Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-
Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.20 vom 30.09.1999, Seite 12

Was ist die UCK?

Es hat den Anschein, als sei der kosovarische "Regierungschef" Hashim Thaci der einzige Exponent der UCK, der die Vorstellung der NATO, die UCK in ein "Zivilkorps" zu verwandeln, unterstützt hat - nicht ohne den Hinweis, dass es nunmehr Aufgabe der UN und der NATO sei, für die Sicherheit der Kosovaren zu sorgen. Die anderen UCK- Führer, vor allem die Brigadekommandeure, die in den letzten 14 Monaten den bewaffneten Kampf geführt haben, streben nach wie vor den Kern einer kosovarischen Armee an - unabhängig von ihrer sonstigen politischen Orientierung. Der nachstehende Artikel analysiert die verschiedenen Strömungen innerhalb der UCK.
Über den politischen Charakter der Kosovo-Befreiungsarmee und die Positionierung ihr gegenüber sind in den letzten Monaten auch in der Linken erhebliche Unsicherheiten aufgetreten. Ist die UCK ein Produkt des deutschen oder US-amerikanischen Imperialismus mit einer reaktionären Tradition bis zurück zur kosovarischen SS-Division Skanderbeg? Oder handelt es sich bei ihr im Gegenteil um eine linke nationale Befreiungsbewegung, die einen progressiven Kampf gegen die nationalistische Unterdrückung der albanischen Bevölkerung durch das serbische Regime führt? Wir halten beide Sichtweisen für einseitig und wollen uns hier um ein differenziertes Bild bemühen.
Die Wurzeln der UCK liegen eindeutig im ML-Spektrum, das in den 60er und 70er Jahren im Gefolge der internationalen Studentenbewegung im Kosovo entstand. Die Marxistisch-Leninistische Organisation Kosovas des späteren UCK-Führers Adem Demaci, die Kommunistische Marxistisch-Leninistische Partei der Albaner in Jugoslawien, die Rote Volksfront und andere wehrten sich gegen die Diskriminierung der albanischen Bevölkerung, orientierten sich am Albanien von Enver Hoxha (von wo sie auch Unterstützung erhielten) und schlossen sich schließlich im Februar 1982 zur Volksbewegung für eine Republik Kosova (LPRK) zusammen. In den 80er Jahren sollen an die 80 linke Exilanten aus dem Kosovo in Deutschland und der Schweiz vom jugoslawischen Geheimdienst ermordet worden sein - angeblich mit Unterstützung des deutschen Staates, dem die ausländischen Linksextremisten auch ein Dorn im Auge waren.
Die LPRK wurde schließlich 1991 in die Volksbewegung Kosovas (LPK) umgewandelt, die 1994 bis 1996 bei der Entstehung der UCK die entscheidende Rolle spielte und noch 1998 fünf der sechs offiziellen UCK-Vertreter (unter ihnen auch den heutigen UCK- Führer Hashim Thaci) und sämtliche ihrer Auslandssprecher stellte. Während der großen Offensive der UCK im Frühjahr 1998 schlossen sich auch die Guerillagruppen der Albanischen Revolutionären Partei (PRSh) und der Nationalen Bewegung für die Befreiung Kosovas (LKCK), die ebenfalls aus dem ML-Spektrum kommen und sich 1986 bzw. 1993 von LPRK/LPK abgespalten hatten, der UCK an - ohne allerdings ihre Parteistrukturen aufzugeben.

Wurzeln des Nationalismus
Angesichts dieser Ursprünge der UCK ist es nicht verwunderlich, dass die imperialistischen Regierungen gegenüber der UCK erhebliche Skepsis hatten und haben. So stellte etwa der Verfassungsschutzbericht Bayern 1997 besorgt fest, dass es sich bei der LPK um eine "extremistische Ausländerorganisation" handle, die als "marxistisch-sozialrevolutionär" einzuschätzen sei und deren Gelder der "terroristischen Untergrundorganisation UCK" zufließen. Und der US- Sondergesandte für den Balkan, Robert Gelbard, sagte noch im Februar 1998, dass es sich bei der UCK "zweifellos um eine terroristische Gruppe" handle.
Allerdings war auch im Kosovo der Stalinismus durchaus mit äußerst nationalistischen und völkischen Positionen kompatibel. So wie die Stalinisierung der Sowjetunion mit einem Wiederaufleben des grossrussischen Chauvinismus einherging, die KPÖ die Parolen "Rot-Weiß-Rot bis in den Tod!" und "Immer für Österreich!" auf ihre Fahnen schrieb und die heutige "Kommunistische Partei der Russischen Föderation" mit üblen antisemitischen Rülpsern auf sich aufmerksam macht, waren der albanische "Sozialismus" Enver Hoxhas und die Ideologie seiner kosovarischen Anhänger von Anfang an stark nationalistisch gefärbt.
Getreu der Volksfront-Konzeption verzichteten LPK, LKCK und PRSh weitgehend auf eine klassenkämpferische Politik und orientierten stattdessen auf die Befreiung der gesamten albanischen Erde und ein ethnisches Albanien (der Begriff Großalbanien wird - aufgrund der Diskreditierung des Begriffs in der Zeit der faschistischen Besatzung - als ideologisch belastet abgelehnt).

