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Kaum bemerkt von der Öffentlichkeit entstehen an der Ostsee neue Militärstrukturen. Die NATO-
Länder Dänemark und Deutschland überziehen den Ostseeraum mit einem Geflecht militärischer Kooperationsprojekte.
Gemeinsam mit dem neuen NATO-Mitglied Polen haben sie jetzt das Multinationales Korps Nordost gegründet.
An der Zeremonie am 18. September 1999, die in Stettin zu Einweihung des
neuen Korps abgehalten wurde, nahmen neben Verteidigungsminister Rudolf Scharping der dänische Verteidigungsminister
Hækkerup und der polnische Präsident Kwasniewski teil. Das 50.000 Mann starke Ostseekorps wird in Stettin stationiert und
untersteht nicht der NATO-Kommandostruktur. Deutschland ist mit der 14.Panzerdivision Neubrandenburg beteiligt, Dänemark schickt
eine Heeresdivision und Polen die 12.Mechanisierte Division.
Das Ostseekorps wird zuerst von einem dänischen, dann von einem
polnischen und schließlich von einem deutschen General kommandiert. Damit sind das erste Mal seit Ende des Zweiten Weltkriegs
wieder deutsche Truppen in Polen stationiert. Deutschland hat außerdem ein Korps, das nicht der NATO-Kommandostruktur untersteht.
Trotzdem hat das Korps auch für die NATO Bedeutung. Laut Presseberichten sagte der polnische Präsident bei der Einweihung,
dass das Korps die Nordostflanke der NATO stärke.
Deutsche Dominanz
Deutschland sucht seit Anfang der 90er Jahre die Kooperation mit osteuropäischen Staaten im militärischen Bereich. Konkret
wurden Übungen im Rahmen des NATO-Programms Partnership for Peace (PfP) durchgeführt. Neben diesen multinationalen
Aktivitäten suchte die Bundesrepublik aber auch binationale Kontakte: Über zwölf offizielle "Vereinbarungen
über Zusammenarbeit im militärischen Bereich" schloss der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe seit 1993 ab.
Den drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen, die schon seit
längerem als potentielle NATO-Beitrittsländer gelten, hat Deutschland Transportflugzeuge, Hubschrauber, Kraftfahrzeuge, Boote,
Minensuchgerät, Fernmeldeausstattung, Sanitätsmaterial sowie Musikinstrumente geliefert, wobei das Material vor allem aus
NVA-Beständen stammt. Seit 1992/93 erhalten alle drei Länder militärische Ausbildungshilfe aus Deutschland. Im Rahmen
der "Partnerschaft für den Frieden" nahmen Estland und Lettland an 18 beziehungsweise 14 Übungen teil, wobei 11
bzw. 9 unter deutscher Beteiligung stattfanden. Litauen nahm an 17 Übungen teil, darunter 10 mit deutscher Beteiligung. Inzwischen hat
Deutschland auch die Koordination des Marineverbands Baltic Squadron (BALTRON) übernommen. Das 1986 von den drei baltischen
Staaten gegründete Korps soll in der Ostsee Minen räumen und an NATO-Übungen teilnehmen.
Seit 1993 arbeiten die Bundesrepublik und Polen im Militärbereich
zusammen. Verteidigungsminister Rühe ging es damals darum, Polen in die euroatlantische Sicherheitsarchitektur einzubinden, also die
NATO-Osterweiterung vorzubereiten. "Völlig neue Normalität von guten Nachbarn, verlässlichen Freunden und
künftigen Verbündeten" sah Verteidigungsminister Rühe 1998 im Verhältnis Deutschland-Polen, als er die
Patenschaft zwischen der 14. Panzergrenadierdivision aus Mecklenburg-Vorpommern, der dänischen Division Fredericia und der
12.polnischen mechanisierten Division lobte. Die drei Verbände bilden jetzt das Ostseekorps. Rühe wies darauf hin, dass der erste
polnische General, der das neue Korps führen wird, ein General sein wird, der an der Führungsakademie der Bundeswehr in
Hamburg ausgebildet wurde.
