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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.22 vom 28.10.1999, Seite 8

Doppelt isoliert

Wie sehr schon die Begrifflichkeit, mit der dissidentes Handeln beschrieben wird, von der Sicht des Betrachtenden auf die vormaligen gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR ist, zeigt sich immer wieder von Neuem. Zum Beispiel an Ansätzen, die die DDR als eine gleichgeschaltete, entdifferenzierte und homogenisierte Gesellschaft behandeln und behaupten, auch das intellektuelle Protestpotenzial sei überangepasst gewesen, und dies kritisch an dessen Verhaftung und in den Idealen des Sozialismus festmachen. Bei einer solchen Sicht lässt sich folgerichtig kaum Resistenz oder Opposition ausmachen; der Massenprotest gegen das System wird aus seinem Untergang erklärt bzw. auf den reißenden Strom der Abwanderer zurückgeführt.
In solchen totalitarismustheoretischen Ansätzen findet man bei gleichem Zugang zur Beschreibung der DDR-Gesellschaft jedoch auch Positionen vor, die jedes abweichende Verhalten in einem derart gleichgeschalteten System als grundsätzliche Opposition dazu qualifizieren. Auf diese Weise versuchen die Verfechter solcher Positionen das Problem zu lösen, das sie selbst geschaffen haben - nämlich zu erklären, wie sich in einer Gesellschaft, die jeden Freiraum vernichtet, oppositionelles und widerständiges Verhalten überhaupt entfalten kann.
Eine solch starre, dichotome Qualifizierung mitunter des gleichen Verhaltens von Akteuren als entweder durchgehende Anpassungsstrategie oder als Systemopposition weist auf ein wenig tragfähiges Bild von der DDR-Gesellschaft hin. Wegen dieser statischen Ansätze ist die "bürgerliche" "Sozialismuskritik" auch unfähig, die Widersprüchlichkeit sich entwickelnder Gesellschaftsstrukturen sowie der Opposition gegen sie zu begreifen.
Derart statische Ansätze finden sich jedoch auch im "linken" Spektrum von Kritikern der Opposition in der DDR. Sowohl die noch verbliebenen Betonköpfe aus dem ehemaligen DKP/SEW/SED-Lager als auch Teile des überlebenden "linksradikalen" antidogmatischen Sektengefüges treffen sich häufig - so spinnefeind sie sich ansonsten immer gewesen sein mögen - wenigstens in einem Punkt: Das Ergebnis der "Wende" in der DDR betrachtend, war die Opposition dort für sie im wesentlichen ein auf die "Konterrevolution" zielendes bzw. ein "bürgerlich-reaktionäres" Unternehmen zur Beendigung des "Sozialismus". Die damit hergestellte intime Nähe zu konservativen Geschichtsbildern, wie sie in der CDU etwa Erhard Neubert vertritt, mag den Betroffenen peinlich sein, aber über die dann von allen Seiten betonte Differenz in der Bewertung dieses Ereignisses hinaus bleibt kaum etwas übrig, das wirklich als Gegensatz zu vermerken wäre.
Auch der Autor dieses Artikels befindet sich als teilnehmender Akteur des oppositionellen und widerständigen Spektrums in der DDR der 70er und 80er Jahre nicht in der Position des distanzierten Zeithistorikers, der ausgewogen und unvoreingenommen eine Bestandsaufnahme und Analyse seines Gegenstands vornehmen könnte. Die eigene Verwicklung in den zu begutachtenden Prozess belastet die Resultate mit dem Vorbehalt der Befangenheit. Der Vorteil der damaligen Nähe zum Gegenstand der Betrachtungen kann diesen Vorbehalt nicht relativieren, wenngleich er genauere Einsichten in die Prozesse erlaubt.
Dies hier festzustellen ist um so wichtiger, als Zeithistoriker auch jenseits solcher Befangenheit zeitgeschichtliche Prozesse immer voreingenommen werten und den Leser darüber nicht im Unklaren lassen sollten. Den eigenen Ansatz klar zu formulieren, gehört zum Gebot der Transparenz und dementiert die Legende von der wertfreien Forschung.

Ein Land ohne Widerstand?
Worum geht es also, wenn man sich trotz dieser Befangenheit an die Arbeit machen will? Letztlich darum, aus der Entwicklung des DDR- Systems, seinem sozialen und politischen Wandel, unter Berücksichtigung auch der Unterschiede zu bürgerlich-demokratischen Systemen und systemexterner Einflüsse, nachzuvollziehen, wie sich Verweigerung, Resistenz, Protest, Opposition und Widerstand entwickelt haben und wie sie begrifflich voneinander zu unterscheiden sind. Zu erklären ist, wie sich jahrzehntelang auch über Krisen hinweg eine Stabilität des Systems auf immer neuem Niveau reproduzieren konnte, wie die Erstarrung der Verhältnisse und der plötzliche Zusammenbruch möglich wurden, und welches Gewicht die in diesem Prozess entstehenden differenzierten Oppositionsmilieus tatsächlich hatten.
