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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.24 vom 25.11.1999, Seite 1

Autoritäre EU-Reform

Die Europäische Union soll zu einer internationalen Großmacht ausgebaut, die Institutionen der EU zu diesem Zweck von Grund auf reformiert werden. Dies steht auf der Tagesordnung der Regierungskonferenz, zu der sich die Staats- und Regierungschefs der EU Ende 2000 in Frankreich treffen. Die Politische Union Europas nimmt Gestalt an, jedoch eine, die weiterhin wenig Hoffnung auf ein soziales und demokratisches Europa verspricht:
- Da ist zunächst die Herausforderung, den Euro zu einer starken Währung zu machen - der Euro ist und bleibt das Herzstück des kapitalistischen Europa-Projekts. Seit der Einführung Anfang des Jahres ist sein Kurs gegenüber dem Dollar gefallen, was die Exporte in die USA befördert, dem Ansehen als Großmacht jedoch abträglich ist.
Auf Drängen des britischen Großkapitals hat die Regierung Blair sich nun Englands Beitritt zum Euro auf die Fahnen geschrieben (spätestens Mitte 2002 soll er durch ein Referendum besiegelt werden). Die Londoner City ist der größte Devisenmarkt der Welt; die Entscheidung für den Euro würde einen gemeinsamen Finanzplatz Europa hervorbringen, dem sich auch die skandinavischen Länder und die Schweiz, die bislang der Europäischen Währungsunion nicht beigetreten sind, nicht mehr entziehen könnten. Eine weitere Folge wäre die faktische Durchdringung Osteuropas mit dem Euro, unabhängig vom Grad der formalen Integration dieser Länder in die EU.
- Da ist zweitens der Ausbau der EU zu einer militärischen Großmacht. Auch dies wird seit Herbst letzten Jahres vor allem von der Regierung Blair betrieben - Großbritannien ist von allen EU-Ländern am besten auf die Rolle einer militärischen Weltmacht vorbereitet. Das Projekt soll im Dezember 2000 unter französischem EU-Vorsitz besiegelt werden.
Es impliziert jedoch nicht nur die Herausbildung einer europäischen Rüstungsindustrie (die mit der Fusion von DASA und Aérospatiale-Matra einen großen Fortschritt gemacht hat). Es erfordert auch eine drastische Anhebung des europäischen Militärhaushalts und damit der Zahlungen der Einzelstaaten nach Brüssel. Dies widerspricht der derzeit überall verhängten Sparpolitik (zur Senkung der Haushaltsschulden und Einhaltung des Stabilitätspakts); ohne ein Klima der Militarisierung wird es auch nur schwer zu erreichen sein.
Hand in Hand mit dem Aufbau der europäischen Militärunion geht die Schaffung von Strukturen einer europäischen Außenpolitik bis zum Juni 2000.
- Drittes Herzstück der Großmacht Europa ist die EU- Osterweiterung. Der neue Kommissionspräsident Prodi hat die Klassifizierung nach guten und schlechten Beitrittskandidaten aufgegeben und nunmehr abgestufte Beitritte gestaffelt über einen Zeitraum von 25 Jahren in Aussicht gestellt. Doch das Ziel, im Osten einen politisch und wirtschaftlich stabilen Binnenmarkt zu schaffen, der an den Euro gebunden ist, kommt ohne den Ausbau eines EU-weiten Repressionsapparats nicht aus.
- Das bezeugen auch die Bemühungen, bis zum Ende des Jahres 2000 das Vertragswerk für einen einheitlichen Rechtsraum in der EU zu schaffen, der den "rechtmäßig" in ihm lebenden Bürgerinnen und Bürgern "Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit" vermitteln soll. Eine solche "Rechtssicherheit" braucht jeder Markt; mehr als die rechtliche Absicherung der freien Zirkulation des Kapitals und seiner Agenten ist damit aber auch nicht gemeint. Neben einer Vereinheitlichung der Rechtsnormen und des Zugangs zu den Rechtsmitteln geht es vor allem um die Kriminalisierung der "illegalen" Immigration und um europäische Programme zur Bekämpfung der organisierten Wirtschafts- und Drogenkriminalität.
Alle genannten Aufgaben machen eine Reform der EU-Institutionen überfällig. Bislang war die EU ein supranationaler Organismus, der auf der Koordination der einzelstaatlichen Aktionen und auf dem Konsensprinzip beruhte. Nun jedoch soll das Vetorecht der Mitgliedstaaten zugunsten des Mehrheitsprinzips abgeschafft, die politische Führungsmacht in der EU faktisch an die "großen Drei" (Großbritannien, Frankreich, Deutschland) abgetreten werden.
Der Kommissionspräsident erhält gegenüber den Kommissaren uneingeschränkte Vollmachten; in der Außen- und Sicherheitspolitik liegen Entscheidung und Ausführung in derselben Hand (beim Europäischen Rat, praktisch bei dessen Generalsekretär, Javier Solana). Die Gewichte verschieben sich noch stärker zum Europäischen Rat, dem Organ der Regierungen.
Das Europa-Parlament bekommt ein erweitertes Recht auf Teilhabe an der Gesetzesinitiative, aber nicht das alleinige Recht. Es wird aber kein richtiges Parlament, weil es keine Souveränitätsrechte hat. Die politische Struktur der EU bleibt abgehoben, nicht transparent und der Funktionsweise nach "feudalistisch". Dem entspricht, dass es keinerlei Kontrolle der multinationalen Konzerne gibt.
Daran wird auch der Grundrechtekatalog nichts ändern, der unter französischem Vorsitz Ende 2000 verabschiedet werden soll. Das Europäische Netzwerk der Erwerbsloseninitiativen (ENU) hat in seiner Stellungnahme dazu den Nagel auf den Kopf getroffen: Wichtiger als ein neuer Grundrechtekatalog wäre es, der Allgemeinen Menschenrechtserklärung von 1948 endlich rechtliche Bindungskraft zu verleihen.
Dennoch wird die Agenda 2000 der EU für Strukturen wie die Euromärsche Gelegenheit sein, sich nicht nur erneut als europaweite soziale Bewegung darzustellen, sondern auch die Frage aufzuwerfen, wer in der entstehenden Politischen Union eigentlich das legitime Subjekt ist. Die Erwerbslosen, Obdachlosen, ungeschützt Beschäftigten, die kämpferischen Gewerkschaften, Flüchtlinge und MigrantInnen- sie sind der 16.Mitgliedstaat der EU, der keine Lobby hat und weder durch das Europa-Parlament noch durch die in Brüssel agierenden NGOs vertreten wird.
Dieses Subjekt muss sich eine politische Gestalt verschaffen, einen Generalstand, der Vertretungsorgan und Forum seiner Willensbildung zugleich ist. Die für September/Oktober 2000 in Paris anvisierte Europäische Versammlung der Erwerbslosen, Flüchtlinge und Gewerkschafter könnte ein Ansatzpunkt dafür sein.
Angela Klein
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