Nach Ansicht von Arend Wellmann, Mitarbeiter im Berliner
Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS), liegt der Hauptgrund für die Gründung des Korps darin, dass
Polen die militärische Integration in die NATO erleichtert werden soll. Dänemark beteilige sich am Ostseekorps, da es sich als
Ostseeland sehe und die Ostseepolitik deshalb seit Jahren ein Schwerpunkt dänischer Politik sei.
Die militärische Relevanz des Ostseekorps sei allerdings gering,
jedenfalls momentan, so Wellmann. Mit dem Korps solle auch das Verhältnis zwischen Deutschland und Polen verbessert werden, das
durch den Zweiten Weltkrieg belastet sei. Da werde dann die Kooperation im militärischen Bereich unter Beteiligung eines dritten
Landes benutzt, um die Zusammenarbeit zu verbessern. Insofern sei das Ostseekorps eher in den Bereich der politischen Symbolik einzuordnen.
Was aus dem Ostseekorps in Zukunft werde, sei natürlich eine andere Frage.
Nicht zuletzt sei die Bildung von binationalen oder multinationalen Korps
momentan in "Mode". Zu beobachten sei eine "Westeuropäisierung von Sicherheitspolitik" in Europa.
Nationalstaaten würden sich nach wie vor über Militär konstituieren. Insofern sei es nur logisch, wenn im Zuge der
europäischen Integration auch die militärische Kooperation verstärkt werde. Dafür werde auf Korps wie das
Eurokorps, das deutsch-niederländische Korps oder eben das Ostseekorps gesetzt.
Insbesondere Deutschland ist an multinationaler Kooperation interessiert.
"Deutschland dominiert die internationalen oder europäischen Korps eindeutig", stellte Tobias Pflüger von der
Informationsstelle Militarisierung fest. "Die politische Implikation dieser Militärstrukturen ist klar: Ohne deutsche Mitsprache ist
ein militärisches Agieren in Europa nicht möglich."
"Mit den Währungen haben die europäischen Nationen
ihre wirtschaftspolitische Autonomie - ein anderer Mythos - bereits aufgegeben. Wenn wir aber kein Dutzend Währungen mehr brauchen,
dann brauchen wir auch kein Dutzend Armeen mehr. Die Wirtschaft, die Wissenschaft, die Politik und Kultur stellen sich der
Europäisierung. Es wird Zeit, dass die Sicherheitspolitik dem folgt und dem Euro die Euro-Wehr zur Seite stellt", findet Wolfram
Weimer in der Welt von 21.7.1999.
Die Bedeutung des Eurokorps für die Bundesrepublik stellte die Welt
mit einem Foto und einer Bildunterschrift plastisch dar: "Am 14.Juli 1994 rasseln deutsche mit anderen europäischen Panzern des
Eurokorps über die Champs-Elysées. Es war das erste Mal, dass sich reguläre Soldaten aus dem Ausland an der Parade am
französischen Nationalfeiertag beteiligten."
Ostseeland Dänemark
Mit gemeinsamen See- und Landmanövern hatte 1994 die militärische Zusammenarbeit zwischen Dänemark,
Deutschland und Polen begonnen. Mit der Unterzeichnung eines Memorandum of Understanding wurde die Zusammenarbeit auf eine formale
Basis gestellt. Das Memorandum bestand aus drei Elementen: regelmäßigen Übungen im Rahmen der "Partnerschaft
für den Frieden", freundschaftlichen Kontakten der beteiligten Truppen und friedensunterstützenden Maßnahmen.
Im Rahmen des PfP-Programms wurden in den folgenden Jahren
Übungen zu Lande und zu Wasser abgehalten. Neben gegenseitigen Truppenbesuchen wurde außerdem im Juni 1997 eine
gemeinsame Peacekeeping-Übung abgehalten. 1996 luden die drei Länder Estland, Lettland und Litauen als Gäste zu ihrem
nächsten Treffen ein. Später luden sie die drei baltischen Staaten ein, an den gemeinsamen Übungen teil zu nehmen.