Im Vergleich zu demokratischen Systemen haben Widerstand und Opposition in Diktaturen eine völlig andere Bedeutung und sind mit einem ganz anderen Risiko behaftet; dennoch muss auch hier ein politisch und konzeptionell gemeinschaftlicher Widerstand deutlich von den vielen Formen abweichenden Verhaltens unterschieden werden, deren Bandbreite allerdings noch erforscht werden muss.
Eine beliebte Fehlinterpretation resultiert z.B. aus der wertenden Unterscheidung zwischen Personen und Initiativkreisen in der DDR, die offizielle Institutionen infiltrierten, dort Informationen beschafften oder Selbstorganisationsversuche zur konzeptionellen Arbeit unternahmen, und solchen, die eine "antiinstitutionelle" Selbstorganisation etwa in kirchlichen Basisgruppen versuchten. Diese Unterscheidung fällt oft damit zusammen, dass erstere als "konstruktive", systemkonforme (also immanente) Kritiker, letztere hingegen als solche bezeichnet werden, die das System ablehnten oder sogar bekämpften.
Dies darf bezweifelt werden. Nicht der Ort, sondern das Konzept und die tatsächliche Arbeit entscheiden über die Zuordnung. Mitunter war ein konspirativ rückgebundener Entrismus in legale öffentliche Institutionen, verbunden mit einer klaren eigenen, zumTeil sogar radikalen Zielbestimmung folgenreicher als das vergleichsweise komfortablere Engagement in kirchlichen "Schutzräumen". Sog. "institutionelle" widerständige Initiativen hatten zwar einen größeren taktischen Aufwand zu betreiben, um Selbstkriminalisierung oder Ausgrenzung zu verhindern, dafür war ihr Aufwand zur Überwindung ihrer "Ghettoisierung" im Erfolgsfall auch geringer.

Wer hat die DDR bezwungen?
Zunächst ist der verbreiteten ökonomistischen Deutung des Zusammenbruchs der DDR zu widersprechen. Neben der Schärfe der inneren Krise und der Auflösung des politischen Herrschaftszusammenhangs entscheiden tatsächlich letztlich weltpolitische Konstellationen über das Fortbestehen wirtschaftlich und finanziell "bankrotter" Staaten (von denen die DDR nur einer unter vielen war).
Häufig trifft man auch auf die einfache Deutung, die in der DDR Herrschenden hätten in der Bevölkerung angeblich niemals Akzeptanz gewinnen können; der Zusammenbruch der DDR wird als "folgerichtige" Konsequenz der Massendemonstrationen erklärt. Dem widerspricht, dass sich seit den 60er Jahren eine langandauernde, unpolitische und ideologieinvariante Loyalität der Bevölkerungsmehrheit zum herrschenden System hergestellte hatte, die in Lebensbedingungen wurzelte, die von sozialer Sicherheit, begrenztem Wohlstand und übersichtlichen Aufstiegschancen geprägt waren. Auch dieser Loyalitätszuwachs hat eine Vorgeschichte: Zuvor war der Versuch der Parteibürokratie, durch machtgeleitete ideologiezentrierte und repressionsgestützte Überpolitisierung eine positive Identifikation der Gesellschaft mit dem ihr aufgezwungenen System zu erzeugen, gescheitert.
Vor allem seit den 70er Jahren nahmen die Herrschenden diese Überpolitisierung schrittweise zurück, ohne sie aufzugeben, und ergänzten dies um den im Grunde bürgerlichen Rückverweis auf kompensierenden Konsum und übersichtliche Karriereperspektiven. Dies ging einher mit der Gewichtsverlagerung von der Repression auf die Prävention und dem dazu erforderlichen quantitativen Ausbau der Sicherheitsapparate. Die Herrschaftstechnik funktionierte zunächst begrenzt; es stellte sich eine wachsende "passive" Loyalität einer Mehrheit der Bevölkerung her. Trotz des anhaltenden Politisierungsdrucks und der Aufrechterhaltung eines umfassenden Organisationsmonopols der Herrschenden führte dies aber nur bei einer (allerdings vergleichsweise größeren) Minderheit über die passive Loyalität hinaus auch zu einer aktiven politischen Identifikation mit den Verhältnissen.
Gravierend war vor allem die fast durchgehende Entpolitisierung der Gesellschaft. Sie bildete die Kehrseite des zynischen Sozialvertrags, bei dem gesellschaftliche "Wohlfahrt" und persönliche Karriereerwartungen gegen politisches Wohlverhalten getauscht wurde. Mehrheitlich dominierte der Rückzug in private Nischen oder die flexible Anpassung.
Als durch wirtschaftliche und politische Stagnation die loyalitätsbildenden materiellen und sozialen Standards gefährdet wurden und in den 80er Jahren mit abnehmendem Repressionsdruck die systemimmanenten politischen Beschränkungen stärker erfahrbar, in Grenzen sogar artikulierbar wurden, brach das stabilisierende, letztlich aber "äußerliche" Loyalitätskorsett weg und das Herrschaftssystem zusammen. Mit den materiellen Folgen der ökonomischen Fehlentwicklung musste die an funktionierende Kompensationen gebundene Massenloyalität aufweichen.

