Sozialistische Zeitung |
Am 23./24.September beschlossen auf einem Treffen in Frankfurt, zu dem die Bundesarbeitsgemeinschaft der
Sozialhilfeinitiativen (BAG SHI) eingeladen hatte, Vertreter der BAG, des Verbands alleinerziehender Mütter und Väter, der
Caritas, der LAG Elterninitiativen Niedersachsen/Bremen, des Deutschen Arbeitskreises für Familienhilfe und der IG Metall eine
Kampagne "Mehr Geld für Kinder im Sozialhilfebezug!" Weitere Verbände haben ebenfalls Interesse an einer
Beteiligung geäußert. Inzwischen hat zwar die Regierung aufgrund nachhaltiger Proteste mitgeteilt, dass die Erhöhung des
Kindergelds zum 1.1.2000 nun doch nicht auf die Sozialhilfe angerechnet wird, doch das macht die Kampagne nicht gegenstandslos. Wir
dokumentieren im Folgenden auszugsweise ein von der Arbeitslosenzeitung "quer" erstelltes Flugblatt zur Unterstützung
dieser Kampagne.
Haben Sie gewusst, dass Kinder, die von Sozialhilfe leben müssen,
zur Zeit nur Anspruch haben auf (Beispiele aus Niedersachsen):
* einen Tagessatz für Ernährung von 4,50 Mark für ein 6-
jähriges Kind, wobei schon das Mittagessen im Kindergarten oft 4,50 Mark kostet, und 5,85 Mark für ein 13-jähriges Kind,
wobei allein das Mittagessen in Ganztagsschulen bereits 5,80 Mark kostet
* ein Weihnachtsgeschenk in Höhe von 17 Mark
* eine minimale Erhöhung des Regelsatzes (das ist der Geldbetrag,
der für Ernährung und alle weiteren Dinge des Alltags außer Miete und Kleidung reichen muss) innerhalb von 4 Jahren
(1.1.96 bis Ende 1999) von 263 Mark auf 274 Mark, also 11 Mark mehr für ein 6-jähriges Kind, und 342 Mark auf 356 Mark, also
16 Mark mehr für ein 13-jähriges Kind.
Haben Sie gewusst, dass Kinder, die von Sozialhilfe leben müssen,
keinen Anspruch haben auf:
* Geschenke zum Geburtstag,
* eine Geburtstagsfeier,
* Spielzeug,
* Fußballschuhe, Inline-Skater oder Schlittschuhe,
* Mitgliedsbeiträge in Sportvereinen,
* Musikinstrumente und -unterricht,
* Nachhilfeunterricht,
* Fahrrad, Dreirad, bobby-car, Roller,
* Ferienreise,
* PC, CD-Spieler, Walkman.
Haben Sie gewusst, dass Kindern, die von Sozialhilfe leben müssen,
das Kindergeld von der Sozialhilfe abgezogen wird?
Bei der Berechnung der Sozialhilfe werden eigenes Einkommen und
Sozialleistungen gegeneinander aufgerechnet. SozialhilfebezieherInnen wird das Kindergeld damit in voller Höhe von der Sozialhilfe
abgezogen.
Seit Anfang 1996 ist das Kindergeld für das erste Kind von 70 Mark
bis auf 250 Mark heute gestiegen. Für das erste Kind stehen also 180 Mark mehr zur Verfügung. Das Kindergeld und die genannten
Erhöhungen haben alle (kindergeldberechtigten) Eltern zusätzlich zu ihrem Einkommen erhalten, also auch
Einkommensmillionäre. Im selben Zeitraum erhöhte sich der Sozialhilferegelsatz eines z.B. 6-jährigen Kindes in
Niedersachsen von 264 Mark auf 274 Mark. Für den Lebensunterhalt des Kindes stehen somit ganze 11 Mark mehr zur Verfügung!
Im Vergleich zu den Kindergelderhöhungen ist das ein Hohn!
Die Gerichte tun was für die Familien - solange sie nicht Sozialhilfe
beziehen.
Wie sehr mit zweierlei Maß gemessen wird, ist auch aus einem Urteil
des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 1985 abzulesen. Das Kindergeld diene - genau wie die Sozialhilfe - der Sicherung des
Lebensunterhalts und sei nicht "als Prämie für das Haben von Kinder zu begreifen". Da beide Leistungen nach dieser
Logik demselben Zweck dienen, darf die Sozialhilfe um das bezogene Kindergeld gekürzt werden (nach dem Motto: doppelt gezahlt wird
nicht!). Dagegen steht jedem einkommensstarken Haushalt das Kindergeld zusätzlich zu - und erfüllt dort genau die Funktion einer
Prämie.
"Sternstunden für die Familien"?
Mit zwei Urteilen aus dem Jahr 1990 verpflichtete das
Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber, das Kindergeldrecht zu ändern. Hintergrund war dabei nicht, einkommensschwache Familien
besser zu stellen, sondern es ging um "Steuergerechtigkeit" zwischen Steuerpflichtigen mit Kindern und Steuerpflichtigen ohne
Kinder.
