Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-
Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.22 vom 28.10.1999, Seite 12

Indonesien

Zwischen Unabhängigkeit und Imperialismus

Am 19.Oktober verabschiedete das neue indonesische Parlament ein Gesetz, das die Entlassung Osttimors aus dem indonesischen Staatsverband anerkennt. Damit scheint der Weg zu einer formalen Unabhängigkeit Osttimors frei. Anlass für uns, einen Blick auf die Geschichte des Konflikts und die Interessen des Westens zu werfen.
Die Teilung Timors geht auf die Zeit zurück, als die portugiesische und die niederländische Kolonialmacht im riesigen, über 13.000 Inseln umfassenden Archipel ("Ostindien") zwischen dem Indischen und dem Pazifischen Ozean um neue Territorien wetteiferten. Im 17.Jahrhundert wurde Portugal als führende Kolonialmacht in der Region weitgehend von den Niederlanden abgelöst, die sich den Hauptteil der Inseln aneigneten, Portugal aber erlaubten, die östliche Hälfte der Insel Timor zu behalten.

Koloniales Erbe
Im Zweiten Weltkrieg wurde das an Ölvorkommen reiche Niederländisch-Indien von Japan besetzt. Nach der Niederlage Japans 1945 gelang es den Niederlanden nicht, ihre früheren Kolonien wiederzuerlangen, und es entstand 1949 die unabhängige Republik Indonesien, wenngleich zwischen Indonesien und den Niederlanden bis Mitte der 50er Jahre militärische Auseinandersetzungen um die Kontrolle der Insel Neuguinea fortdauerten. Der einzige Teil des Archipels, der unter direkter kolonialer Herrschaft blieb, war Osttimor, das an Portugal zurückgegeben wurde, während der westliche Teil der Insel zu Indonesien gehörte.
Der Sturz der Diktatur in Portugal durch die sog. Nelkenrevolution im April 1974 führte zur Legalisierung der nationalistischen Bewegungen in Osttimor. Im September 1974 wurde die Revolutionäre Front für die Unabhängigkeit Osttimors (Fretilin) gegründet. Ihre Gegner waren die Demokratische Union Timors (UDT), die für die Fortsetzung des Kolonialstatus eintrat, und eine von Indonesien unterstützte Vereinigung (Apodeti), die die vollständige Integration in das Nachbarland anstrebte. Als die UDT einen Putschversuch unternahm, organisierte die Fretilin einen bewaffneten Aufstand. Die Niederlage der UDT führte zum Rückzug der portugiesischen Kolonialmacht und zur Unabhängigkeitserklärung vom 28.November 1975 mit einer nationalistischen Regierung unter Führung der Fretilin.
Doch die Unabhängigkeit Osttimors war nur von kurzer Dauer. Eine vom Imperialismus unterstützte Invasion durch Indonesien war lange vorher geplant. Im September 1974 war Australiens sozialdemokratischer Premierminister Gough Whitlam mit Suharto zusammengetroffen und hatte öffentlich erklärt: "Ein unabhängiges Timor ist ein nicht lebensfähiger Staat und eine potenzielle Gefahr für die Region." Nur wenige Tage vor der Invasion, die am 7.Dezember 1975 stattfand, machten US-Präsident Gerald Ford und sein außenpolitischer Berater Henry Kissinger einen dreitägigen Besuch in Jakarta. Sicher wurde dabei über Osttimor gesprochen und für die Invasion grünes Licht gegeben.
Die Reaktion der westlichen Regierungen auf die indonesische Invasion bestand darin, sie zu ignorieren. Die britische Labour-Regierung bspw. genehmigte unmittelbar nach der Invasion den Verkauf von acht Kampfflugzeugen (produziert von der damals staatlichen British Aerospace) an Indonesien.
Die fehlende Reaktion des Westens auf die brutale Besetzung Osttimors durch die indonesische Armee steht im krassen Gegensatz zu seiner Haltung 1991, als der Irak unter Sadam Hussein in Kuwait einmarschierte, die Imperialisten unter US-Führung Krieg bis zur Kapitulation des Landes führten und anschließend Wirtschaftssanktionen verhängten, die für die irakische Bevölkerung verheerende Auswirkungen hatten und immer noch haben.
Im Falle Osttimors gab es keinen ernsthaften Versuch, Suharto zu zwingen, seine Truppen zurückzuziehen. Die ganze Angelegenheit wurde unter den Teppich gekehrt.

