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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.23 vom 11.11.1999, Seite 12

Doch ein bisschen gewonnen?

Die Linke nach den Parlamentswahlen in der Schweiz

Vor lauter hilflosen Erklärungsversuchen für die enormen Gewinne der national-konservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) bei den Parlamentswahlen vom 24.Oktober hat sich die Linke in der Schweiz kaum Gedanken über ihr eigenes Abschneiden gemacht.
Bleiben wir vorerst bei den Zahlen: Die einzigen Verluste auf der Linken haben die Sozialdemokraten zu verzeichnen: zwei Mandatseinbußen. Trotzdem bleibt die SP mit 51 von 200 Abgeordneten die stärkste Kraft im Parlament. In der Wählergunst hat sie sogar einige Prozent zugelegt, profitierte heuer allerdings nicht mehr vom Verhältniswahlsystem, das ihr vor vier Jahren noch etliche Überhangmandate bescherte. Die Grünen haben gar einen Sitz dazugewonnen und bleiben mit neun NationalrätInnen stärkste Nichtregierungspartei. Bei der kommunistischen Partei der Arbeit (PdA) bleibt alles beim alten. Sie ist weiter mit drei Abgeordneten im Berner Bundeshaus vertreten. Alles in allem ein stabile Situation.
Schwerer als die Mandatsverluste der SP wiegt die Abwahl von einigen profilierten Köpfen der Linken. So schaffte etwa der international für seine kritischen Publikationen zum Bankenplatz Schweiz bekannte Soziologieprofessor Jean Ziegler den Sprung nicht mehr. In einem etwas gewagten Unterfangen liess sich der 67-jährige Ziegler von den Jusos der Stadt Zürich als Kandidat anheuern, weil ihn die Sozialdemokraten in Genf wegen einer parteiinternen Amtszeitbeschränkung nicht mehr aufstellten. Mit der Abwahl von Ziegler verlässt ein spitzzüngiger Kritiker der mit der helvetischen Finanzwelt eng verknüpften bürgerlichen Ratsmehrheit die Parlamentsbühne.
Neben Ziegler hat es das gesamte feministische Spektrum hart getroffen. Insgesamt fünf linke Frauen wurde abgewählt oder ersetzt. In der Stadt Basel musste die aufgrund ihres Abstimmungsverhaltens während der vergangenen Legislaturperiode zur linkesten Politikerin gekürte dissidente Sozialdemokratin Margrith von Felten den Sessel räumen. Dieser Verlust wiegt schwer; von Felten war es, die das Projekt einer Fraktion links von der SP massgeblich mitentwickelte. Dieses Vorhaben wurde auch von der PdA unterstützt, da sie kaum erwartete, aus eigener Kraft zwei Sitze dazuzugewinnen. Auch in der Finanzmetropole Zürich gelang es nicht, einen Sitz links von der SP zu ergattern. Ein Teil der dafür notwendigen Stimmen gingen dort auf das Konto des erfolglosen Jean Ziegler.
Für die PdA stellt sich nun wie schon vor vier Jahren die Frage, wie ihre drei Nationalräte mit dem Status als Fraktionslose umgehen wollen. Ihr Handlungsspielraum bleibt auf Rede und Abstimmung im Rat beschränkt - ohne Fraktionsmitgliedschaft hat sie kein Anrecht auf Teilnahme an den Ausschüssen. Das Dilemma wurde in der vergangenen Legislaturperiode so gelöst, dass die PdA-Nationalräte mit der SP eine Fraktionsgemeinschaft eingingen.
Diese Zusammenarbeit hat sich als wenig fruchtbar erwiesen, weil die PdA zum Juniorpartner der Sozialdemokraten verkümmerte und nur mit erheblicher Mühe eigene Positionen vermitteln konnte. Für die kommende Legislaturperiode sieht es allerdings düster aus. Nach anfänglich positiv verlaufenen Sondierungen liessen die Grünen jetzt verlauten, sie seien nicht auf die drei PdA-Genossen angewiesen. So wird es wohl bei einem fraktionslosen Alleingang der kämpferischen Linken bleiben.
Nach erstem Wundenlecken ob der Erfolge der extremen Rechten und dem Gefühl, doch auch ein bisschen Wahlsiegerin zu sein, beschäftigt sich die Linke nun mit der Frage der Regierungszusammensetzung. Am 15.Dezember finden Gesamterneuerungswahlen statt. Normalerweise nichts Spektakuläres, wird der Bundesrat doch aufgrund einer ungeschriebenen Regel seit 1959 von einer großen Koalition regiert.
Die Zusammensetzung basierte bislang auf der ungefähren Stärke der größten Parteien. So stellen die Sozialdemokratische Partei, die Freisinnige Partei (FDP) und die Christlich- Demokratische Volkspartei CVP je zwei Minister, die bis dahin kleinste Partei, die nun siegreiche SVP, einen Vertreter.
Mit den massiven Zugewinnen der SVP bei den Nationalratswahlen stellt sich nun die Frage, ob die in der Schweiz als "Zauberformel" bekannte Großen Koalition am Ende ist und die SVP für ihre Gewinne mit einem zweiten Regierungssitz honoriert werden soll - auf Kosten der CVP oder der SP. Die wildesten Spekulationen schießen ins Kraut. Es ist aber nicht das erste Mal, dass angeblich "ernsthaft" darüber diskutiert wird. Einst forderten linke Sozialdemokraten den Gang in die Opposition, später die Rechten - doch seit 40 Jahren hat sich nichts geändert.
Auch die PdA hat sich in die Diskussion eingemischt und fordert den Rücktritt der beiden SP-Bundesräte, damit eine echte linke Oppositionspolitik betrieben werden könne und die Linke nicht in Exekutivverantwortung eingebunden sei.
Anstatt sich auf prognostische Zahlenspielereien einzulassen, täte die Linke jedoch gut daran, sich erst einmal handfesteren Angelegenheiten zuzuwenden. Nach dem Sieg der SVP kann nicht zur Tagesordnung übergegangen werden. Was schleunigst gefragt wäre, sind nicht Empfehlungen für künftige Regierungszusammensetzungen, sondern politische Antworten auf die permanente Offensive der SVP in der Europa-, Asyl- und Finanzpolitik. Es reicht nicht mehr, einzelne Köpfe mit den stets gleichen Schlagworten zu denunzieren. Selbst der Hinweis auf braune Flecken in der SVP hat scheinbar das Gegenteil ausgelöst und einen Teil ihrer Anhängerschaft erst recht mobilisiert und an die Urnen gebracht.
Nick Lüthi (Bern)
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