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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.20 vom 30.09.1999, Seite 5

Soziale Heimat der Ostdeutschen

Die PDS Ost und ihr Verhältnis zur SPD

BODO RAMELOW ist nach der Landtagswahl in Thüringen am 12.9. stellvertretender Fraktionsvorsitzender geworden. Vor der Wahl war er Landesvorsitzender der HBV in Thüringen. Die SoZ sprach mit ihm über die Veränderungen in der SPD und deren Folgen für das Verhältnis von PDS und SPD.

Du wolltest in Thüringen Arbeitsminister werden. Meinst du, du hättest deine Vorstellungen in einer Koalitionsregierung mit der SPD realisieren können?
Ich wollte nicht Arbeitsminister werden; die PDS wollte, so stand es auch im Landeswahlprogramm, die Ministerien Wirtschaft, Arbeit und Soziales sowie Wissenschaft neu ordnen und daraus einerseits ein Aufbauministerium, andererseits ein Zukunftsministerium machen. Die Fördergelder aus der Wirtschaftsförderung sollten mit der Arbeitsmarktpolitik kombiniert werden, so dass im öffentlichen Beschäftigungssektor eine Vielzahl von Initiativen hätten ergriffen werden können. Das war unser politisches Konzept. Zur Personalfrage habe ich nur gesagt, ich traue mir zu, sowas zu machen...
Der zweite Teil der Frage bedrückt mich aber viel mehr. Seit Ausbruch des Kosovokriegs war ich mir persönlich nicht mehr im Klaren darüber, ob mit dieser SPD tatsächlich eine gemeinsame Veränderung in grundsätzlichen politischen Fragen im Sinne eines Politikwechsels möglich gewesen wäre. Nicht weil ich die SPD in Thüringen für besondere Kriegstreiber halte, sondern weil ich der Meinung bin, dass sich mit dem Eintritt in den Kosovokrieg die Grundbedingungen der politischen Auseinandersetzung im Innenpolitischen verändert haben und die ganze Kraft bei den Grünen und bei der SPD verbraucht worden ist, um alle Abgeordneten auf Kriegskurs zu bringen. Das hat gelähmt, hat auch alle Kraft für eine inhaltliche Debatte aus diesen Parteien herausgesogen. Seit diesem Zeitpunkt gab es keine wirkliche inhaltliche Auseinandersetzung um andere Arbeits-und Wirtschaftsmodelle mehr. Einen öffentlichen Beschäftigungssektor zu bilden wäre mit den real existierenden Politikern der SPD tatsächlich ein unglaublich schwieriger Weg gewesen.
Nach den Wahlen in Brandenburg hat die dortige Landesvorsitzende, Anita Tack, gesagt, immerhin hätte die Mehrheit links gewählt und addierte dabei die Stimmen für SPD und PDS. Siehst du das auch so?
Es ist schwer zu sagen, was in der SPD als links gelten kann und ob alles, was neben der CDU ist, deshalb schon links ist. Rein rechnerisch stimmt die Aussage, aber das ist eine mechanische Betrachtung. Tatsächlich ist der Kaschmir-Kanzler kein Vertreter des linken Flügels, und mein Problem ist auch, dass der linke Teil, der in der Öffentlichkeit am stärksten von Lafontaine repräsentiert wird, in der SPD völlig verloren gegangen ist. Bei den Grünen habe ich das Gefühl, dass sie mittlerweile zur grün lackierten FPD mutiert sind, die mehr dem neoliberalen Kurs anhängen, als einem gesellschaftlichen Aufbruch, der andere Wege sucht als die von der wirtschaftsliberalen Logik vorgegebenen. Deshalb würde ich es heute nicht mehr wagen, SPD und PDS einfach zum "linken Spektrum" zusammenzuaddieren.
Ich bleibe aber dabei: Wenn eine Partei wie die PDS kandidiert, muss sie sagen, wie sie Politik umsetzen will; das geht im Parlamentarismus nur über Koalitionen, weil die PDS allein keine Mehrheitspartei werden wird - und das ist auch gut so. Veränderungen wird es in dieser Gesellschaft aber nur geben, wenn sie außerhalb des Parlaments mit viel Druck eingefordert werden. Das Parlament ist ja nur ein Teil der Administration, bei dem Bewegungen kanalisiert werden sollen.