Zwischen Systemerhalt und Systemgefährdung
Hatten die alternativen und informellen Gruppen insbesondere der 80er Jahre nun eher eine systemstabilisierende Funktion - in dem Sinn, dass sie das System nicht herausforderten und deshalb von den Herrschenden als Auffangbecken für Unruhepotenziale toleriert werden konnten, oder gefährdeten sie den der Gesellschaft aufgeherrschten "Basiskonsens"? Wie sind die Vorläufer der späteren, allgemein als "oppositionelle" Gruppen charakterisierten und zuletzt legalen politischen Vereinigungen des Herbstes 1989 zu charakterisieren?
In parlamentarischen Systemen wird unter "Opposition" gemeinhin eine legitime "Gegenkraft im Institutionengefüge" verstanden, die den Basiskonsens der Gesellschaft teilt. Wird oppositionelle Formierung überdies an eine gewisse Homogenität, innere Struktur, Organisation und öffentliches Agieren gebunden, so führt die konsequente Anwendung solcher systemfremden Kategorien auf politbürokratische Verhältnisse zur Charakterisierung der informellen Gruppen als "voroppositionelle Formen der Systemdistanz". Folgerichtig wären frühestens die Gruppen als Opposition zu akzeptieren, die seit Oktober 1998 in Gestalt des Bündnisses von "Neues Forum", "Demokratie Jetzt" und "Initiative für Frieden und Menschenrechte" (der Kern des "Bündnis 90" vom Januar 1990) die SED "innersystemisch" herausforderten.
Die Berechtigung einer solchen Sichtweise darf bezweifelt werden. In allen nominalsozialistischen Systemen war jede Opposition, ob sie nun den Basiskonsens teilte oder nicht, illegal, auch wenn sich die Repressionstechniken fortlaufend wandelten. Im Normengefüge der DDR-Gesellschaft wäre dann nur Raum für die Alternative "Anpassung oder Widerstand" gewesen. Dagegen spricht aber die Tatsache, dass sich spätestens seit dem Ende der 70er Jahre spezifische Formen von Gegenöffentlichkeit, Organisiertheit und Konzeptionalität entwickelten. Zu untersuchen ist deshalb das besondere Verhältnis zwischen Opposition und Widerstand in der DDR unter den Bedingungen der Konspiration und der Eroberung halblegaler öffentlicher Räume. Die Analyse der "Politisierung" der Gruppen in der unabhängigen Friedens-, Ökologie- und Menschenrechtsbewegung in den 80er Jahren ist dafür ein brauchbarer Schlüssel. Doch bleibt dies ein noch unerfüllter Wunsch an die Forschung.
Wir analysieren hier, wie sich die neue Oppositionsbewegung herausgebildet und vor dem Hintergrund ihrer ursprünglichen Ziele entfaltet hat. Dazu gehört auch, wie im "Vorherbst" ihr sozialer Erfahrungshintergrund war und wie sich ihr Politikbegriff gebildet hat.
Wie erwähnt waren die 80er Jahre von einer partiellen "Liberalisierung" und einer sozialstrukturellen Differenzierung geprägt; dies stellte den Erfahrungshintergrund der informellen Gruppen dar, vor diesem bildeten sich ihre oppositionellen Ideen heraus. Eine Mehrheit der Gruppen war bestrebt, die "liberalere" Atmosphäre zu nutzen, um dem Regime Legalitätsräume auch außerhalb des Kirchenghettos abzuringen. Dies hat einige Zeithistoriker dazu bewogen, sich auf den "bürgerlichen" Oppositionsbegriff zu fixieren und eine Geografie "voroppositioneller Formen der Systemdistanz" zu entwickeln.
So betrachtet, gilt die Opposition in den 70er und 80er Jahren oft als innersystemisch und "gegenöffentlich", im Unterschied zur "fundamentaloppositionellen" und auf den Sturz der SED (und das damit verbundene Ende der DDR) und die Wiedervereinigung Deutschlands gerichteten Opposition in den 50er Jahren. Die Bezeichnung "Widerstand" verdiene nur letztere, weil sie den Basiskonsens der Gesellschaft verlassen habe. Im Gegensatz zur "späteren" Opposition, die nur Raum für gegenkulturelle und staatsunabhängige Kommunikation gefordert habe, habe die "frühe" Opposition auf Rechtsstaatlichkeit und freie Wahlen orientiert. Somit könne für erstere der Begriff des Widerstands nicht zutreffen, sogar ihre Anerkennung als "Opposition" ist umstritten. Vereinzelt weisen Zeitzeugen bei retrospektiver Beschreibung ihrer eigenen Tätigkeit diese Begriffe sogar selbst zurück.
