Sozialistische Zeitung |
Im Balkankrieg 1999 wurde die Tätigkeit der NATO-Soldaten, die Bombenangriffe auf Ziele in
Jugoslawien flogen, wiederholt als "Arbeit" bezeichnet, bei den Kampffliegern und dem übrigen Armee-Personal selbst
wurde das Handwerkmäßige ihres Tuns und die "Professionalität" hervorgehoben. Der Krieg wurde als Alltag,
als normale gesellschaftliche Erscheinung, als anstrengender und begeisternder Job beschrieben. Das eigentliche Tun - Töten,
Zerstören, Vernichten, Sprengen, Bombardieren - ist weitgehend entrückt oder ideologisch verfremdet.
Da wird der deutsche Bundeswehrpilot Tom im Stern mit den Worten zitiert: "Wenn du im Flieger sitzt, bist du so konzentriert am
Arbeiten, dass du nicht zum Nachdenken kommst. Das hilft." In der Welt am Sonntag ist es eine Frau, die durch Kriegsarbeit zur Heldin
geadelt wird: "Die junge Soldatin, die an Deck des Flugzeugträgers Theodore Roosevelt eine 200-Pfund-Laserbombe lädt,
die an einem Tomcat [Kampfjet] angebracht ist, ist eine Heldin. Sie macht diese Arbeit, weil sie getan werden muss. Für eine Idee, die
alle gut finden: eine gerechtere, menschliche Welt."
Ein Raketenoffizier, der auf einem anderen US-Schiff Dienst tut, wird an anderer Stelle mit den Worten zitiert: "Die Zufriedenheit mit
dem Beruf ist auf Rekordhöhe."
Das "Kriegshandwerk" bzw. sein Erlernen werden als integraler Teil der gesellschaftlichen Sozialisation, ja - wie in der
unsäglichen westdeutschen Debatte der 70er Jahre über die Bundeswehr als "Schule der Nation" - als Ort des Erlernens
entscheidender zwischenmenschlicher Fähigkeiten geschildert. General Klaus Naumann schwärmt von seiner Grundwehrdienstzeit
als "einer prägenden Zeit in meinem Leben, da sie mir Kontakte zu allen Bereichen der Gesellschaft, zum Handwerkergesellen wie
zum Mittelschüler oder Abiturienten ermöglicht hat. Das bessere Verständnis füreinander kam mir für meine
spätere Dienstzeit zugute."
Das Leben auf dem im Kriegseinsatz befindlichen Flugzeugträger Theodore Roosevelt wird von einem Reporter der Washington Post mit
dem "Alltag in einem großen Büro" verglichen, weil das "Gefühl für Gefahr weitgehend
abwesend" war. "Da werden 5500 Personalakten und 75.000 Versorgungsgüter verwaltet, Lebensmittel im Wert von 2,8
Millionen Dollar gestapelt und 18.000 Mahlzeiten am Tag zubereitet, da werden TV-Studio, Supermarkt und sechs Bankautomaten betrieben,
und im 60-Betten-Lazarett täglich etwa 75 Patienten versorgt, meist ambulant wegen Grippe oder Hautausschlag."
Das Schiff ist zwar fern der Heimat, doch anscheinend auch fern eines konkreten Kriegsgebiets bzw. es erfüllt die beschriebene Funktion,
gleichzeitig Plattform zweier Kriege zu sein: "Eigentlich sollte der Träger für ein halbes Jahr an den Persischen Golf. Die
Umstellung vom Irak auf den Kosovo-Konflikt war, so Soldat Bryant, ‚kein Problem. Mit 30 Knoten jagte der Verband über den
Atlantik, Express in den Krieg. ‚Ist sogar besser hier. Milderes Klima. So Bryant."
In einer ARD-Reportage über US-Kriegsschiffe im Balkankrieg äußerten eine Reihe der befragten Soldaten, dass sie keine
nähere Kenntnis davon hätten, wo sich ihr Schiff befände. Ein Raketenoffizier des US-Schiffs Philippine Sea, dessen Name
mit Rich Dodson angegeben wird, betont: "Was am anderen Ende der Raketenbahn geschieht, erfährt keiner, nicht einmal der
Käptn der Philippine Sea: feuern und vergessen. Die Navy hält die Ergebnisse geheim." Der bereits zitierte deutsche
Soldat auf demselben Schiff, Maier: "Es ist eine Kriegsführung, die den Menschen total rausnimmt … Wer auf den Knopf
drückt, soll nie erfahren, ob er einen Menschen getötet hat."
