Sozialistische Zeitung |
Die Führungen von SPD und Bündnisgrünen haben mit ihrer Politik in diesem Jahr unter
Beweis gestellt, dass sie "Systemparteien" sind - Parteien, die voll und ganz dem Interesse des kapitalistischen Systems und
derjenigen, die in diesem die wirkliche Macht ausüben - Konzerne, Banken, Versicherungen, Arbeitgeberverbände - wirken. Sie
haben unter Beweis gestellt, dass sie gegebenenfalls diese Politik gegen einen erheblichen Teil ihrer Anhängerschaft durchzusetzen
gewillt sind. Und dass sie dabei bis zur Zerstörung ihrer eigenen Partei- und Wählerbasis gehen. Nichts drückt dies
deutlicher aus als die Auftritte Schröders und Münteferings nach jeder Wahlniederlage. Der Schröder-Satz nach der
Thüringen-Wahl: "Wir können das Programm nicht ändern" - gemeint war das "Sparprogramm - ist fast
programmatisch: Offensichtlich wird dieses Programm anderswo "gemacht" bzw. vorgegeben.
Die zentralen Themen "Krieg" und "unsoziales Sparen", bei denen "Rot-Grün" gegen die eigenen
Wahlprogramme Politik macht, sind nicht zufällig. Das "System" stellt in der aktuellen Periode genau diese Anforderungen.
"Sparen" heißt Fortsetzung der neoliberalen Politik des Abbaus von Staat dort, wo er Schwache schützt bei
gleichzeitiger Stärkung des Staates dort, wo er Demokratie durch Überwachung und Zwang ersetzt. Vor allem aber heißt dies
Fortsetzung einer gewaltigen Umverteilung von unten nach oben.
Krieg ist ebenfalls eine logische Anforderung des Kapitalismus im aktuellen Stadium. Der Kampf um den Weltmarkt, die Aufteilung des
"Rests der Welt" unter den 200 transnationalen Konzernen erfordert eine nationalstaatliche Politik im Banken- und
Konzerninteresse, bei welcher Kriege als "normaler" Bestandteil eines business as usual, als Fortsetzung der Außenpolitik
mit anderen Mitteln, begriffen wird. Umverteilung von unten nach oben im Inneren und Intervention und Kriege in der Außenpolitik dienen
ein- und denselben Interessen. Die Vertreter von "Rot-Grün" haben bereits wenige Monate nach dem Regierungswechsel unter
Beweis gestellt, dass sie ausschließlich diesen Interessen dienen.
Nun ließe sich sagen: "… und tschüss!" Dann kommt irgendwann wieder eine CDU-geführte Regierung oder die
Große Koalition. Derweil wächst die PDS noch ein bisschen heran. Und weiter gehts im "Bäumchen-wechsle-
dich-Spiel".
Leider gibt es gute Gründe, dass es anders kommt. Und auch dafür ist das "System" entscheidend. Die materiellen
Grundlagen der kapitalistischen Ökonomie werden um so labiler, wie der neoliberale Sparkurs und der Wettlauf nach neuen
Märkten sich zum "Terror der Ökonomie" steigert. Der in Hessen gescheiterte und als Sparkommissar von den
neoliberalen Medien gefeierte Eichel legt die Folterwerkzeuge bei den sozial Schwachen doch in einer relativen Gutwetterperiode an. Wie
wird erst zur Kasse gebeten, wenn eine neue Rezession ansteht?
Nur ein banaler Verweis: Eichel schafft trotz unsozialem "Sparkurs" nur, die Neuverschuldung, also den Anstieg der
öffentlichen Schuld zu bremsen. Gleichzeitig liegt der durchschnittliche Zins der Bundesschuld mit 5,46% auf Rekordtief. Nur eine kleine
Anhebung des Zinssatzes durch die Europäische Zentralbank - die mit Blick auf die USA konkret ansteht - und alle
Sparbemühungen werden durch die Zinserhöhung zunichte gemacht. Dann gehts richtig ans Eingemachte.
Der als SPD-Chef gescheiterte und als Kriegsminister von den kriegsgeilen Medien gefeierte Scharping hat den ersten deutschen Krieg nach
1945 noch als Juniorpartner der USA geführt. Doch der Kosovo-Krieg war nur der Probelauf - für kommende "eigene"
Kriege, die Deutschland bzw. eine EU unter deutscher Führung mit der WEU zu führen gedenken.
Derweil steigt die Massenerwerbslosigkeit, derweil nehmen Verarmung und Ausgrenzung als logisches Ergebnis dieser rotgrünen
neoliberalen Politik zu. Derweil wandern weitere Hunderttausende "rot-grüne" Wähler ins rechte und rechtsextreme
Lager. Dass die PDS dabei wächst, ist keineswegs ausgemacht. Je mehr sie mitregiert, je mehr sie mit einem Sparkurs auf Landesebene
identifiziert wird, je mehr sie Blair-Schröder mit rötlicher Tünche präsentiert, desto sicherer verliert sie selbst an
Anhang. Bei der Europawahl erzielte die PDS in den neuen Bundesländern gegenüber 1994 ein absolutes Minus von 189.000
Stimmen - bei einem Plus von 85.000 in den alten Ländern. Die deutlichsten Einbrüche gab es übrigens in Mecklenburg-
Vorpommern mit minus 65.000 Stimmen, die zweitstärksten in Sachsen-Anhalt mit 46.000 Stimmen Verluste. Das Plus in Prozenten und
der erfreuliche Einzug ins Europaparlament war ausschließlich der niedrigeren Wahlbeteiligung geschuldet.
Den weiteren Gang der Gesellschaft wird die Entwicklung der Massenerwerbslosigkeit entscheiden. Ohne Bewegung von unten - von
Arbeitslosen, Beschäftigten und Gewerkschaften - wird sich die Massenarbeitslosigkeit weiter erhöhen und spätestens mit
einer kommenden Rezession dem historischen Höchststand von 1932, der 6-Millionen-Zahl, nähern. Man mag über die
Marge streiten, bei welcher das kapitalistische System mittels bürgerlicher Demokratie am Funktionieren gehalten wird. Sicher ist:
Dieses Land nähert sich wieder dieser Grenze. Und die Linke ist darauf nicht - und noch weniger als 1933 - vorbereitet.
Winfried Wolf