Sozialistische Zeitung |
Zehn Jahre nach der Wiederkunft des einen und wieder gerne weltmächtigen Deutschlands und den
entsprechenden Feierlichkeiten hat sich mitten im Herzen der Bestie, in Berlin, auch die einzige und wahre Kraft der Negation versammelt:
Anfang Oktober traf sich dort die Gemeinschaft der Antideutschen zum Kongress "Zehn Jahre später - eine antideutsche
Bilanz". Eingeladen hatten die Redaktion Bahamas (Berlin), die Initiative Sozialistisches Forum (ISF) aus Freiburg und das Antinationale
Plenum Detmold. ReferentInnen waren die bekannten, meist männlichen Größen der sich selbst Antideutsche nennenden
Links-Strömung: Matthias Küntzel, Joachim Brun, Jürgen Elsässer, Heiner Möller, Uli Krug, Justus
Wertmüller und andere.
Im Grunde sind es auch diese Chefideologen, die darüber
entscheiden, wer sich zu den Antideutschen zählen darf. Ihre jeweiligen Entlarvungsschriften gegen immer neue Deserteure, die angeblich
zu den Deutschland-Freunden überwechseln, drücken die einzige Bewegung im antideutschen Lager aus - der Rest verharrt immer
weiter mit der fabelhaften Erkenntnis der antideutschen Plattform vom Mai 1995: "Wer sagt, radikal linke Politik könne derzeit
etwas erreichen, hat sich die Gesellschaft bereits zurechtgelogen."
Weitgehend zweckfreie intellektuelle Freiübungen, bei der nur
besonders schöne Salti und kuriose Verbiegungen beim Rest der Welt noch Eindruck hinterlassen - das wäre durchaus eine kurze
und treffende Bilanz von zehn Jahren antideutscher Artikelflut. Auch der Kongress vom 1. und 2.Oktober in Berlin war vorrangig um den Streit
mit neuen Abtrünnigen um die Zeitung Jungle World geprägt.
Die vom Kreis der Antideutschen Aus- oder Abgestoßenen haben
höchstens noch die Chance, sich "der Linken" anzuschließen oder werden zwangsweise "der Linken"
beigeordnet. Und "die Linke" ist der eigentliche Hauptfeind der Antideutschen. Auf dem Papier steht zwar Deutschland als
erklärtes Kampfziel, aber da in ihrer Sicht die Herrschenden zu stark und unangreifbar sind, um in ihrer deutschnationalen Politik
gestört zu werden, und die Beherrschten zu faul, satt und gleichgeschaltet sind, um ernsthaft angesprochen und aufgeklärt oder gar
mobilisiert zu werden, so bleibt nur noch die sowieso arg gebeutelte "Linke", um das Mütchen zu kühlen.
Je nach Intensität solcher Sesselfurzerei bleibt dann eine
schöne ewiggültige, wenn auch immer wieder neu herauszupupende Verschwörungstheorie zurück: "Die
Linke" ist Erfüllungsgehilfe der deutschnationalen Politik, ist Teil des "demokratischen Verhängnisses" und das
"demokratische Verhängnis" ist verhängnisvoll, weil es das wahre Ziel der deutschen Nation, die Fortsetzung des
"Vor-1945-Sonderwegs" verschleiert.
Die Antideutschen sehen zehn Jahre nach ihrer Entstehung keinen Grund
für Selbstkritik. Die deutsche Gefahr ist weiterhin der Hauptfeind in Europa. Der Krieg gegen die Republik Jugoslawien war eine
ähnliche Zäsur wie der Fall der Berliner Mauer, er war ein durchgängig deutscher Krieg, von Deutschland verursacht und
geführt und gegen kriegsdämpfende Versuche aus anderen imperialistischen Ländern durchgesetzt. Richtschnur ist eine seit
hundert Jahren ohne Unterbrechung verfolgte politische Linie der völkischen Selbstbestimmung als Grundmuster der deutschen
Vorherrschaftsstrategie.