Ähnliches wird über den "Airman Rondale Jordan" berichtet: Er leistet harte Arbeit und hat nicht das Gefühl,
dass es "richtiger Krieg" sei. Er "hat eben einen Metallkarren mit Bomben aus dem Munitionsdepot zum Deck gerollt. Er
wischt sich den Schweiß von der Stirn und gähnt. Nach 16 Arbeitsstunden sehnt er sich nur noch nach ‚Chow (Essen) und
‚Rack (Koje). Die Lage analysiert der 19-jährige Schwarze so: ‚Ich hoffe, dass es nicht zu einem richtigen Krieg kommt. Richtig
Krieg ist erst, wenn sie auf uns schießen."
Dazu kam es nicht. Es wurde in erster Linie in eine Richtung und von einer Richtung aus geschossen. Was spanische NATO-Bomberpiloten
nach dem Krieg offen erklärten, dass ihre Angriffsziele vielfach eindeutig ziviler Natur waren, wurde bereits nach wenigen Wochen
Krieg an anderer Stelle offen zugegeben. In der Welt am Sonntag fand sich eine nüchterne Beschreibung der Tatsache, dass zunehmend
Brücken, Krankenhäuser, Heizkraftwerke, Fernsehsender und Wohnsiedlungen angegriffen würden. Daran anschließend
hieß es: "Was könnte die NATO auch anderes tun? Bodentruppen will sie nicht einsetzen. Und die erkannten
militärischen Ziele sind weitgehend abgearbeitet."
Wie bei jeder anderen Arbeit wird gute Arbeit gut bezahlt und - u.a. mit Beförderung - honoriert. Im Balkankrieg 1999 wurden erstmals
seit 1945 wieder deutsche Soldaten wegen "vorzüglicher Leistungen im Einsatz vorzeitig befördert". Aus einem Bericht
der Süddeutschen Zeitung: "Diesen Augenblick wird Oberleutnant Stefan Meier so rasch nicht vergessen. Als er am Freitag von
einem Feindflug über Serbien auf den Stützpunkt bei Piacenza zurückkehrte und aus der Maschine stieg, da war wie
üblich ein kleines Empfangskomitee erschienen. Oberst Peter Schelzig, der Kommodore des Einsatzgeschwaders 1, und ein weiterer
Offizier, zudem der Fliegerarzt, der Psychologe und mehrere Kameraden. Oberleutnant Meier machte Meldung, dann ließ der Kommodore
stillstehen, zog ein Fax aus Bonn hervor und las: ‚Im Namen der Bundesrepublik Deutschland ernenne ich den Oberleutnant Stefan Meier zum
Hauptmann. Sodann befestigte der Kommodore eine neue Schulterklappe mit drei silbernen Sternen an der Uniform des Geehrten und
gratulierte. ‚Da war der baff, berichtet der Chef."
Noch während des Balkankriegs gab es bei CDU/CSU, FDP und SPD Überlegungen, einen speziellen Orden auszuloben.
Verteidigungsminister Scharping ließ nach dem Krieg den Worten Taten folgen: "Soldaten, die sich unter Lebensgefahr für
Menschenrechte und Frieden engagieren, haben eine besondere Anerkennung verdient." Er werde im Herbst 1999 "Soldaten, die
Einsätze über dem Kosovo geflogen haben, mit ihren Familien einladen" und bei dieser Gelegenheit den neuen Orden
verleihen.
Ulrich Sander, der Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten kommentierte die neue
Traditionslinie der Bundeswehr mit neuen Orden für Engagement in Kriegen mit den Worten: "Morden erfordert Orden" und
verwies auf eine schreckliche Kontinuität: Das Bundesinnenministerium habe "schon zum fünftenmal den Kommentar zum
Ordengesetz herausgegeben. Danach gibt es noch immer einen speziellen Orden aus dem letzten Krieg gegen Jugoslawien. Der wurde seit 1955
immer wieder als tragbar genehmigt - allerdings fehlen Hakenkreuz und SS-Totenkopf. Die bildliche Darstellung einer Schlangengrube mit
Schlangen blieb erhalten, in die ein Schwert von obenherein stößt. Dieses ‚Bandenkampfabzeichen zeigt die
Entmenschlichung des ‚militärischen Gegners durch die Darstellung als Schlangen."
