Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.21 vom 14.10.1999, Seite 2

Nach der Berlin-Wahl

Deutschland, einig Vaterland

von ANGELA KLEIN

Zehn Jahre nach dem Fall der Mauer wird Deutschland von zwei Oppositionsparteien beherrscht: CDU und PDS. "Rot-Grün" ist out; die schwarzen und die roten Socken teilen sich die Republik, ihre jeweiligen Milieus fest um sich geschart. Das zehn Jahre lange Gekeife der CDU, die unverbesserlichen Ostalgiker werde man alsbald von der politischen Szene gefegt haben, ist der Einsicht gewichen, dass es auch der PDS vor allem darauf ankommt, an der Macht teilzuhaben. Sie wird jetzt als "Volkspartei" behandelt. Stellvertretend für solche Lernprozesse steht die Berliner Zeitung am Tag nach der Berlin-Wahl: "Die PDS ist auf der Suche nach ihrer neuen Mitte … [Sie] distanziert sich damit von Revolutionsromantik und Klassenkampfrhetorik. Auf dem Weg dorthin wird sie mit Sicherheit noch zahlreiche Mitglieder verlieren."
Aus den neu erklommenen Wahlhöhen sekundierte Gysi am Berliner Wahlabend: "Es gibt nur zwei Parteien, die eine Alternative haben, CDU und PDS. Beide zusammen haben eine Verantwortung für die Einheit Deutschlands." Was wiegen da schon Differenzen in Steuer- oder sozialen Fragen? "Die Einheit ist das wichtigste, unsere dringendste Zukunftsaufgabe."
Die weitaus höchste Kompetenz sprechen PDS-WählerInnen der Partei dafür zu, "die Interessen der Ostdeutschen zu vertreten"; soziale Gerechtigkeit rangiert erst auf dem dritten Platz. Aber was sind denn die Interessen "der Ostdeutschen" nach zehn Jahren Kapitalismus? Von welchen Ostdeutschen ist die Rede? Und welche Einheit soll es sein?
Es ist kein Geheimnis, dass es zwischen CDU und PDS gemeinsame Schnittmengen gibt: in Wertvorstellungen wie Zucht und Ordnung, in "nationalem Denken" und der Sorge vor "Überfremdung", aber auch in einem Wählersegment, das zwischen beiden Parteien pendelt. Umgekehrt hat auch die CDU - gerade die Ost-CDU - eine soziale Tradition, und der Vorstoß von Bernhard Vogel, Ministerpräsident von Thüringen, die Lebensverhältnisse in Ost und West müssten endlich einander angeglichen werden, mag die Notwendigkeit einer "besonderen ostdeutschen Interessenvertretung" in den nächsten zehn Jahren vielleicht obsolet werden lassen.
Geht es nicht aber in Wahrheit um die Beendigung der Diskriminierung der alten DDR-Eliten und ihre Vereinigung mit den ehemals feindlichen Brüdern im Westen, im Bewusstsein "neuer Herausforderungen" und "neuer Verantwortung"? Die Debatte in der PDS-Bundestagsfraktion über UNO-Truppen und Blauhelmeinsätze, auch "friedensstiftende", könnte eine Brücke dazu sein.
Dann wird das Deutschland-Lied nicht mehr vor dem Schöneberger Rathaus von Kohl und Genscher, sondern unterm Brandenburger Tor von Schäuble und Gysi angestimmt, nur Walter Momper steht - mal wieder - daneben.

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