Daran hat sich auch durch die neuen Familienentscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts nichts geändert, selbst wenn in der Presse "Sternstunden für die Familien" vorausgesagt
wurden. Das Bundesverfassungsgericht setzt sich in seinen Entscheidungen mit keinem Sterbenswörtchen mit den Belangen von
sozialhilfebeziehenden Kindern auseinander.
Förderung und Entlastung von Familien im Sozialhilfebezug findet
nicht statt: Eltern von einer Million sozialhilfebeziehenden Kindern gehen leer aus, während vor allem ca. 10% Besserverdienende
bereits jetzt profitieren. Denn deren Steuerersparnis steigt durch die gerichtlich erzwungenen höheren Kinderfreibeträge mit dem
Einkommen. Die monatliche Steuerersparnis beträgt derzeit ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 200.000 Mark pro Kind ca.
316 Mark und liegt damit deutlich höher als das ausgezahlte Kindergeld.
Durch die neuen Entscheidungen des Gerichts werden weitere Entlastungen
von Familien angemahnt, entweder durch weitere Steuerfreibeträge (z.B. für Kinderbetreuung) oder durch höheres
Kindergeld. Von weiteren Steuerfreibeträgen haben aber nur die Topverdiener einen Gewinn, alle anderen, auch Niedrigverdiener,
erhalten dadurch keine oder nur geringe Entlastung.
Bundesweit fordern wir die Verbesserung der Lebenssituation von
sozialhilfebeziehenden Kindern: Keine Anrechnung von Kindergeld auf die Sozialhilfe!
Von vorneherein vom Kindergeldbezug ausgegrenzt sind übrigens
alle Kinder, deren Familien einen unsicheren Aufenthaltsstatus in der Bundesrepublik haben, z.B. Flüchtlinge aus dem Kosovo. Hier wird
eine Gruppe von Kindern per Gesetz ausgeschlossen, die Kindergeld - auch zur Integration in Schule und Nachbarschaft - dringend nötig
hätte und die bekanntermaßen sowieso nicht gerade mit Reichtum gesegnet ist.
Deshalb fordern wir: Zahlung von Kindergeld an alle Kinder, die hier
leben, unabhängig von Nationalität und Aufenthaltsstatus!
Städte und Gemeinden sparen auf Kosten von Kindern.
Da die Kommunen die Sozialhilfe auszahlen, sind sie auch die
Nutznießer der Kindergelderhöhungen: Durch die Anrechnung des Kindergelds auf die Sozialhilfe verringern sich nämlich
die Sozialhilfeausgaben der Kommunen.
Sog. "einmalige Beihilfen" (z.B. Geld für ein
Kinderfahrrad oder für Spielzeug) könnten aber im Rahmen der Sozialhilfe von Städten und Gemeinden wesentlich
großzügiger gewährt werden. Die politische Umsetzung kann hier sehr zügig geschehen, weil kein
Gesetzgebungsverfahren nötig ist.
Wir wollen, dass die Sozialausschüsse der Städte und
Gemeinden die Verwaltungen auffordern zu berichten, wieviel Sozialhilfe durch die Kindergelderhöhungen im Zeitraum 1996-1999
eingespart wurde. Gleichzeitig sollen die Verwaltungen und politisch Verantwortlichen aufgefordert werden zu berichten, welche
Maßnahmepakete zur Verbesserung der Lebenssituation von Kindern im Sozialhilfebezug angesichts dieser Einsparungen in die Wege
geleitet wurden.
Wenn diesbezüglich bis jetzt nichts geschehen ist, müssen sich
Städte und Gemeinden den Vorwurf gefallen lassen, ihre Sozialhaushalte in großem Ausmaß auf Kosten von Kindern zu
sanieren! Nur durch massive öffentliche Kritik an diesem Verhalten kann Handlungsdruck erzeugt werden!
Solange sozialhilfebeziehende Kinder nicht vom Kindergeld und nicht von
den Erhöhungen profitieren, sollen die Kommunen die eingesparten Gelder für sofortige Ausgleichsmaßnahmen bereitstellen.
Dies könnte zum Beispiel so aussehen:
* Erhöhung der meist viel zu niedrigen Kleidergeldpauschalen -
Expertenempfehlungen liegen vor;
* Erhöhung der meist viel zu niedrigen Schulmaterialienpauschalen
(z.B. Niedersachsen: 40 Mark für ein ganzes Schuljahr);
* Bewilligung von Kinderfahrrädern;
* Übernahme von Nachhilfeunterricht, wo dies nicht schon in
ausreichendem Maße geschieht;
* Bewilligung von Spielzeug;
* Sozialpässe zum kostenlosen Besuch von Schwimmbädern,
Museen, Sport- und Kulturveranstaltungen und zur kostenlosen Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel.
Diese Aufzählung kann und soll natürlich erweitert werden.
Wir fordern Städte und Gemeinden auf: Kindergeld hat nichts in kommunalen Kassen zu suchen! Gebt den Kindern das auf ihre Kosten
eingesparte Geld zurück!
Auf Bundesebene bleibt das Ziel: Keine Anrechnung des Kindergelds auf
die Sozialhilfe!
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