Eine kleine Einschränkung wird zwar gegeben, aber dass die
wirkliche Geschichte der "Theorie" partout nicht gehorchen will, scheint die Antideutschen nicht zu stören: "Nur
verläuft nicht alles so spektakulär, wie die pathetische Formel vom ‚Meister aus Deutschland es nahelegt. Kein neuer
Faschismus bricht sich Bahn, noch nicht einmal ein krasser Bruch mit den Bonner Zuständen von vor 1989 ist zu verzeichnen, sondern die
scheinbar unauffällige Transformation der formierten und doch nicht weniger pluralen Gesellschaft. Die scheinbare Harmlosigkeit und
‚Normalität der großdeutschen Verhältnisse nehmen Linke zunehmend in gewohnter Skrupellosigkeit zum Anlass, die
Rolle der konstruktiven Opposition zu besetzen."
Dass heute die offizielle Regierungspolitik "antinationalistisch"
daherredet, dass die deutsche Regierung am stärksten supranationale Gremien fordert, ist alles ungebrochen nur Ideologie, hinter der in
Wahrheit die völkische Blutsgemeinschaft und das großdeutsche Reich stehen. Und die Linke, wie z.B. die antinationalistische
Dritte-Welt-Solidaritätsbewegung ist in Wahrheit der Thinktank der herrschenden Klasse.
Dabei gilt, "selbstverständlich sind Staatsbürgernationen
wie Jugoslawien und Frankreich, Russland und die USA gegen den Ansturm der Blutsvölker zu verteidigen" (Jürgen
Elsässer). Während die gesamte Welt "unter dem Wert vergesellschaftet" sei und insofern alle globalisiert und gleich
sind, gibt es dennoch Unterschiede zwischen "Serben und Albanern, Deutschen und Franzosen" (Justus Wertmüller). Dies
deshalb, weil "der Weltgeist spätestens 1919 gestorben (ist), als die Weltrevolution als tatsächliche Möglichkeit,
ausgehend von den Metropolen, in denen sich das gesellschaftliche, ökonomische und theoretische Potenzial zur Zerstörung der
kapitalistischen Vergesellschaftung zusammenballte, kläglich in sich zusammenbrach. Seither kommt es darauf an, zu retten, was an
menschlichen und intellektuellen Potenzialen für den zweiten Versuch in Betracht kommt" (J.Wertmüller). Und diese
Potenziale sind in Blutsvölkern, allen voran Deutschland, nicht mehr vorhanden. "Nicht, weil die Weltmarktverlierer
Dummköpfe wären, sondern weil Reste von politischer Gesellschaft, die den totalen völkischen Zugriff auf den Einzelnen
noch hindern, und Reste von Muße, ohne die Kritik nicht geübt werden kann, in den westlichen Demokratien noch vorhanden
sind" (ebd.). Wir haben an diesem Quark wirklich nur die Anpassung an die Rechtschreibreform vollzogen, alles andere ist Originalton.
Deutschland ist Modell für alle Weltmarktverlierer, deshalb
Bündnispartner "der Albaner" und gegen die noch etwas fortschrittlicheren "Serben" und "Franzosen".
Die Sehnsucht nach monokausalen Erklärungen, einfachen Theoriegebäuden und die praktische Zuflucht zum angeblich speziellen
Deutschtum der bürgerlichen Geschichte stürzt ihre AnhängerInnen wirklich ins Elend.
Die Antideutschen sind bei einer solchen Betrachtung eine kleine
esoterische Versammlung. Gleichzeitig prägen sie aber die politische Ausrichtung der zwei auflagenstärksten Zeitungen und
Zeitschriften der Linken in diesem Land, nämlich Konkret und Jungle World. Wie erklärt sich diese Aufmerksamkeit? Frisst hier
der Teufel in der angeblich so theorielosen Not die berühmten Fliegen? Pilgern hier die Sensationslüsternen auf der Suche nach den
oben erwähnten tollkühnen Salti und Verbiegungen - so wie die hunderttausenden Autofreaks zu Formel-1-Rennen wandern, nicht
nur um einen deutschen Autofahrer in einem italienischen Auto auf japanischen Reifen (Achtung, Elsässer! mach doch mal ne
Analyse dieser Aktualität der alten Achsenmächte…) siegen zu sehen, sondern vor allem um schöne Crashs und fliegende
Knochen zu erleben? Wir werden diese Fragen anlässlich des zwanzigsten Jubiläums der Antideutschen ausführlich
beantworten.
Thies Gleiss
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