Doch diese Charakterisierung sowohl der "frühen" wie der "späten" Opposition ist kurzsichtig. Bereits in der stalinistischen SBZ/DDR gab es nicht nur Opposition, sondern bis in die frühen 50er Jahre hinein auch konsequenten, mit den in einer Diktatur unverzichtbaren Methoden der Konspiration verbundenen Widerstand, der ebenso auf Öffentlichkeit zielte wie die offen auftretende und ebenfalls kriminalisierte Opposition. Widerstand manifestierte sich nicht nur, nicht einmal in erster Linie, als antikommunistischer Widerstand, sondern als linker, antistalinistischer. Er wurde von den Herrschenden "zu Recht" besonders hart als für sie gefährlich verfolgt, obwohl oder gerade weil er auf eine antistalinistische sozialistische Perspektive abzielte. Er war die fundamentaloppositionelle Alternative zur stalinistischen Parteidiktatur, deren Gefährlichkeit sich daraus ergab, dass sie "von innen", "von unten" und "von links" gegen eine "von oben" aufgeherrschte Zwangsvergesellschaftung ankämpfte. Für die Bürokratie war es schwerer, antistalinistischen linken Widerstand als prowestlich zu denunzieren, obwohl er doch als solcher hingestellt wurde.
Diese Anfang der 50er Jahre zerschlagenen Gruppen sind nicht zu verwechseln mit den im Grunde systemloyalen innerparteilichen Kreisen von "Kritikern" und "Abweichlern" aus dieser Zeit, deren Protagonisten später unter ähnliche Anklagen gesetzt oder als "parteifeindliche Plattformen" abgestraft wurden, aber kaum konspirativ agierten. Es gab jedoch durch die ganze Geschichte der DDR hindurch immer wieder Versuche und Ansätze für Widerstand, die viel konsequenter als die heute immer wieder im Mittelpunkt des Interesses stehenden parteireformerischen oder parteidissidenten Kräfte ("Kritiker" oder "Parteioppositionelle") agierten, im Unterschied zu letzteren aber besonders brutal verfolgt wurden und deshalb weniger Öffentlichkeit erlangten.

Die verschiedenen Facetten der Opposition
Die Entstehung der informellen Gruppen und ihrer Themen aus den verschiedenen Milieus der gesellschaftlichen Verweigerung und der alternativen Kultur in den 70er und 80er Jahren darf einen wichtigen Zusammenhang nicht ausblenden, der uns erst zum adäquaten Begriffszusammenhang von Widerstand und Opposition führt: die besondere Form der Verschmelzung der Praxis konspirativer Zirkel der 70er Jahre (die in diesem Jahrzehnt weitgehend zerschlagen wurden) mit der Eroberung halblegaler öffentlicher Räume durch die unabhängige Friedensbewegung in den 80er Jahren. Andernfalls wird die Praxis der informellen Gruppen vorwiegend aus sich selbst oder ihren authentischen Milieus heraus erklärt und die besonderen Verhältnisse der Politisierung der unabhängigen Friedensbewegung in den 80er Jahren unterschlagen.
Tatsächlich hat selbst der "bürgerliche" Oppositionsbegriff schon seit Beginn 80er Jahre seine Berechtigung, wenn er auf die "Arbeit der Gegenöffentlichkeit" in kirchlich begrenzt geschützten Räumen gemünzt wird und die besonderen Verhältnisse einer erodierenden Diktatur unberücksichtigt bleiben. Dies lässt sich nachvollziehen, wenn man betrachtet, wie die Basisgruppen etwa im Fall der breiten Proteste wegen des Überfalls der Staatssischerheitsorgane auf die Umweltbibliothek 1997, der Verhaftungen wegen der Liebknecht- Luxemburg-Demonstration 1988 und der Proteste gegen die Fälschung der Kommunalwahlen 1989 ihr Ghetto wirksam zu durchbrechen vermochten. Taktische Selbstbeschränkungen dieser Opposition in öffentlichen ("bekennenden") Aktionen zur Verhinderung ihrer Selbstkriminalisierung und konspirative Aktionen aus dem illegalen Hinterland des gleichen Umfelds, die solche Rücksichten fallen ließen, verschmolzen hier zu einer neuen politischen Praxis, die ein neues Verhältnis zwischen klassischer "Opposition" und manifestem Widerstand deutlich werden lässt.
Zwar maß die Opposition die "realsozialistische" Wirklichkeit vielfach am uneingelösten legitimatorischen sozialistischen Anspruch, dennoch ist der Befund des Historikers Staritz unzutreffend, "die Strukturen der Sozial- und Wirtschaftsordnung [unterlägen] kaum noch fundamentaler Kritik". Diese Kritik war nicht "prokapitalistisch", aber deshalb vielfach nicht weniger fundamental. Die Konfrontation der in der DDR Herrschenden mit den emanzipatorischen Essentials eines demokratischen und freiheitlichen Sozialismus war keine "systemimmanente Kritik" im Rahmen des von den Herrschenden der Gesellschaft aufgezwungenen Basiskonsens, sondern eine viel radikalere und gefährlichere Infragestellung dieses Basiskonsenses, als Forderungen nach bürgerlichen Freiheiten dies vermochten, denen die Herrschenden in den 80er Jahren selbst kontrollierten Raum zu gewähren begannen.
