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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.19 vom 16.09.1999, Seite 14

Zeit für einen Neuanfang

Neuformierung der Gewerkschaftslinken

Am 15./16.April 1999 trafen sich in Oberursel ca. 140 GewerkschafterInnen aus der ganzen Budnesrepublik zur Gründung der ‚Initiative zur Vernetzung linker GewerkschafterInnen‘. Was etwas holprig daherkommt, ist nicht mehr und nicht weniger als ein längerfristig angelegtes Projekt mit dem Ziel, linker Gewerkschaftspolitik größere Geltung zu verschaffen. Vorausgegangen war eine ca. einjährige Debatte in verschiedenen regionalen Diskussionszusammenhängen und in den Zeitschriften Sozialismus und express, die die Initiatoren ermutigte, das erste bundesweite Treffen zu organisieren."
Bernd Riexinger, der die obigen Zeilen als Einleitung zu einer Dokumentation dieser ersten Tagung schrieb, gehört zu den Initiatoren. Er hat zusammen mit Tom Adler, beides Betriebsräte bei Daimler Benz in Stuttgart, im Sommer vor der Bundestagswahl einen Aufruf gegen ein Bündnis für Arbeit verfasst, das in verschiedenen Zeitschriften, u.a. auch in der SoZ veröffentlicht wurde.
Der Aufruf erhielt damals breite Unterstützung in Gewerkschaftskreisen, kam jedoch aus organisatorischen Gründen aus dem Raum Baden-Württemberg nicht so recht heraus. Er geriet zur Grundlage für eine Diskussionsplattform der Gewerkschaftslinken, die zusammen mit anderen Tagungsbeiträgen in der Broschüre "Perspektiven der Gewerkschaftslinken" als Beiheft zur Ausgabe 7-8/99 der Zeitschrift Sozialismus und zur Ausgabe 6-7/99 der Zeitschrift express veröffentlicht wurde.*
Das Heftchen gibt einen ausgezeichneten Einblick in die Analysen linker Gewerkschafter (es schreiben nur Männer und nur deutsche, was mit Sicherheit eine Schwäche dieser Linken offenbart; wo Betriebsräte zu Wort kommen, kommen sie aus Großbetrieben der Automobil- und Chemieindustrie) über die Umstrukturierung der Konzerne, in denen sie tätig sind, über die neuen Tendenzen der Tarifpolitik, über die "konzeptionelle Hilflosigkeit" der Gewerkschaftsvorstände gegenüber der neoliberalen Politik, aber auch über den Zustand der Gewerkschaftslinken selbst, die mit der Tagung vom April seit Mitte der 80er Jahre erstmals wieder den Versuch unternimmt, nicht nur in einem Konzern oder einer Branche zu wirken, sondern die Herausforderung anzunehmen scheint, dass ein grundlegend anderer Weg gegangen werden muss.
"Ausgangspunkt für die Initiative ist die Einschätzung einer tiefen politischen Krise der Gewerkschaften, die zugleich eine Krise der Politik der Sozialpartnerschaft und vielleicht sogar des Reformismus ist." Frank Deppe bezeichnet diese Krise in seinem Einleitungsreferat als "Zäsur" im Übergang in das 21.Jahrhundert und er möchte diesen Begriff zum "Ausgangspunkt für die Konstituierung einer Gewerkschaftslinken" machen.
Bei der Politik der Regierung Schröder, sagt er, gehe es nicht um mehr oder weniger Sozialpartnerschaft; es geht auch kaum noch um die zentralen Themen aus den Debatten der 80er und frühen 90er Jahre (z.B. den Ausstieg aus der Kernenergie), es geht "um ein neues Modell von Politik, um eine Neuvermessung des Verhältnisses von Ökonomie und Politik, um die Etablierung eiens neuen Regimes. Auf der Tagesordnung steht die Herausbildung eines neuen Korporatismus, einer neuen Form der institutionalisierten Regelung der Kooperation von Kapital, Arbeit und Regierung."