Imperialistischer Einfluss
Nach dem Ableben des großen Führers Enver Hoxha 1985 und dem Niedergang seines "Sozialismus" 1990 bis 1992 gewannen die nationalistischen Elemente im Spektrum des kosovarischen Stalinismus - in Ermangelung einer linken Perspektive - weiter an Boden. Verstärkt wurde diese Entwicklung noch durch zwei weitere Faktoren:
Erstens kamen durch den Aufstieg der UCK ab 1996 zunehmend Kräfte hinzu, die mit den linken Ursprüngen von LPK & Co. nichts am Hut hatten, darunter auch mafiose Vereinigungen und traditionelle Clanstrukturen, wie bspw. der einflussreiche Jashari-Clan aus der Region Drenica, der schon im Zweiten Weltkrieg mit den faschistischen Besatzern kollaboriert hatte (der größere Teil der Kosovo- Albaner freilich hatte damals - entgegen den Mythen, die ausgerechnet von Tschetnik-Anhängern verbreitet werden - die Partisanen von Tito und Hoxha unterstützt und dabei etwa 20.000 Kämpfer gestellt). Dazu kamen Exilgruppen in den USA, die - anders als die in Deutschland und der Schweiz - rechtsgerichtet waren und die nun erste Kontakte zu US-Geheimdiensten und -Medien herstellten. Diese reaktionären Kräfte gingen mit den stalinistischen UCK-Gründern ein Bündnis auf nationalistischer Grundlage ein. Die Basis der UCK, die 1998 von 300 auf 30.000 Kämpfer anwuchs, konnte nun immer schwerer von LPK & Co. dominiert werden.
Zweitens versuchten imperialistische Geheimdienste seit Anfang oder Mitte der 90er Jahre vorsichtig auszuloten, ob und wieweit es möglich war, die UCK, wie andere ursprünglich linksgerichtete nationale Befreiungsbewegungen seit 1989/90 auch (bspw. die von Laurent Kabila in Kongo-Zaire), auf eine stabile prokapitalistische und proimperialistische Orientierung auszurichten.
Allerdings fuhren die Imperialisten dabei zweigleisig, denn gleichzeitig wurde auch versucht, unter der Führung der Demokratischen Liga des Kosovo (LDK) von Ibrahim Rugova und Bujar Bukoshi und finanziert durch Saudi-Arabien und die Türkei in Konkurrenz zur UCK eine ganz vom Imperialismus kontrollierte Truppe, die Bewaffneten Kräfte der Republik Kosova (FARK), aufzubauen. Als aber die UCK in Tirana den designierten Führer der FARK, Ahmet Krasnici, erschoss und im Spätsommer ein Großteil der FARK- Offiziere zur UCK überlief, war diese Option gestorben.
Der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND), der seit Anfang der 90er Jahre systematisch die Zerstückelung Jugoslawiens betrieb, sowie die britischen und US-Geheimdienste mussten nun ganz auf die Umkrempelung der UCK setzen. Dies läuft gemeinhin über die Zusage von (begrenzter) finanzieller und militärischer Unterstützung, deren Realisierung von bestimmten Bedingungen abhängig gemacht wird, wodurch die willigeren Kräfte gegenüber den widerspenstigeren gefördert werden.
Gestärkt wurde der imperialistische Einfluss auch über das weitgehend vom Westen abhängige Albanien, wobei die UCK Mitte der 90er Jahre eher in Kontakt mit der Demokratischen Partei von Sali Berisha gestanden haben dürfte. Seit dem albanischen Volksaufstand 1997 und dem Sturz Berishas sieht die Sache jedoch anders aus. Die Sozialistische Partei von Fatos Nano und Pandeli Majko unterstützt offen die UCK, während Berisha mit der LDK von Rugova und Bukoshi kooperiert. Bis Rambouillet waren für die militärische Aufrüstung der UCK sicherlich die Waffenbestände aus der albanischen Armee, die man sich nach dem albanischen Volksaufstand aneignen konnte, bedeutender als die Zugänge über imperialistische Geheimdienste.