Es darf auch die Behauptung (Pollack/ Rink) bezweifelt werden, in der Kritik dieser Gruppen an den gesellschaftlichen Zuständen hätte die Herstellung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einen zweitrangigen Platz eingenommen. Dies trifft nicht einmal auf die erklärte Minderheit der Opposition zu. Eher ist anzunehmen, dass solche politischen Forderungen die Opposition vom Gros der DDR-Bevölkerung isolierten; deren Kritik konzentrierte sich auf die vom Regime selbst erzeugten und letztlich nicht eingelösten materiellen und Konsumversprechungen.
Die Politisierung des oppositionellen Milieus trug Mitte der 80er Jahre auch zu einer Diversifizierung des Profils der ursprünglich eher pazifistisch orientierten Friedensgruppen bei. Grundlage davon waren die politischen Umbrüche in den 80er Jahren. Nicht nur Frauen-, Menschenrechts- und Umweltgruppen, auch Dritte-Welt-Initiativen, Arbeitskreise zur Weltwirtschaft (Schuldenkrise, IWF-Politik), zur Situation in Osteuropa, zum Krieg in Afghanistan, zur Energiepolitik (nach der Katastrophe von Tschernobyl) u.a. entfalteten sich. Mit dem Umbruch in der UdSSR entstanden nach 1985 vermehrt Arbeitszusammenhänge und Veranstaltungen zur Geschichte der ost- und südosteuropäischen kommunistischen Parteien, zur Wirtschaftspolitik und zum Reformgeschehen in diesen Ländern.
Dass dabei der Rahmen DDR-spezifischer Themen weit überschritten wurde und die antikapitalistische Ausprägung solcher Themen im oppositionellen Spektrum weitgehend konsensfähig war, zeigt eine Fülle von Beispielen. Eine weitgefächerte Ökologiebewegung griff die grünen Essentials einer damals noch hochpolitisierten Atomkraftdebatte auf und beschränkte sich gerade nach der Katastrophe von Tschernobyl keineswegs nur auf die Kritik der fatalen osteuropäischen Kernkraftpolitik. Sie richtete ihre Angriffe gleichermaßen gegen den internationalen Atomlobbyismus.
In der ab 1986 intensiv geführten energiepolitischen Debatte wurden Fragen nach den wirtschaftspolitischen Ursachen einer verfehlten Energieerzeugung gestellt. Die Antworten führten nicht nur zur Kritik organisierter politbürokratischer Verantwortungslosigkeit im Osten, sondern auch zur Ablehnung zivilisationsgefährdender kapital- und marktwirtschaftlicher Interessenlagen im Westen. Im Vorfeld des IWF-Gipfels in Westberlin 1988 zeigte diese Bewegung, dass sie bei der Kritik wirtschaftsdirigistischer Absurditäten in der DDR und anderen Ostblockländern über den eigenen Tellerrand hinauszublicken imstande war. Gerade in den Dritte-Welt-Gruppen der Friedensbewegung wurden die solidarischen Kampagnen gegen die Schuldenfallenpolitik von IWF und Weltbank mit Untersuchungen über die Verwicklung der Ostblockländer in die kapitalistischen Ausbeutungsstrukturen der kapitalistischen Weltwirtschaft und den internationalen Waffenhandel verbunden.
Diskutiert wurden auch die fehlenden Voraussetzungen und Bedingungen einer "gerechten Weltwirtschaftsordnung" und die Solidarität mit den Befreiungsbewegungen, insbesondere in Lateinamerika und Südafrika. Die Vermutung, dass nach der "Niederlage der Friedensbewegung" 1983 ein Bedeutungsverlust der Friedenskreise eingetreten wäre, deshalb andere Themengruppen ihren randständigen Status hätten überwinden können, trifft nicht zu, das zeigt die fortlaufende Thematisierung etwa des US-amerikanischen SDI-Programms und der europäischen Rüstungsspirale.
Ein sich immer wiederholender Konflikt bestand darin, dass Verantwortungsträger der evangelischen Amtskirche, zum Teil gegen solidarische Gemeindepfarrer agierend, unter ihrem Dach arbeitende Gruppen, einschließlich ihrer religiös gebundenen Mitglieder, behinderten und die Gruppen sich fortwährend und letztlich erfolgreich dagegen wehrten (z.B. die "Kirche von unten").
Bei ihrer Politik gegenüber den unabhängigen Friedensgruppen unter ihrem Dach, die sie im Kontext des amtskirchlichen Dialogs mit der Staatsmacht gestaltete, ließ sich die evangelische Amtskirche von ihrer besonderen Interessenlage leiten: Einerseits bedrohte die politische Brisanz der Themenarbeit der oppositionellen Gruppen das beiderseits konsensorientierte Einvernehmen von Kirche und Staat/ Partei, andererseits gestattete gerade dieser Konflikt, dass die Amtskirche als Moderatorin zwischen den Gruppen und der Staatsmacht auftrat, letzterer gegenüber an Gewicht zunahm und damit auch ihre eigenen Interessen gegenüber Staat und Partei besser durchsetzen konnte.