Jetzt wird die PDS ja nicht so schnell in die Verlegenheit kommen, neue Koalitionen einzugehen. Was bedeutet das denn für die strategische Orientierung der PDS in Ostdeutschland? Wird sie den Platz der Sozialdemokratie im ostdeutschen Parteiengefüge einnehmen wollen und was hätte das für Konsequenzen für sie?
Man muss sehen, dass in Ostdeutschland - und nur bei dieser Betrachtung bin ich bereit, einen solchen Satz zu prägen - eine traditionelle Sozialdemokratie nicht gewachsen bzw. durch schlimme Brüche zerstört worden ist, die alte Sozialdemokratie also an bestimmten Stellen abgebrochen wurde und in den letzten zehn Jahren auch nicht gewachsen ist. Es hat aus der Wendezeit Leute gegeben, die sich als Sozialdemokraten geriert haben: die definieren sich als Opfer der SED-Zeit, sie würden sich niemals als links empfinden und auch nicht als natürliche Partner der PDS bezeichnen. Die sind nur mit schlimmer Abgrenzung beschäftigt, teilweise schlimmer als CDU- Vertreter, die ja selber Blockflöten-Nachfolger sind.
Ihre Sozialdemokratisierung als Integration in das bestehende Parteiengefüge hat die PDS in den vergangenen Jahren bereits vollzogen - nicht weil sie zur sozialdemokratischen Ersatzpartei geworden ist, sondern weil sie die Strömungen aufgegriffen hat, die im Osten da sind und denen man über das Milieu natürlich auch Heimat geboten hat. Wenn ich die Programmatik der PDS in Thüringen mit der der südhessischen SPD in den 70er und 80er Jahren vergleiche, hatte letztere vermutlich ein linkeres Programm als derzeit die PDS. Deswegen stimmen die althergebrachten Begriffe nicht mehr. Die PDS wird in den neuen Bundesländern als soziale Heimat betrachtet, und je mehr man uns ausgrenzt als Partei, desto mehr werden wir.
Das reicht mir aber nicht. Meine Perspektive heißt, eine gesamtdeutsche Linkspartei zu werden, links von der SPD, d.h. aber auch, sich ein gesamtdeutsches linkes Profil erst zu erarbeiten. Zur Zeit ist der Riss zwischen der PDS West und der PDS Ost klar spürbar: es gibt völlig andere Betrachtungsweisen, völlig andere Sozialisationen. Erst wenn es gelingt, aus den Wurzeln beider Sozialisationen gemeinsame politische Ansätze zu finden, erst dann wird es gelingen, eine gesamtdeutsche Partei zu werden.
Siehst du einen Weg dahin?
Ich will mal eine politische Bewegung nennen, bei der Ansätze dafür da waren: das war die Erfurter Erklärung und alles, was darum entstanden ist. Dasselbe wäre vorstellbar, wenn wir endlich um eine gemeinsame gesamtdeutsche Verfassung streiten würden, die tatsächlich antimilitaristisch ist, soziale Rechte festschreibt, direkte Demokratie ermöglicht, wo auch andere Lebensgefühle und Gesellschaftsentwürfe Platz haben. Aber auch andere Auseinandersetzungen sind dazu geeignet: die um das Asylrecht, die Unverletztlichkeit der Privatsphäre, die Stärkung der Teile des Grundgesetzes, wo Freiheitsrechte abgesichert werden. Spätestens wenn die nächste Volkszählung kommt, wird sich zeigen, ob es eine Auseinandersetzung für das informelle Selbstbestimmungsrecht u.a. noch einmal gibt und ob sie tragfähig genug ist, um daraus eine gesamtdeutsche politische Bewegung zu machen.
Dafür werbe ich in der PDS. Deswegen bin ich mit dem Kriegsbeginn im Kosovo in die PDS eingetreten - das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich mich entscheiden wollte. Das sollte auch ein Signal an die Kräfte sein, die in der PDS für eine gesamtdeutsche Partei eintreten, denen will ich den Rücken stärken. Damit bin ich im Moment allerdings noch - der Wahrnehmung nach - eine Ausnahme, wirklich der Vorzeigewestdeutsche. Es nehmen mir auch viele Westdeutsche hier in Thüringen krumm, dass ich in die PDS eingetreten bin, das kriege ich in Gesicht gesagt.


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