Blutiger Bürgerkrieg
In den ersten zwei Monaten der indonesischen Invasion in Osttimor wurden laut Schätzungen etwa 60.000 Menschen getötet. Im Juli 1976 wurde Osttimor offiziell die 27.Provinz Indonesiens. Die Fretilin organisierte Guerillagruppen in den Bergen und erhielt Unterstützung durch große Teile der Bevölkerung. Das Land befand sich nun im permanenten Bürgerkrieg.
Schätzungen zufolge sollen bis 1992 200.000 Osttimoresen von der indonesischen Armee getötet worden sein. Ein weiterer Versuch der indonesischen Behörden, die lokale Bevölkerung zu dezimieren, war die Einführung von Zwangssterilisationen für Tausende von Frauen.
Darüber hinaus wurden 150.000 Menschen von den extrem dicht besiedelten Inseln Java und Bali - oft zwangsweise - nach Osttimor umgesiedelt. Diese Aktion war Teil des Programms der "Transmigration", mit dem das indonesische Regime die zentrifugalen Kräfte unter den verschiedenen ethnischen Gruppen auf den Inseln des Archipels schwächen wollte. Auf Kosten der einheimischen Bauern, die von der Armee von ihrem Land vertrieben wurden, erhielten diese Siedler oft das fruchtbarste Land.
Dieses Programm erinnert stark an die Politik der "ethnischen Säuberungen" im früheren Jugoslawien, nur das die imperialistischen Mächte im Falle Osttimors nicht einmal symbolisch protestierten.

Was auf dem Spiel steht
Seit 34 Jahren - seit dem blutigen Putsch Suhartos 1965 und den anschließenden antikommunistischen Massakern - gibt es eine fruchtbare Zusammenarbeit westlicher Staaten inkl. der BRD mit der indonesischen Armee. Deren wichtigste Funktion - vom Standpunkt des Imperialismus - war in dieser Zeit die Sicherung der politischen Stabilität in einem riesigen Land, das einerseits das Potenzial aufweist, eine ganze Region zu destabilisieren, und andererseits eine enorme Quelle des Profits für die westlichen Multis darstellt.
Man braucht nur einen Blick auf die Landkarte zu werfen, um zu begreifen, warum sich Indonesien leicht in ein Pulverfass verwandeln kann: Es ist in eine riesige Anzahl von Inseln aufgespalten, die oft durch besondere ethnische Gruppen bevölkert sind, und es gibt keinen Mangel an separatistischen Bewegungen, die entlang solcher ethnischer Trennlinien entstanden sind. Darüber hinaus sind einige Inseln (Timor, Borneo, Neuguinea) auf verschiedene Staaten aufgeteilt - ein Erbe der kolonialen Vergangenheit.

Timor. Für das indonesische Militär und die westlichen Multis gibt es gute Gründe, warum sie sicherstellen wollen, dass ihre Ordnung auf der Insel gewahrt bleibt. Es gibt große Öl- und Erdgasvorkommen in der Timor-See zwischen der Südküste Osttimors und Australien. Die Ölvorkommen der Timor-See sollen fünfmal so groß sein wie die gesamten Ölreserven Australiens.
Aufgrund des Bürgerkriegs in Osttimor ist von diesem Öl bisher nur sehr wenig gefördert worden, obwohl sich die australische Regierung um einen Vertrag mit Indonesien bemüht hatte, der eine formale Anerkennung der indonesischen Besetzung Osttimors beinhaltete. Eine Reihe von Ölkonzernen ist bereits an der Förderung in der Timor-See beteiligt oder hat Optionen darauf gekauft, darunter Shell, Chevron (USA), Elf (Frankreich), BHP (Australien) und PT Astra, eine indonesische Gesellschaft, die Teil des Geschäftsimperiums des Suharto-Klans ist. Zweifellos sind sie alle daran interessiert, dass der Konflikt in Osttimor so gelöst wird, dass die Nationalisten in Osttimor ihre Ansprüche auf die Reichtümer der Timor-See nicht verwirklichen können.