Verhältnis zu SED-Reformern
Das Verhältnis der Opposition zur "Ausreisebewegung" war zwiespältig. Sie befürchtete, von letzterer für private Ausreiselösungen instrumentalisiert zu werden. Tatsächlich wollten die "Ausreiser" dadurch Öffentlichkeit für ihre eigenen Anliegen erreichen. Dahinter steht das Problem, dass die oppositionelle Minderheit, die im Herbst 1989 kurzzeitig in der Lage war, den einsetzenden Massenprotest politisch zu artikulieren, in ihren Forderungen mit dem Mehrheitsstrom der Massenstimmung nicht konform ging, zumal diese Stimmung im Winter sehr schnell in Richtung Wiedervereinigung umschlug. Die Ausreiser waren quasi die Initialzündung dieser viel stärker materiell als politisch fundierten Tendenz.
Parallel zu verstärkten Politisierungstendenzen innerhalb der unabhängigen Friedensbewegung gab es eine rapide Entpolitisierung eines Teils der nonkonformistischen Kunstszene, von der sich auch kritische Literaten distanzierten.
Weiterhin gab es letztlich gescheiterte Versuche, insbesondere am linken Rand der Oppositionsgruppen, SED-Reformer über konspirativ organisierte Kontakte inhaltlich in die Oppositionsarbeit einzubeziehen. Die hier gemachten Erfahrungen (besonders in Berlin) trugen dazu bei, dass Distanz und Misstrauen gegenüber dem "Reformwillen" dieser Strömung wuchsen. Die den Reformdiskurs pflegende Strömung in der SED ist sowohl vom widerständigen Handeln politischer Minderheiten, als auch vom Handeln der Bevölkerungsmehrheit, als auch von Reformdiskursen innerhalb der herrschenden Parteischicht zu unterscheiden. Diese Strömung setzte aus der Perspektive der Macht auf eine Selbstveränderung von innen, auf eine Umgestaltung der Rolle der Partei. Die Reformer warfen durchaus kreativ und radikal die Frage nach den systembedingten Ursachen des regelmäßigen Scheiterns bisheriger Reformansätze (also die Frage nach der wirklichen "Natur" des Nominalsozialismus) auf; aus ihrer affirmativen Rezeption westlicher Moderne-Theorien und ihrem negativem Verhältnis zu Gegenmacht und Opposition heraus gaben sie jedoch eine "konservative" Antwort.
Im Endeffekt trafen sich so disparat anmutende Konzepte wie die der Bürgerrechtsgruppen in der Opposition und die Reformströmung in der SED. Die Bürgerrechtsströmung wollte unreflektiert und nur aus der Erfahrung des "Mangels" heraus bürgerliche Freiheitsrechte in den Korpus des "real existierenden Sozialismus" implantieren, ohne die Systemfrage konsequent zu stellen. Die Reformsozialisten in der Partei, die nur aus der Systemperspektive heraus argumentierten, erwarteten sich von der machtgeleiteten Implantation von Regulativen der westlichen Moderne eine Selbstreform des Systems, die durch Aktionen der politischen Opposition in ihren Augen nur bedroht oder verzögert werden konnte. Die Bürgerrechtler wagten nicht, mit ihren Forderungen nach politischer Freiheit auch die soziale Konsequenz zu ziehen und einen "dritten Weg" jenseits von Kapitalismus und Stalinismus zu formulieren. Während die reformsozialistischen Agitatoren für den "dritten Weg" in der Opposition eine Gefahr für diesen Weg sahen, setzte sich an ihnen vorbei der "erste Weg" durch und zusammen mit ihren Opponenten landeten sie im real existierenden Kapitalismus.
Das Konglomerat informeller Gruppen, das in der gemeinsamen Gegnerschaft zur herrschenden SED-Bürokratie vereint und angesichts der gegen sie gerichteten Repression solidarisch war, war dennoch politisch nicht homogen. Extremster Ausdruck davon und inhaltliche Vorwegnahme der schnellen Ausdifferenzierung des oppositionellen Milieus während des Umbruchs 1989/90 waren die Auseinandersetzungen zwischen den "reinen Bürgerrechtlern" (etwa in der IFM) und den auf Veränderungen der Gesellschaft als Ganzes abzielenden Akteuren (z.B. in der linksorientierten Gruppe "Gegenstimmen").