Der Balkankrieg 1999 fand in einer Zeit des verallgemeinerten Sozialabbaus statt - und wirkte selbst als Katalysator in diesem Prozess, wie die
Rentenkürzungspläne des Bundearbeitsminsters Riester und das "größte Sparprogramm aller Zeiten" des
Bundesfinanzminister Eichel, beide verkündet im direkten Anschluss an den Krieg, verdeutlichten. Eines der wesentlichen Argumente
für diese Kürzungen von Sozialleistungen lautet, die "Versorgungsmentalität" bei der privatwirtschaftlichen
Lohnarbeit müsse abgebaut werden. Diametral entgegengesetzt lautet die Philosophie bei der kriegswirtschaftlichen Lohnarbeit. Hier
wurde in den 90er Jahren der Sozialstaat ausgebaut; hier wird der "Versorgungsmentalität" Vorschub geleistet.
Noch im Golfkrieg 1991 hatten deutsche Piloten ihren Einsatz in Alpha-Jets von türkischen Stützpunkten aus mit dem Hinweis auf
unzureichende Absicherung ihrer Familien verweigert. Im Balkankrieg 1999 wurde nun eine Rundumabsicherung angeboten, die kaum
Wünsche offen ließ.
Staat und Armee bieten dem im Einsatzgebiet befindlichen Bundeswehrangehörigen eine Art "Vollkasko für die
Soldaten", so die interessante Feststellung in der Welt am Sonntag. Nüchtern heißt es im Stern zum selben Thema:
"Erleichtert wurde die Entscheidung für den Kriegseinsatz auch durch die inzwischen großzügige Versorgung der
Hinterbliebenen".
"Großzügig" das Prinzip und die Philosophie - das Nähere regelt, wir leben in Deutschland, ein Gesetz, das
"Soldatenversorgungsgesetz". Dieses wurde rechtzeitig zur Verkündung der neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien, die
die Ausweitung der Bundeswehreinsätze "out of area" vorwegnahmen, beschlossen. Dieses Gesetz stellt, so Rechtsanwalt
Michael Wundel vom Bundeswehrverband, einen "umfassenden Schutzschild für den Soldaten dar. Der Soldat wird im
Einsatzgebiet so behandelt, als wäre er 24 Stunden im Dienst."
Die versicherungstechnische Fürsorge reicht vom Schlangenbiss bis zum Erdbeben im Krisengebiet - und erfasst natürlich auch
Verletzungen durch Ausübung des Kriegshandwerks, Gefangennahme oder Verschleppung. Karl-Heinz Möller hat in der Welt am
Sonntag Details dieses "Schutzes vor allen erdenklichen Risiken", den dieses Gesetz bietet, zusammengefasst: "Die
Versorgungskasse zahlt bei bewusstem Lebenseinsatz einen Betrag von 150.000 Mark. Voraussetzung: Die Erwerbsunfähigkeit
beträgt mindestens 80%.
Bestimmte Leistungen des Soldatenversorgungsgesetzes sind abhängig vom Status der Betroffenen. So erhalten Berufsoldaten ein
Unfallruhegehalt, Soldaten auf Zeit eine Übergangsbeihilfe, Grundwehrdienstleistende bei Berufsunfähigkeit - neben den Zahlungen
aus der gesetzlichen Rentenversicherung - gegebenenfalls ein Entlassungsgeld je nach Dauer der zurückliegenden Dienstzeit. Im Todesfall
erhalten Witwen und Waisen von Berufsoldaten Witwen- und Waisengeld in Höhe von 60 bzw. 30% des
Unfallruhegehalts."
Es gibt da noch den Sonderfall Lebensversicherung, einen interessanten Bereich der Überschneidung von privater Profitwirtschaft und
staatlicher Kriegsökonomie. Während der neoliberale Zeitgeist den Rückzug des Staates aus möglichst allen Gebieten
und schon gar von Gebieten der privaten Kapitalanlage propagiert, findet in der politischen Ökonomie des Krieges das Gegenteil statt:
Die private Versicherungswirtschaft fordert "mehr Staat" und zieht sich selbst aus der Kriegsökonomie dort zurück, wo
die Risiken allzu groß werden könnten.