Die Wende
Die "Verhandlungen" von Rambouillet und der Beginn der NATO-Aggression gegen Jugoslawien bedeuteten schließlich eine entscheidende Wende in der Entwicklung der UCK. Es setzten sich die Kräfte durch, die zu einer bedingungslosen Zusammenarbeit mit dem Imperialismus bereit waren. Hashim Thaci, unterstützt von einem Teil der LPK und den offen reaktionären Strömungen, entwickelte sich zur zentralen Figur dieses Flügels. Sechs führende UCK-Mitglieder sind bei diesem internen Putsch Ende März 1999 "hingerichtet" worden (angeblich auf Anordnung von Thaci).
Adem Demaci, bis dahin der offizielle Sprecher der UCK, wurde zum Rücktritt gezwungen und ist seitdem von der Bildfläche verschwunden. Er hatte zuvor die Kapitulation vor der NATO und deren militärisches Eingreifen abgelehnt, war dafür eingetreten, dass "beide Völker", Albaner und Serben, "gemeinsam gegen den Imperialismus vorgehen", und hatte in einem Aufruf an die antinationalistischen Serben an seinem Ziel einer neuen, gleichberechtigten Föderation von Serbien, Montenegro und Kosovo festgehalten.
Demaci war außerdem für das Selbstbestimmungsrecht der Krajina eingetreten, während rechte Kräfte in der UCK mit dem kroatischen Regime kooperierten. In dieser Phase wurde die UCK - wohl unter tatkräftiger Mithilfe von US-Militärs und - Geheimdienstlern - zu einer Organisation getrimmt, die eindeutig von proimperialistischen Kräften dominiert ist. Neuer Generalstabschef der UCK wurde - anstelle des Demaci-Anhängers Suleiman Selini - Agim Ceku, der von der Pentagon-nahen Söldnerfirma MPRI ausgebildet worden ist und als Brigadegeneral der kroatischen Armee im Bosnienkrieg führend an Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung beteiligt gewesen sein soll.
Die Zeitung der LPK ("Stimme des Kosovo") schließlich, die bis Rambouillet den Untertitel "Lang lebe der Marxismus- Leninismus!" führte und Bücher von Enver Hoxha zum Verkauf anpries, erschien Ende April 1999 plötzlich reichlich verändert: Statt der stalinistischen Relikte fand sich nun die Headline: "NATO, Thank You!" Und von den bisherigen Herausgebern war kein einziger mehr im Impressum angegeben.
Die gewendete UCK konnte nun auch mit relevanterer, freilich weiterhin inoffizieller militärischer Unterstützung durch die NATO rechnen, in Form von modernen Waffen, gegenseitigen Absprachen und logistischer Kooperation.
Diese Unterstützung wurde und wird allerdings gezielt in einem Ausmaß gehalten, dass die UCK, auf sich allein gestellt, gegen die serbische Armee nicht bestehen könnte. Darin zeigt sich nicht nur, dass die NATO in die UCK weiterhin weniger Vertrauen hat als etwa in das kroatische Regime, sondern auch, dass für den Kosovo im Rahmen der imperialistischen Befriedung des Balkans ein Status vorgesehen ist, der mit dem UCK-Ziel einer von ihr bestimmten Unabhängigkeit in Widerspruch steht.
Die NATO will die UCK zu einer polizeilichen Hilfstruppe in ihrem Protektorat machen. Bei der angestrebten Demilitarisierung und Restrukturierung der UCK geht es darum, ihr die schweren Waffen abzunehmen und die gewachsenen Kommandostrukturen, die nicht unter Kontrolle der NATO stehen, durch neue zu ersetzen. Bisher hat sich die UCK weitgehend in dieses Diktat gefügt. Die proimperialistischen Kräfte, die heute die UCK beherrschen, sind sicherlich zu einem Arrangement bereit.
Wenn sich die Situation der kosovarischen Bevölkerung allerdings nicht so bessert, wie der Westen das verspricht, und sich die NATO- Truppen immer mehr als Besatzer erweisen, die an einer Selbstbestimmung der dortigen Bevölkerung nicht interessiert sind, könnten Strömungen wie die um Jakup Krasnici, der vor Rambouillet gegen die NATO-Intervention war und sich auch jetzt gegen die weitgehende Unterwerfung unter die NATO ausspricht, Aufwind bekommen.
Allerdings haben auch diese Strömungen keine politische Perspektive, die eine Alternative zur kapitalistischen Durchdringung des Balkans darstellten. Deshalb würde eine Differenzierung der UCK vermutlich zu nicht mehr führen als zur Herausbildung von unterschiedlichen Varianten des albanischen Nationalismus.
Zur Zeit dominieren in der kosovarischen Bevölkerung jedoch die proimperialistischen Stimmungen, wofür der serbische Nationalismus eine wesentliche Mitverantwortung trägt.
Julia Masetovic (Arbeitsgruppe Marxismus, Wien)

Nachtrag: Einem Artikel der Los Angeles Times (18.9.) zufolge sind zum Zeitpunkt der Entmilitarisierung der UCK von ihren 30.000 Kämpfern 10.700 übriggeblieben. Die Internationale Flüchtlingsorganisation hat ihre Registrierung für eine Befragung genutzt. Demnach streben die meisten unter ihnen die Rückkehr in das Zivilleben an; 30% wollen Soldat oder Polizist bleiben. Die Hälfte der Befragten hat angegeben, erst in diesem Jahr zur UCK gestoßen zu sein; weniger als 10% gehörte ihr vor 1998 an. Über zwei Drittel waren erwerbslos, als sie in die UCK gingen, etwa 24% "selbständig", der Rest Studenten und Lehrer. 78% der Kämpfer der UCK waren unter 29 Jahre alt, die Hälfte von ihnen nicht verheiratet, aber mit traditionell starken Familienbanden. Jeder der Befragten gab an, im Durchschnitt für acht weitere Familienmitglieder sorgen zu müssen. (d.Red.)


zum Anfang