalen Wirtschaftskurs der Vorgängerregierung fortzusetzen … Sollten sich im Zuge der weiteren parteiinternen Debatte Elemente dieses Papiers [des Schröder-Blair-Papiers] durchsetzen, ist eine wachsende Distanz zu den Gewerkschaften programmiert."
Doch zunächst bleibt es bei der Aufforderung an alle Mitglieder und Funktionäre der IG Medien, die weitere politische Entwicklung kritisch zuverfolgen.
Auch aus einem Leitartikel von Klaus Zwickel für die Zeitung Metall (Nr.9/99) ließ sich wenig Honig saugen. Zwickel versucht die SPD bei ihrem Selbsterhaltungswillen zu packen und prognostiziert ihr: "Bei ihrer Suche nach der ‚Neuen Mitte‘ arbeitet die SPD stramm auf die 25-Prozent-Marke in der Wählergunst hin. Wenn sie diese Mitte gefunden und die Mehrheit verloren hat, ist sie weg vom Fenster." Der Artikel endet mit dem Appell an die Regierung, sich doch noch zu besinnen.
Was folgt aus alledem? Wird der DGB auch in diesem Herbst wieder zu den Aktionen der Erwerbslosen mit aufrufen und somit zumindest den Landesverbänden grünes Licht geben, die im vergangenen Jahr die Protesttage unterstützt haben? Die Aussichten stehen nicht gut.
Aber auch unabhängig von der Haltung der Gewerkschaften hat der Erwerbslosenprotest diesmal gegen viele Hürden anzukämpfen. Da ist zum einen die Tatsache, dass "Sparen im Bewusstsein der Bevölkerung positiv besetzt ist", ein Erbe der protestantischen Ideologie. Obwohl die Arbeitslosen zu den Hauptbetroffenen des Pakets gehören, reagieren viele ganz spontan, nicht die Sparlüge selbst anzugreifen, sondern nur die Richtung des Sparens anzugreifen. So wird vielfach ausgeblendet, dass das Haushaltsloch hauptsächlich dadurch zustande kommt, dass den Armen gar nicht soviel genommen werden kann, wie den Reichen gegeben wird. Die erste und wirkungsvollste Sparmaßnahme läge in einer Umkehr dieser Politik: den Reichen zu nehmen, um gesellschaftlich notwendige Aufgaben wieder zu finanzieren. Daran denkt die Regierung aber nicht, sondern plant u.a. mit einer zusätzlichen steuerlichen Entlastung der Unternehmer in Höhe von 8 Milliarden Mark ein weiteres Loch im Haushalt (siehe Artikel auf dieser Seite).
Auch an anderer Stelle lässt sich nachweisen, dass die "Spar"maßnahmen der Bundesregierung zum Teil nur Umverteilungsmaßnahmen sind. So geht die Streichung der originären Arbeitslosenhilfe (Einsparung: 1 Mrd. Mark) zu Lasten der Kommunen, weil die davon betroffenen Beamtenanwärter, Soldaten oder Zivildienstleistenden nun direkt in die Sozialhilfe kommen; die Abteilung Arbeitsmarkt- und internationale Sozialpolitik beim Hauptvorstand des DGB beziffert die dadurch für die Sozialhilfeträger entstehenden Mehrausgaben auf 400-600 Millionen Mark.
Die zweite Hürde ist dadurch gegeben, dass das Sparpaket zwischen abhängig Beschäftigten und Leistungsbeziehern einen Keil treibt. Zwar belastet die Ökosteuer die durchschnittlichen Haushalte, aber diese werden auch entlastet: die Anhebung des steuerlichen Grundfreibetrags auf 14000 Mark und die Senkung des Eingangssteuersatzes auf 19,9% sollen sich für Familien mit Kindern in diesem Jahr mit 1200 Mark, in den nächsten Jahren mit bis zu 2500 Mark Ausgaben weniger im Jahr bemerkbar machen.
Natürlich werden die heute Berufstätigen morgen die Kürzungen bei der Rente und ggf. auch die Leistungskürzungen bei der Arbeitslosenhilfe zu spüren bekommen, aber das ist erst morgen, und viele denken nicht so weit. Das erschwert die Solidarisierung.
Mit Bitterkeit münzen die Erwerbslosen Eichels Spruch auf sich: "Gezielte Schnitte fördern das Wachstum." Der Zynismus dahinter ist grenzenlos und gibt den Betroffenen das Gefühl, auch für "rot"-grün nur zu dem Teil der Gesellschaft zu gehören, der "herausgeschnitten" werden muss, Abfall eben.
Von der Rente spricht alle Welt - und sei es nur, indem die CDU sie zu ihrem Thema macht, weil das traditionell ihre Klientel betrifft; von den Arbeitslosen spricht niemand. Kaum, dass die Öffentlichkeit weiß, was geplant ist, und die Auswirkungen der Maßnahmen sind auch noch relativ schwer zu erklären.
Kein Wunder, dass die auf der Tagung versammelten Erwerbslosen nicht wussten, wo sie anfangen sollten. Die Aufgabenstellung reichte von: die Öffentlichkeit aufklären; die Erwerbslosen erreichen und ihnen die Angst nehmen; aufzeigen, warum auch Beschäftigte betroffen sind; die Betriebe erreichen; die Arbeitslosen zur kritischen Masse machen - bis hin zur Aussage: "Das Sparpaket hat eine neue Qualität, unser Protest muss auch eine neue Qualität haben."
Am Ende kam heraus: Der Weltspartag (30.10.) ist der ideale Anlass für einen dezentralen Aktionstag gegen die Sparpolitik. Das Motto soll die Elemente kombinieren: "Böse Überraschung" und "Wir haben verstanden: Aufstand der Sparschweine". Viel Beifall fand die Idee, mit leeren Einkaufskörben und rot-grünen Sparpaketen vor die Filialen der Deutschen Bank zu ziehen. Nicht nur weil "unsere Regierungsschranzen nach den Wirtschaftsweisen tanzen", sondern auch weil Erwerbslose gerade mal einen Freibetrag von 8000 Mark (SozialhilfeempfängerInnen 2500 Mark) ansparen dürfen, alles darüber hinaus wird ihnen von der Arbeitslosenhilfe bzw. Sozialhilfe abgezogen. Ein Hohn ist unter diesen Umständen die Aufforderung, mehr private Altersvorsorge zu leisten. Zu den weiterhin aktuellen Forderungen aus dem vergangenen Jahr kommen deshalb in diesem Herbst Forderungen hinzu, die sich auf die Altersabsicherung von Erwerbslosen und Sozialhilfeempfängerinnen beziehen.
Geplant ist außerdem eine zentrale Aktion - vorzugsweise inBerlin - am 22.November, zum Zeitpunkt der zweiten oder dritten Lesung im Bundestag. Weiterhin aktuelle Aktionen bleiben die für die Einführung von Arbeitslosentickets.
Angela Klein


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