Sozialistische Zeitung |
Zum ideologischen Gepäck des Neoliberalismus gehört die gebetsmühlenartig wiederholte
Behauptung: "Zum Sparen gibt es keine Alternative." Abgesehen davon, dass in der Wirtschaftspolitik der Maßstab der
gesamtgesellschaftlichen Bedürfnisse anzulegen wäre, anstelle einer "Kosten-Nutzen-Analyse", wie sie für
private Betriebe errechnet wird, die ihre Wirtschaftstätigkeit nach der Verwertung des angelegten Geldes richten, gibt es aber auch
"systemimmanente" Alternativen.
Dieter Eißel, Politikwissenschaftler an der Universität Gießen und Experte für Fragen der sozialen Gerechtigkeit,
antwortete auf die Frage von metall in der Ausgabe vom September 1999, ob die Besteuerung großer Vermögen der richtige Hebel
sei, die "Gerechtigkeitslücke" zu schließen: "60% des Geldvermögens (in Höhe von 5,5 Billionen
Mark) sind in den Händen von Vermögensmillionären konzentriert. Bei einem Steuersatz von nur 0,7%, wie er in Holland
gilt, brächte das rd. 50 Milliarden Mark ein." Eichels "Sparpaket", das auch Arbeitslose und
Sozialhilfeempfänger schröpft, bringt nur 30 Mrd. Mark. 0,7% sind 70 Pfennig pro 100 Mark der
Vermögensmillionäre.
Die Deutsche Steuergewerkschaft (DStG) im Deutschen Beamtenbund hält die deutsche Besteuerungspraxis für verfassungswidrig.
Denn Lohn- und Mehrwertsteuer werden vollständig eingezogen, alle anderen Steuerarten, insbesondere solche von Selbständigen,
aber nur teilweise. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht längst den Staat verpflichtet, für eine gleichmäßige
Besteuerung sowie Überprüfung der Angaben zu sorgen.
Die DStG schätzt den Steuerausfall durch Steuerkriminalität auf 150 Milliarden Mark und hat bereits 1998 Klage beim
Finanzgericht Hannover eingereicht mit dem Ziel der Vorlage beim Bundesverfassungsgericht.
Im Finanzministerium scheint all dies nicht bekannt zu sein. Zumindest müsste doch jemand etwas von der scharfen Kritik erfahren haben,
die der sozialdemokratische Vorgänger im Ministerium von Walter Riester, der nicht eben als "linksradikal"
verdächtige Herbert Ehrenberg, geübt hat.
Er widerlegt die Behauptung von Wirtschaftsminister Müller (im Vorwort zum Wirtschaftsbericht 1999), die "zu hohe Belastrung
mit Steuern und Abgaben" führe "zur Finanzierung einer unsozialen Anspruchsinflation an den Staat" und die
"permanente Sozialisierung des Mehrwerts" lähme Leistungswillen und Verantwortlichkeit, mit nüchterner
Statistik:
An dem Zuwachs an Wirtschaftsleistung seit 1980 haben die Unternehmens- und Vermögenseinkommen fast dreimal so stark partizipiert
wie die Arbeitnehmer, die bei dieser Art "Sozialisierung" Verlust hinnehmen mussten. Die realen Nettoverdienste der Arbeitnehmer
lagen 1997 um 3,7% unter dem Niveau von 1980.
Auch die angeprangerte "Anspruchsinflation an den Staat" findet in der Finanz- und Sozialstatistik keine Bestätigung.
Für 1997 wird eine Steuerquote von 21,9% ausgewiesen, das ist die niedrigste Steuerquote seit 1951 (1980: 25,1%).
Die Abgabenquote für Steuern und Sozialausgaben in Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) lag 1997 mit 37,5% leicht unter den
38,2% des Jahres 1980.
Weder Sozialleistungsempfänger noch Arbeitnehmer haben seit 1980 "die Leistungsfähigkeit von Wirtschaft und
Gesellschaft" durch "zuviele Ansprüche an den Staat" überfordert. Ihre durchgesetzten Ansprüche sind weit
hinter den Zuwächsen der Unternehmer und Vermögenden zurückgeblieben.
Der ehemalige SPD-Arbeitsminister Ehrenberg räumt auch mit der Legende auf, dass eine stärkere Senkung der
Unternehmensteuern automatisch mehr Investitionsbereitschaft und damit mehr Arbeitsplätze schaffe.
Das Lohnsteueraufkommen lag 1997 um 20,7% über dem Niveau von 1992, das der Umsatzsteuer um 21,8%. Das Aufkommen aus
Unternehmen- und Vermögensteuern lag 14,8% unter dem Niveau von 1992.
Trotzdem stiegen die Anlageinvestitionen lediglich um 1,8%, das private Geldvermögen hingegen um 44,3%. Wo kann es anders angelegt
worden sein als in Börsen- und Finanzspekulation?
Die Zahl der Beschäftigten ging um 2,1 Millionen zurück, die der registrierten Erwerbslosen stieg um 1,4 Mio.; 1,1 Mio. gingen
wegen vorausgegangener Arbeitslosigkeit in Rente.
Allen liberalen Gegenthesen zum Trotz sieht Herbert Ehrenberg in öffentlichen Investitionen immer noch den zuverlässigsten
Hebel, um nachhaltige Beschäftigung auszulösen. Sein Sparpaket lautet
"Kräftigere Steigerung der öffentlichen Investitionen mit einer Anschubfinanzierung über die Vermögensteuer
und Aktivierung der Goldreserven. (Blair hat 80% von ihnen verkauft. Bei uns würde das 34,4,Mrd. Mark bringen.) Der einzige
erfolgversprechende Weg: Aus Arbeitslosengeldempfänger Beitrags- und Steuerzahler machen."
Jakob Moneta