Nach Angaben der Münchner Allianz schließt die sogenannte Kriegsklausel der Allgemeinen Bedingungen für
Lebensversicherungen eine Leistung dann aus, wenn der Tod als Kriegsfolge eintritt. Das ist insofern logisch, weil anderenfalls nach jedem
größeren Krieg alle Lebensversicherer Pleite gegangen wären, was ersichtlich nicht der Fall war. Wenn schon der Verlust
von Millionen Menschenleben in "modernen" Kriegen wie dem Zweiten Weltkrieg zu beklagen ist, dann, so die
Geschäftsphilosophie der privaten Wirtschaft, sollte doch das Überleben der Unternehmen gewährleistet werden.
Nun wird der Balkankrieg von der offiziellen Politik nicht als "Krieg" definiert - sonst hätte es eines entsprechenden
Parlamentsbeschlusses und einer Kriegserklärung bedurft. Das Grundgesetz ist hier eindeutig; die Streitkräfte "dürfen
außer zur Verteidigung nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt" (Artikel 87a). Eine
ausdrückliche andere Zulassung, die auch nur annähernd auf den Krieg gegen Jugoslawien zutreffen würde, wird in keinem
der übrigen Verfassungsartikel beschrieben. Diejenigen Artikel jedoch, die den "Verteidigungsfall" regeln (Artikel 115a f.)
legen fest, dass dieser Verteidigungsfall "auf Antrag der Bundesregierung" vom Bundestag mit "einer Mehrheit von zwei
Dritteln der abgegeben Stimmen" festgestellt werden muss (Artikel 15a).
Die Feststellung der Existenz des Sonderfalls Krieg ist im modernen Krieg offensichtlich nicht angestrebt. Der Alltag soll wie gewohnt weiter
gehen; eine Sonderabteilung des allgemeinen Arbeitsheeres macht fern der Heimat seinen Job. Die innere Arbeitsfront steht bzw. ist durch
mediale Betreuung und das klammheimliche Gefühl, in einem unwirklichen Krieg auf der Seite der Sieger und der Profiteure zu stehen,
ruhig gestellt. Noch ist es nicht so weit, dass der Krieg offen erklärt und Kriegsbegeisterung als Mittel der Mobilmachung eingesetzt
wird. Entsprechend weigerte sich die Bundesregierung, den Krieg gegen Jugoslawien amtlicherseits auch als solchen zu bezeichnen.
Doch die Versicherungswirtschaft sieht das aus naheliegenden Gründen anders. Wolfgang Heilmann von der Allianz-Versicherung:
"Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft hat in seinen entsprechenden Gremien den Kosovo-Konflikt als
kriegerisches Ereignis eingestuft. Demnach muss die Fürsorgepflicht des Staates einsetzen."
Tut sie auch. In dem bereits angeführten Artikel in der Welt am Sonntag über "Vollkasko für Soldaten" heißt
es: "Damit versicherten Bundeswehrangehörigen kein Schaden [bei Bestehen einer privaten Lebensversicherung] entsteht, tritt der
Staat subsidiär an die Stelle der Versicherungsunternehmen. Beruft sich demnach eine Versicherung auf die Kriegsklausel und verweigert
die Leistung, werden Sach- und Vermögenschäden in angemessenem Umfang vom Bund ausgeglichen." Womit die politische
Ökonomie des modernen Kriegs drei besondere Charakteristika hat:
Erstens wird, was für Staat und Regierung verfassungsrechtlich kein Krieg ist, von der Privatwirtschaft durchaus als "Krieg"
definiert - mit handfesten materiellen Folgen. Eine Bestätigung für die marxistische These vom Primat der Ökonomie,
dafür, dass die ökonomische Basis den politischen Überbau bestimmt.
Zweitens sind diejenigen, die das Kriegshandwerk ausüben, versicherungstechnisch und sozialpolitisch besser gestellt als diejenigen, die
zivile Arbeit in der privaten Wirtschaft verrichten.
Drittens werden die Kriegskosten der Versicherungswirtschaft abgenommen und "vergesellschaftet", d.h., vom Staat
übernommen. Letzteres funktioniert allerdings nur so lange, wie die Zahl der Kriegsopfer begrenzt bleibt. Steigt die Zahl der
"eigenen" Opfer, dann gehen weder Versicherungswirtschaft noch Staat Pleite. Dann wird eben erneut die Rechtssprechung
geändert und die Betroffenen gehen leer aus. Das allerdings wäre dann ein anderer Krieg, einer, der der Mobilmachung, des
organisierten Nationalismus, der kriegerischen Mobilisierung auch der heimatlichen Arbeitsfront bedarf.
Winfried Wolf