Brüchiger Konsens
Schon vorher war sichtbar geworden, dass im oppositionellen Minderheitenspektrum der gegen die SED gerichtete Konsens brüchig war; zu Beginn der formellen Konstituierung einer nun nicht mehr halböffentlich, sondern öffentlich agierenden Opposition wurde er nun vollends deutlich. Als Beispiel können der Aufruf der Gruppe "Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" vom August 1989 und der Appell "Für eine Vereinigte Linke - Böhlener Plattform" gelten. Den sich dann bildenden legalistischen Gruppen Neues Forum, Demokratie Jetzt und der sozialdemokratischen Parteigründungsinitiative SDP, die alle innerhalb des Institutionengefüges die SED in freien Wahlen herausfordern bzw. eine gesetzeskonforme Selbstorganisation anstreben wollten, stand mit der "Initiative für eine Vereinigte Linke" (VL) eine antibürokratische, explizit auf einen demokratischen Sozialismus und auf "die Selbsttätigkeit der Massen" in Form einer räteähnlichen Volksbewegung setzende, linke Programmgruppe gegenüber. Mit dieser Radikalität trat die VL nicht nur konsequent gegen die SED-Diktatur auf, weil sie deren "Basiskonsens" ablehnte, sie verteidigte auch die Perspektive eines demokratischen Sozialismus gegen die kapitalistische Alternative.
Die Forderungen und Vorschläge des Aufrufs der VL gingen weit über die reformdemokratischen Positionen der anderen Gruppen hinaus und standen gerade wegen der Bekräftigung der sozialistischen Perspektive in fundamenal-oppositionellem Gegensatz nicht nur zur SED, sondern auch zu einer kapitalistischen Lösung. Damit erwies sie sich später als die am weitesten von den Massen entfernte Gruppe, obwohl gerade sie in ihrem Aufruf sehr realistisch auf die durchgehende Entpolitisierung der Gesellschaft und die Diskreditierung der sozialistischen Perspektive als Ergebnis von vierzig Jahren Stalinismus und Politbürokratismus hingewiesen hatte.
Im Vorfeld der Bildung des Zentralen Runden Tischs votierte die VL in der Kontaktgruppe der Opposition als einzige vergeblich für einen eigenen "Runden Tisch der Opposition", von dem aus die Altparteien herausgefordert werden sollten. Stattdessen wurde der "Zentrale Runde Tisch" eingerichtet, an dem Opposition und Altparteien gleichermaßen saßen. Dort wurden die begrenzten Kräfte der neuen politischen Vereinigungen durch die institutionalisierte Arbeit dieses Runden Tisches absorbiert: Nicht mehr die Kooperation mit den gegen die Zustände im Land protestierenden Massen, sondern die Kooperation mit den für diese Verhältnisse verantwortlichen Parteien stand nun im Mittelpunkt.
Auch damit hingen die Veränderungen in der Zusammensetzung der Teilnehmenden und der Losungen auf den Massendemonstrationen zusammen: Von den anfänglichen Parolen "Wir sind das Volk" und "Wir bleiben hier" drifteten sie zunehmend in Richtung "Wir sind ein Volk" und "Deutschland einig Vaterland". Die Opposition ließ sich von Modrow sogar in eine "Regierung der Nationalen Verantwortung" einbinden - nur die VL stieg aus ihr aus, weil Modrow schon vor ihrer Bildung wortbrüchig an den neuen Partnern vorbei vollendete Tatsachen schuf.
Die wichtigste Funktion des Zentralen Runden Tischs war wohl die massenmediale Verbreitung seiner Sitzungen, die von der Opposition, namentlich vom Neuen Forum, erzwungen wurde. Erstmals konnte die Bevölkerung am Fernsehschirm die Tiefe der Krise, die Manöver der vor den Runden Tisch zitierten politisch Verantwortlichen, aber auch die politische Ohnmacht der Opposition verfolgen.

Die Ohnmacht der Opposition
Der Umbruch in der DDR war kein Produkt der Opposition. Die Opposition wurde vielmehr durch die Massenproteste und die Ausreisewelle kurzzeitig zu einem politischen Akteur, der die Unzufriedenheit der Bevölkerung zu bündeln vermochte. Bevölkerung und Opposition waren sich einig in der Ablehnung des Regimes, doch die Opposition konnte ihre Ziele trotz gemeinsamer Protestparolen auf den frühen Demonstrationen in der Bevölkerung nicht aufgehoben sehen. Ihr Ziel einer emanzipatorischen Neukonstituierung des gesellschaftlichen Systems in der DDR, das sie in der Zeit des Booms informeller Gruppen vor dem Herbst 1989 entwickelt hatte, war im Jahr 1990 nicht konsensfähig. Der Stimmungswandel der Massen weg von oppositionellen Forderungen hin zur alten Losung nach Wiedervereinigung entwickelte sich ebenso schnell wie klar wurde, dass die Opposition weder für die Verwirklichung ihrer eigenen Forderungen noch für den Anschluss der DDR an die BRD ernsthaft zur Verfügung stand. Die Macht, die "auf der Straße lag", konnte gar nicht von "der Opposition" ergriffen werden; dies als ihren Fehler zu bilanzieren, geht an ihrer Vorgeschichte vorbei und ignoriert ihre Differenziertheit.