Borneo. Auf der großen Insel Borneo gibt es weitgehend unerschlossene Ölvorkommen. Borneo ist auf drei Staaten aufgeteilt: Indonesien, Malaysia und Brunei. Das Sultanat Brunei ist ein auf die Interessen des Shellkonzerns zugeschnittener Zwergstaat von Gnaden des britischen Imperialismus mit einem britischen Militärstützpunkt auf seinem Territorium, von wo aus die britischen Truppen nach Osttimor gesandt wurden.

Neuguinea. Eine weitere an Bodenschätzen reiche Insel ist Neuguinea, das durch eine künstliche Grenzziehung in die indonesische Provinz Irian Jaya (Westpapua) und den unabhängigen, eng mit Australien verbundenen Staat Papua Neuguinea (PNG) gespalten ist. In Westpapua ist seit 1977 die Befreiungsbewegung OPM aktiv, die für die Wiedervereinigung der beiden Hälften der Insel eintritt. Von 1977 bis 1979 führte die OPM die erste Rebellion an, die jedoch zusammenbrach. Die Brutalität, mit der das Regime die einheimische Bevölkerung behandelt, hat die OPM und ihren Widerstand jedoch bis heute am Leben erhalten. Insgesamt sind seit 1977 43.000 Einheimische von den indonesischen Sicherheitskräften getötet worden.
Von Seiten Jakartas bestehen Pläne, in den nächsten zwanzig Jahren bis zu 65 Millionen Menschen aus Java in Westpapua anzusiedeln, um die Gefahr der Lostrennung zu bannen. Der Einsatz für die herrschende Klasse Indonesiens und die imperialistischen Multis ist dabei enorm hoch: Zum indonesischen Teil der Insel gehört das Grasberg-Minengebiet, das im gemeinsamen Besitz der Konzerne Freeport (USA) und Rio Tinto Zinc (Großbritannien) ist. Es gibt dort die größte Gold- und die zweitgrößte Kupfermine der Welt. Grasberg ist auch berüchtigt wegen der katastrophalen Arbeitsbedingungen für die einheimischen Arbeiter und die Brutalität der Unternehmen: 1994/95 wurden bspw. innerhalb von neun Monaten 37 papuanische Arbeiter von privaten Sicherheitskräften der Gesellschaften getötet.

Für die indonesischen Militärs und den Imperialismus stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage nach den Folgen einer wirklichen Unabhängigkeit für die Bevölkerung Osttimors: Wird dies in anderen Teilen des Landes zentrifugale Kräfte freisetzen, mit dem Risiko, nicht nur die Stabilität Indonesiens, sondern auch der Länder aufs Spiel zu setzen, die damit durch ethnische Bande verbunden sind wie Malaysia und sogar die Philippinen? Welche Risiken bestehen für die Interessen des Imperialismus in der Region bei einem Auseinanderfallen Indonesiens?
Für die Osttimoresen gibt es keinen Grund, den imperialistischen Mächten oder nationalistischen Führern wie Xanana Gusmao, die das Schicksal der Bevölkerung in die Hände der UNO legen, zu vertrauen. Die Erfahrungen in Ex-Jugoslawien wie jüngst in Kosova zeigen, wie der Imperialismus vorgeht: wirkliche Selbstbestimmung ist unter einem UN-Protektorat nicht zu erwarten.
Doch in ihrem Bestreben nach Unabhängigkeit verbindet die Osttimoresen mit den anderen Bevölkerungsgruppen Indonesiens, dass sie Jahrzehnte unter der Herrschaft einer räuberischen Klasse und der blutigen Diktatur ihrer Armee gelitten haben. Dies könnte eine gemeinsame Grundlage bilden, die Völker Indonesiens um den Kampf für die sozialen Interessen der Armen zu vereinen, und nicht nur mit der Forderung nach mehr Freiheit, die die Studenten 1998 mobilisierte. Das Auftauchen neuer radikaler politischer Kräfte wie der Demokratischen Volkspartei (PRD) in Indonesien oder der Sozialistischen Partei Timors (PST) ist ein ermutigendes Zeichen für eine solche Entwicklung.
Hans-Günter Mull
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50, Kontonummer 603 95 04


zum Anfang