Der alte Sozialkorporatismus ist aufgegeben; der neue Wettbewerbskorporatismus strebt den Konsens zwischen Gewerkschaften, Kapital und Regierung in dem Ziel an, "das Überleben des Standorts Deutschland in der globalen Konkurrenz zu sichern. Unter dieser Voraussetzung akzeptieren Gewrekschaften eine ,moderate Lohnpolitik‘, einen Niedriglohnsektor sowie den Umbau der Sozialsysteme. Im Austausch dafür erkennen die Arbeitgeber die Gewerkschaften als Verhandlungspartner an, akzeptieren Flächentarifverträge ,mit weiten Fenstern‘ und versprechen mehr Beschäftigung."
Die Auseinandersetzung mit dem Bündnis für Arbeit ("die zentrale Institution für die Durchsetzung des Wettbewerbskorporatismus") bildet deshalb den Kern der Broschüre wie auch der Initiative. Auf einer Folgetagung Anfang Dezember soll die Debatte darum intensiviert werden.
"Es gibt noch eine weitere Problematik, die zumindest in den Analysen der Linken vertieft werden sollte ... Seit Anfang der 90er Jahre wirken die Militärausgaben als ein Konjunkturprogramm, das zuindest z.T. den Boom der US-amerikanischen Wirtschaft in den 90er Jahren erklärt. Wir werden uns in Zukunft wieder intensiver mit der Frage beschäftigen müssen, inwieweit Hochrüstung für die Überwindung der ,langen Depression‘ seit Mitte der 70er Jahre Bedeutung hat. Die Frage von Krieg und Frieden würde so für die Linke - anders als im Zeitalter des Kalten Krieges und der atomaren Systemkonkurrenz - eine ganz neue Bedeutung erhalten."
Im Hinblick auf dieses "zweite Standbein" hat die Initiative Anfang September eine Tagung gegen den Krieg in Frankfurt am main durchgeführt (siehe diese Ausgabe der SoZ, S.2 und 5).
In seinem Einleitungsbeitrag hat Frank Deppe auch Elemente eines Selbstverständnisses für eine solche Gewerkschaftslinke skizziert. Es soll eine "radikale und kapitalismuskritische, sozialistische und radikaldemokratische Strömung innerhalb der Einheitsgewerkschaften" werden, die von der Ebene der betrieblichen Interessenvertretung nicht abgehoben ist.. Sie soll sich als "plurale Linke" verstehen, es soll keine "hegemonialen Bestrebungen bestimmter Richtungen" geben.
Die Gewerkschaftslinke "muss sich mit anderen porgressiven politischen und sozialen Kräften vernetzen; sie muss sich als Teil eines Blocks progressiver politischer, sozialer und kultureller Kräfte" und von Anfang an auch "als Teil eines internationalen Formierungsprozesses von kapitalismuskritischen Kräften" verstehen. "Dabei spielt die Vernetzung ihrer Diskussionen und Aktivitäten mit der Gewerkschaftslinken in Europa eine besonders wichtige Rolle."
Deppe mahnte zudem die Klärung "zahlreicher Fragen von grundsätzlicher Bedeutung" an: der Begriff der Arbeiterklasse, der Arbeiterbewegung und der Arbeit selbst; der Begriff der Einheitsgewerkschaft und die Rolle der Parteien; die Bedeutung des Reformismus in der Gegenwart usw.
Der Schlussfeststellung Deppes kann man nur zustimmen: "Die Konstituierung einer Gewerkschaftslinken könnte auch einen Beitrag zur Überwindung der inzwischen weit verbreiteten Resignation gerade bei den gewerkschaftlichen Aktivgruppen leisten" - wenn sie denn dazu kommt, rechtzeitig und sichtbar zu handeln und andere zum Handeln zu bringen.
Das nächste Treffen dieses Kreises findet am 3. und 4.Dezember in Stuttgart zum Thema "Bündnis für Arbeit" statt. Eine Gelegenheit, die zeitige Mobilisierung gegen das Sparpaket der neuen Bundesregierung, wurde damit schon verpasst.
Angela Klein

*Perspektiven der Gewerkschaftslinken (Hg. Redaktion Sozialismus und Redaktion express). Zu bestellen über: VSA-Verlag, St.- Georgs-Kirchhof 6, 20099 Hamburg.


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