Tatsächlich haben sich später Teile der Opposition an dem Geschäft derer, die die Macht damals tatsächlich ergriffen haben, verantwortlich (wenn auch nicht maßgeblich) beteiligt. Den Preis dafür haben sie gern gezahlt: die Kastration oder sogar die Distanzierung von politischen Essentials, denen sich die alte DDR- Opposition jenseits ihrer Differenzen mehrheitlich verpflichtet hatte. "Politische Freiheit" schrumpfte zu gesetzlich geregelter politischer Organisationsfreiheit in Parteien und Vereinen; emanzipatorische Ansprüche wurden durch die Teilhabe am parlamentarischen Kompromissgeschäft gebändigt; Solidarität auf Koalitionsdisziplin begrenzt - dies waren die Lernschritte, die die neuen Parteiarbeiter aus der alten DDR-Opposition machten, während sie ihr neues Verständnis von politischer Selbstbestimmung als Teilhabe am parteipolitischen System der Stellvertreterpolitik einübten.
Für die politische "Entmachtung" eines eigenen Wegs jenseits von Politbürokratismus und Kapitalismus, der auch in der Bevölkerung nicht einfach bloß eine Minderheitenposition war, war jedoch nicht nur die begrenzte Konfliktfähigkeit der DDR-Gesellschaft, sondern auch das Zusammenspiel von internen und externen Einflüssen maßgeblich. Das Ende der DDR und ihrer Opposition ist das Resultat weltpolitischer Umbrüche, der Politik der bundesdeutschen Parteien und der Bundesregierung, des Agierens der Modrow-Regierung, der westdeutschen Medien und schließlich der machtpolitischen Selbstblockade der Opposition; die Bevölkerung gab ihr wegen ihrer mangelnden Durchsetzungsfähigkeit bei den Wahlen vom März 1990 die Quittung dafür.

Nicht konsensfähig
Als das politbürokratische System in den 80er Jahren an den selbst gesetzten (ökonomischen) Maßstäben scheiterte und deshalb die zuvor erfolgreich erhaltene Massenloyalität, die auf materieller Kompensation statt politischer Identifikation basierte, verlor, zeigte sich, dass die Ziele des dissidenten subkulturellen und linksintellektuellen Minderheitenmilieus und das verinnerlichte konservative Werteensemble der Mehrheit der Bevölkerung auseinanderstrebten. Man kann sagen, dass die vom Regime erfolgreich erzeugte Entpolitisierung und kompensatorisch-privatistische Umlenkung der Bedürfnisse auf materielle Werte eine Ursache für die Niederlage der alternativen politischen Kultur nach dem Zusammenbruch des Nominalsozialismus war.
Mit dem Scheitern eines eigenständigen Wegs brachen die "subkutanen" Differenzen innerhalb der Opposition auf. Die gewendeten Positionen der neuen politischen Vereinigung "Demokratischer Aufbruch" in der "Allianz für Deutschland" mit der CDU erhielt den Zuschlag als erfolgreichste, weil mehrheitsfähige und konservative Fundamentalopposition gegen die SED; sie trat gegen den "Sozialismus" (der mit der SED identifiziert wurde) und für die Vereinigung mit der Bundesrepublik ein.
Letztendlich war das oppositionelle Basisgruppenmilieu der 80er Jahre doppelt isoliert; das war der Grund für ihre Niederlage im Jahr 1990. Ihre weitgehend erfolgreiche Ghettoisierung verhinderte ihr Hineinwirken in die Gesellschaft. Als diese in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts endlich durchbrochen werden konnte, traf die Opposition auf eine Bevölkerung, die den "neuen Sozialvertrag" der 70er Jahre gekündigt hatte, nicht weil sie die Forderungen der Opposition teilte, sondern weil er von den Herrschenden nicht eingelöst worden war. Die Opposition aber war unfähig, die hier aufscheinende "soziale Frage" zu begreifen. Nur kurzzeitig öffnete sich "ein Fenster" vermeintlicher Identität von Oppositions- und Bevölkerungsprotest. Anders als die entpolitisierte Bevölkerungsmehrheit hatte die oppositionelle Minderheit die Artikulation von politischem Protest einüben können und war deshalb imstande, sich kurzzeitig an die Spitze des Protests zu stellen; durch diese politische Dimension wurde er zur Revolte. Diese Fremdheit löste sich erst auf, als ein Teil der Opposition sich von den alten Positionen weg und auf das - von den SED-Bürokraten erzeugte - konservative Werteensemble der Bevölkerungsmehrheit hinbewegte. Die alten konsumistischen Verheißungen mutierten zu den neuen materiellen Verheißungen im Gewand der "Allianz für Deutschland", bei denen es künftig allen besser und niemandem schlechter gehen sollte.
Thomas Klein

Thomas Klein ist Diplommathematiker. Er war Mitarbeiter trotzkistischer Arbeitsgruppen, Mitinitiator der Initiative gegen Berufsverbote in der DDR und der BRD, saß daraufhin eineinhalb Jahre in Haft. Ab 1982 war er Mitarbeiter des Friedenskreises der Berliner ESG, später Friedenskreis Berlin-Friedrichsfelde. Er wurde Mitbegründer der Gruppe "Gegenstimmen" und Mitglied der Vereinigten Linken; später Mitarbeiter am Zentralen Runden Tisch und im März 1990 Abgeordneter der Volkskammer.


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