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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.20 vom 30.09.1999, Seite 4

Wahl-Nachlese

Die Führungen von SPD und Bündnisgrünen haben mit ihrer Politik in diesem Jahr unter Beweis gestellt, dass sie "Systemparteien" sind - Parteien, die voll und ganz dem Interesse des kapitalistischen Systems und derjenigen, die in diesem die wirkliche Macht ausüben - Konzerne, Banken, Versicherungen, Arbeitgeberverbände - wirken. Sie haben unter Beweis gestellt, dass sie gegebenenfalls diese Politik gegen einen erheblichen Teil ihrer Anhängerschaft durchzusetzen gewillt sind. Und dass sie dabei bis zur Zerstörung ihrer eigenen Partei- und Wählerbasis gehen. Nichts drückt dies deutlicher aus als die Auftritte Schröders und Münteferings nach jeder Wahlniederlage. Der Schröder-Satz nach der Thüringen-Wahl: "Wir können das Programm nicht ändern" - gemeint war das "Sparprogramm - ist fast programmatisch: Offensichtlich wird dieses Programm anderswo "gemacht" bzw. vorgegeben.
Die zentralen Themen "Krieg" und "unsoziales Sparen", bei denen "Rot-Grün" gegen die eigenen Wahlprogramme Politik macht, sind nicht zufällig. Das "System" stellt in der aktuellen Periode genau diese Anforderungen. "Sparen" heißt Fortsetzung der neoliberalen Politik des Abbaus von Staat dort, wo er Schwache schützt bei gleichzeitiger Stärkung des Staates dort, wo er Demokratie durch Überwachung und Zwang ersetzt. Vor allem aber heißt dies Fortsetzung einer gewaltigen Umverteilung von unten nach oben.
Krieg ist ebenfalls eine logische Anforderung des Kapitalismus im aktuellen Stadium. Der Kampf um den Weltmarkt, die Aufteilung des "Rests der Welt" unter den 200 transnationalen Konzernen erfordert eine nationalstaatliche Politik im Banken- und Konzerninteresse, bei welcher Kriege als "normaler" Bestandteil eines business as usual, als Fortsetzung der Außenpolitik mit anderen Mitteln, begriffen wird. Umverteilung von unten nach oben im Inneren und Intervention und Kriege in der Außenpolitik dienen ein- und denselben Interessen. Die Vertreter von "Rot-Grün" haben bereits wenige Monate nach dem Regierungswechsel unter Beweis gestellt, dass sie ausschließlich diesen Interessen dienen.
Nun ließe sich sagen: "… und tschüss!" Dann kommt irgendwann wieder eine CDU-geführte Regierung oder die Große Koalition. Derweil wächst die PDS noch ein bisschen heran. Und weiter geht‘s im "Bäumchen-wechsle- dich-Spiel".
Leider gibt es gute Gründe, dass es anders kommt. Und auch dafür ist das "System" entscheidend. Die materiellen Grundlagen der kapitalistischen Ökonomie werden um so labiler, wie der neoliberale Sparkurs und der Wettlauf nach neuen Märkten sich zum "Terror der Ökonomie" steigert. Der in Hessen gescheiterte und als Sparkommissar von den neoliberalen Medien gefeierte Eichel legt die Folterwerkzeuge bei den sozial Schwachen doch in einer relativen Gutwetterperiode an. Wie wird erst zur Kasse gebeten, wenn eine neue Rezession ansteht?
Nur ein banaler Verweis: Eichel schafft trotz unsozialem "Sparkurs" nur, die Neuverschuldung, also den Anstieg der öffentlichen Schuld zu bremsen. Gleichzeitig liegt der durchschnittliche Zins der Bundesschuld mit 5,46% auf Rekordtief. Nur eine kleine Anhebung des Zinssatzes durch die Europäische Zentralbank - die mit Blick auf die USA konkret ansteht - und alle Sparbemühungen werden durch die Zinserhöhung zunichte gemacht. Dann geht‘s richtig ans Eingemachte.
Der als SPD-Chef gescheiterte und als Kriegsminister von den kriegsgeilen Medien gefeierte Scharping hat den ersten deutschen Krieg nach 1945 noch als Juniorpartner der USA geführt. Doch der Kosovo-Krieg war nur der Probelauf - für kommende "eigene" Kriege, die Deutschland bzw. eine EU unter deutscher Führung mit der WEU zu führen gedenken.
Derweil steigt die Massenerwerbslosigkeit, derweil nehmen Verarmung und Ausgrenzung als logisches Ergebnis dieser rotgrünen neoliberalen Politik zu. Derweil wandern weitere Hunderttausende "rot-grüne" Wähler ins rechte und rechtsextreme Lager. Dass die PDS dabei wächst, ist keineswegs ausgemacht. Je mehr sie mitregiert, je mehr sie mit einem Sparkurs auf Landesebene identifiziert wird, je mehr sie Blair-Schröder mit rötlicher Tünche präsentiert, desto sicherer verliert sie selbst an Anhang. Bei der Europawahl erzielte die PDS in den neuen Bundesländern gegenüber 1994 ein absolutes Minus von 189.000 Stimmen - bei einem Plus von 85.000 in den alten Ländern. Die deutlichsten Einbrüche gab es übrigens in Mecklenburg- Vorpommern mit minus 65.000 Stimmen, die zweitstärksten in Sachsen-Anhalt mit 46.000 Stimmen Verluste. Das Plus in Prozenten und der erfreuliche Einzug ins Europaparlament war ausschließlich der niedrigeren Wahlbeteiligung geschuldet.
Den weiteren Gang der Gesellschaft wird die Entwicklung der Massenerwerbslosigkeit entscheiden. Ohne Bewegung von unten - von Arbeitslosen, Beschäftigten und Gewerkschaften - wird sich die Massenarbeitslosigkeit weiter erhöhen und spätestens mit einer kommenden Rezession dem historischen Höchststand von 1932, der 6-Millionen-Zahl, nähern. Man mag über die Marge streiten, bei welcher das kapitalistische System mittels bürgerlicher Demokratie am Funktionieren gehalten wird. Sicher ist: Dieses Land nähert sich wieder dieser Grenze. Und die Linke ist darauf nicht - und noch weniger als 1933 - vorbereitet.
Winfried Wolf


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