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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.23 vom 11.11.1999, Seite 11

Gezahlt wird nicht

Dresden: Wer sich wehrt, gilt als rote Socke

Der Euromarschierer Bernd Reissmann aus Dresden war seit 1967 bei Robotron beschäftigt, bevor er im vergangenen Jahr entlassen und das Restwerk aufgelöst wurde. Umstände und Methoden der Entlassung verraten eine Menschenverachtung und Bereitschaft zur Menschenvernichtung, die man nur verstehen kann, wenn man sie im Zusammenhang mit der neoliberalen Offensive für individuelle Bereicherung und erbarmungslose Konkurrenz sieht. Die Zeitschrift metall dokumentierte den Fall in ihrer Ausgabe vom Januar 1999.
Zuerst hat Peter C. Adenauer, ein Großneffe des Alt-Bundeskanzlers, die Beschäftigten der Dresdner Firma Robotron Projekt GmbH um ihre berufliche Existenz gebracht. Dann versuchte er mit miesen Tricks, die Ansprüche der IG-Metall-Mitglieder zu unterlaufen.
Die E-Mail, abgesandt am 28.August 1998 um 11.30 Uhr, hat es in sich. Detailliert rechnet Peter C. Adenauer vor, warum Mitarbeiter der Robotron-Projekt GmbH in Dresden (RPD) seiner Ansicht nach ruhig für ihre Gehaltsansprüche klagen sollen: "Uns kostet es mindestens 8% Bankzinsen, das Geld zu leihen ... bei denen müssen wir aber höchstens 4% Zinsen zahlen. Also ist es wesentlich billiger, wenn die warten. Arbeiten tun die ja sowieso nicht!"
"Die", das ist z.B. Bernd Reissmann, 55 Jahre alt und seit 1967 bei Robotron in Dresden beschäftigt. Er muss bitter lachen, wenn er und seine Kollegen von Peter Adenauer in der gleichen Mail als "rote Socke" bezeichnet werden: "Ich war nie in einer Partei, engagiere mich aber z.B. beim Euromarsch für Arbeitsplätze."
Dazu hat der ehemalige Betriebsratsvorsitzende des Computerunternehmens auch allen Grund. Denn Ende Juni 1998 kündigte Adenauer per Brief an, dass der Betrieb geschlossen und die restlichen 17 Mitarbeiter "fristgemäß entlassen" würden. "Den Brief musste ich den Kollegen vorlesen, er hat sich davor gedrückt", erinnert sich Reissmann.
Damit fand eine Unternehmerkarriere, die im Mai 1992 begann, ihr vorläufiges Ende. Damals wurde Peter C. Adenauer, heute 58 Jahre alt, von der Treuhand-Anstalt als Geschäftsführer der noch 128-köpfigen Belegschaft in Dresden eingesetzt. Seine Qualifikation: "Er hat nach eigenen Angaben lange in Amerika gelebt und gearbeitet", berichten damalige Mitarbeiter.
Schon zum 1.April 1993 wurde aus dem Geschäftsführer der Besitzer des Systemhauses, das vornehmlich Computernetze für Abwasserbetriebe installierte und über ein Zweigwerk im russischen Twer verfügte. "Von dort hatten wir auch zwei große Aufträge, die mit richtigem Geld untersetzt waren", weiß der Betriebsrat.
Angebliche Bedingungen der Robotron-"Privatisierung" à la Adenauer: Kaufpreis 1 Mark, Arbeitsplatzgarantie für 40 Beschäftigte bis Ende 1995, Investitionsverpflichtung: null. Hinderlich beim Aufschwung des Unternehmens waren jedenfalls die Tarifverträge der IG Metall. Deshalb gründete der frisch gebackene Unternehmer flugs einen neuen Betrieb, die "Adenauer Computer GmbH". Dort, im gleichen Haus, wurden den Robotron- Beschäftigten neue Arbeitsverträge angeboten. Und von den meisten auch unterschrieben. "Ein großer Fehler", wie Bernd Reissmann schon damals warnte.
Denn den Beschäftigten fehlte plötzlich nicht nur Gehalt auf den Lohnzetteln, sondern auch Rechte aus ihren alten Arbeitsverhältnissen. Ab Anfang 1996 ging‘s bergab mit dem Unternehmen. Die Gehälter trafen bald mit zwei Monaten Verspätung ein. Seit im Sommer diesen Jahres endgültig Schluss bei Robotron ist, klagen einige IG-Metall-Mitglieder auf restliche Einkommen und Einhaltung der Kündigungsfristen. Adenauer versucht, die Verfahren vor dem Dresdner Arbeitsgericht mit allen Tricks zu behindern. Selbst vor Befangenheitsanträgen gegen Richter schreckt er nicht zurück.
Doch bislang ist der Erfolg bescheiden: Ein Antrag wurde noch im November abgelehnt, die Prozesse schreiten voran. "Als er das merkte, hat Adenauer schnell ausstehende Gehälter nachgezahlt", berichtet der Betriebsrat. Alle Ansprüche der Gekündigten sind damit allerdings noch nicht abgegolten. Wo der findige Unternehmer plötzlich das Geld fand, ist bisher auch unklar. Zumindest hat Adenauer am 20.Juli 1998 wieder eine neue Firma gegründet, die "Robotron Programmierung GmbH". Der Sitz ist in den gleichen Räumen an der Grunaer Straße 2 in Dresden.
Wieder hat der Mann mit dem großen Namen sechs ehemaligen Robotron-Mitarbeitern neue Verträge angeboten. Und wieder scheinen die Geschäfte nicht besonders gut zu laufen.

Nachwort
Der Gerichtstermin fand nicht Anfang September, sondern im Oktober statt, und er ging gar nicht so aus, wie sich Herr Adenauer das vorstellte. Der Richter verdonnerte ihn zur Zahlung aller ausstehenden Gehälter; vorsichtshalber hatte Herr Adenauer diese noch vor der Verhandlung bis September 1998 einschließlich überwiesen. Im Februar 1999 wurde der Betrieb dicht gemacht. Bernd Reissmann wartet immer noch auf den ihm zustehenden Lohn von Oktober 1998 bis Januar 1999.
Adenauer hatte den Betrieb zuvor so lange "verschlankt", bis er mit 17 Mitarbeitern eine Größe erreicht hatte, wo der gesetzliche Schutz weitgehend entfallen war. Zu Ende Juni 1998 wurden alle Beschäftigten fristgerecht gekündigt. Es gelang Adenauer, die Belegschaft zu spalten: die Jüngeren wurden in einen "neuen" Betrieb übernommen, die älteren nicht. Dagegen hat der ehemalige Betriebsrat ebenfalls Klage eingereicht. Er kann nachweisen, dass die angeblich neue Firma eine Fortsetzung der alten ist: zum Teil arbeiten dieselben Kollgen in denselben Räumen an denselben Projekten weiter, Geschäftsführer und Eigentümer sind ebenfalls dieselben geblieben, sogar das Firmenlogo hat sich nicht geändert. Statt mit 17 Beschäftigten wird die Arbeit jetzt mit zehn Leuten erledigt, mit dem Unterschied, dass es nun keinen Betriebsrat und keine gewerkschaftliche Tätigkeit mehr gibt.

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