Die Zusammenarbeit im militärischen Bereich ist Teil der
dänischen Gesamtstrategie nach 1990, ein Netz von politischen, ökonomischen und militärischen Kooperationsprojekten im
Ostseeraum zu spannen. Dabei rühmt sich Dänemark, eines der ersten Länder gewesen zu sein, die nach 1990 den
osteuropäischen Ländern militärische Zusammenarbeit angeboten haben. 1993 unterzeichnete der dänische
Verteidigungsminister ein Kooperationsabkommen mit Polen, zwei weitere mit Estland und Russland folgten 1994.
Wie Deutschland setzt auch Dänemark auf Zusammenarbeit mit den
baltischen Staaten. Im BALBAT-Projekt hat Dänemark die Koordinierungsrolle übernommen. Offizielles Ziel des Projekts ist es,
ein baltisches Peacekeeping-Battalion aufzubauen. Das Programm ist auf die Praxis ausgerichtet: Die drei Kompanien von BALBAT wurden
1996 nach Bosnien und in den Libanon geschickt. Die Litauische Kompanie begleitete die dänischen SFOR-Truppen in Bosnien.
Neben dem schon erwähnten BALTRON existieren folgende
Militärprojekte im Ostseeraum: BALNET, eine Einheit zur Luftüberwachung, und eine Akademie mit der Bezeichnung
BALTDEFCOL. Koordiniert werden alle militärischen Aktivitäten in der Baltic Security Assistance Group (BALTSEA). An allen
Projekten sind westliche Staaten, darunter die USA, Schweden, Norwegen und Finnland und eben die drei baltischen Staaten beteiligt.
Russland bleibt außen vor. Die dänische Regierung kann kein einziges konkretes Projekt mit Russland vorweisen. Statt dessen wird
der "Dialog" mit Russland hervorgehoben.
Auf dem Weg zum Vollmitglied: Polen
Schon vor der endgültigen Entscheidung über die Aufnahme Polens in die NATO strebte Polen die Kooperation mit NATO-
Mitgliedsländern im Militärbereich an. In der Dreierrunde Dänemark, Deutschland, Polen wurde wert auf praktische
Übung gelegt und diverse Manöver abgehalten. Damit wurde die Aufnahme in die NATO vorbereitet. Neben den bilateralen
Beziehungen unterhält Polen trilaterale Kontakte mit Deutschland und Frankreich im Rahmen des sog. Weimarer Dreiecks und eben mit
Deutschland und Dänemark.
Das Weimarer Dreieck, das seit 1994 existiert, war für Polen eines
der Hauptinstrumente, seine strategischen Ziele, nämlich Mitgliedschaft in EU, WEU und NATO, zu erreichen. Die Zusammenarbeit
beinhaltete auch die Schaffung einer gemeinsamen Koordinierungsgruppe für die militärischen Beziehungen. Über die
12.polnische Division, die am Ostseekorps beteiligt ist, will Polen die Interoperabilität mit den westlichen Truppen verbessern.
Polen unterstützt auch die NATO-Aktivitäten im Baltikum .
"Unsere Politik einer möglichst breiten Einbindung der Baltischen Staaten in die militärische Kooperation im Rahmen der
bereits bestehenden Hilfsprogramme bleibt weiterhin unverändert", so der polnische Außenminister Bronislaw Geremek.
Deutsche und polnische Militärs üben sich dabei auch in
symbolischen Aktionen. Am 8.November 1996 reichten sich der deutsche und der polnische Verteidigungsminister die Hände - auf einer
von Pionieren beider Länder errichteten Brücke über die Oder. "Bei ihrem Besuch überzeugten sich die
Verteidigungsminister davon", heißt es in einer Pressemappe des deutschen Verteidigungsministeriums, "dass die
Streitkräfte beider Nationen auch unter schwierigen Bedingungen in der Lage sind, gemeinsame militärische Aufträge zu
erfüllen".
Dirk Eckert
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