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Die Europäische Union soll zu einer internationalen Großmacht ausgebaut, die Institutionen der EU
zu diesem Zweck von Grund auf reformiert werden. Dies steht auf der Tagesordnung der Regierungskonferenz, zu der sich die Staats- und
Regierungschefs der EU Ende 2000 in Frankreich treffen. Die Politische Union Europas nimmt Gestalt an, jedoch eine, die weiterhin wenig
Hoffnung auf ein soziales und demokratisches Europa verspricht:
- Da ist zunächst die Herausforderung, den Euro zu einer starken
Währung zu machen - der Euro ist und bleibt das Herzstück des kapitalistischen Europa-Projekts. Seit der Einführung Anfang
des Jahres ist sein Kurs gegenüber dem Dollar gefallen, was die Exporte in die USA befördert, dem Ansehen als Großmacht
jedoch abträglich ist.
Auf Drängen des britischen Großkapitals hat die Regierung
Blair sich nun Englands Beitritt zum Euro auf die Fahnen geschrieben (spätestens Mitte 2002 soll er durch ein Referendum besiegelt
werden). Die Londoner City ist der größte Devisenmarkt der Welt; die Entscheidung für den Euro würde einen
gemeinsamen Finanzplatz Europa hervorbringen, dem sich auch die skandinavischen Länder und die Schweiz, die bislang der
Europäischen Währungsunion nicht beigetreten sind, nicht mehr entziehen könnten. Eine weitere Folge wäre die
faktische Durchdringung Osteuropas mit dem Euro, unabhängig vom Grad der formalen Integration dieser Länder in die EU.
- Da ist zweitens der Ausbau der EU zu einer militärischen
Großmacht. Auch dies wird seit Herbst letzten Jahres vor allem von der Regierung Blair betrieben - Großbritannien ist von allen
EU-Ländern am besten auf die Rolle einer militärischen Weltmacht vorbereitet. Das Projekt soll im Dezember 2000 unter
französischem EU-Vorsitz besiegelt werden.
Es impliziert jedoch nicht nur die Herausbildung einer europäischen
Rüstungsindustrie (die mit der Fusion von DASA und Aérospatiale-Matra einen großen Fortschritt gemacht hat). Es
erfordert auch eine drastische Anhebung des europäischen Militärhaushalts und damit der Zahlungen der Einzelstaaten nach
Brüssel. Dies widerspricht der derzeit überall verhängten Sparpolitik (zur Senkung der Haushaltsschulden und Einhaltung
des Stabilitätspakts); ohne ein Klima der Militarisierung wird es auch nur schwer zu erreichen sein.
Hand in Hand mit dem Aufbau der europäischen Militärunion
geht die Schaffung von Strukturen einer europäischen Außenpolitik bis zum Juni 2000.
- Drittes Herzstück der Großmacht Europa ist die EU-
Osterweiterung. Der neue Kommissionspräsident Prodi hat die Klassifizierung nach guten und schlechten Beitrittskandidaten aufgegeben
und nunmehr abgestufte Beitritte gestaffelt über einen Zeitraum von 25 Jahren in Aussicht gestellt. Doch das Ziel, im Osten einen politisch
und wirtschaftlich stabilen Binnenmarkt zu schaffen, der an den Euro gebunden ist, kommt ohne den Ausbau eines EU-weiten
Repressionsapparats nicht aus.
- Das bezeugen auch die Bemühungen, bis zum Ende des Jahres 2000
das Vertragswerk für einen einheitlichen Rechtsraum in der EU zu schaffen, der den "rechtmäßig" in ihm lebenden
Bürgerinnen und Bürgern "Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit" vermitteln soll. Eine solche
"Rechtssicherheit" braucht jeder Markt; mehr als die rechtliche Absicherung der freien Zirkulation des Kapitals und seiner Agenten
ist damit aber auch nicht gemeint. Neben einer Vereinheitlichung der Rechtsnormen und des Zugangs zu den Rechtsmitteln geht es vor allem um
die Kriminalisierung der "illegalen" Immigration und um europäische Programme zur Bekämpfung der organisierten
Wirtschafts- und Drogenkriminalität.
Alle genannten Aufgaben machen eine Reform der EU-Institutionen
überfällig. Bislang war die EU ein supranationaler Organismus, der auf der Koordination der einzelstaatlichen Aktionen und auf
dem Konsensprinzip beruhte. Nun jedoch soll das Vetorecht der Mitgliedstaaten zugunsten des Mehrheitsprinzips abgeschafft, die politische
Führungsmacht in der EU faktisch an die "großen Drei" (Großbritannien, Frankreich, Deutschland) abgetreten
werden.
Der Kommissionspräsident erhält gegenüber den
Kommissaren uneingeschränkte Vollmachten; in der Außen- und Sicherheitspolitik liegen Entscheidung und Ausführung in
derselben Hand (beim Europäischen Rat, praktisch bei dessen Generalsekretär, Javier Solana). Die Gewichte verschieben sich
noch stärker zum Europäischen Rat, dem Organ der Regierungen.
Das Europa-Parlament bekommt ein erweitertes Recht auf Teilhabe an der
Gesetzesinitiative, aber nicht das alleinige Recht. Es wird aber kein richtiges Parlament, weil es keine Souveränitätsrechte hat. Die
politische Struktur der EU bleibt abgehoben, nicht transparent und der Funktionsweise nach "feudalistisch". Dem entspricht, dass es
keinerlei Kontrolle der multinationalen Konzerne gibt.
Daran wird auch der Grundrechtekatalog nichts ändern, der unter
französischem Vorsitz Ende 2000 verabschiedet werden soll. Das Europäische Netzwerk der Erwerbsloseninitiativen (ENU) hat in
seiner Stellungnahme dazu den Nagel auf den Kopf getroffen: Wichtiger als ein neuer Grundrechtekatalog wäre es, der Allgemeinen
Menschenrechtserklärung von 1948 endlich rechtliche Bindungskraft zu verleihen.
Dennoch wird die Agenda 2000 der EU für Strukturen wie die
Euromärsche Gelegenheit sein, sich nicht nur erneut als europaweite soziale Bewegung darzustellen, sondern auch die Frage aufzuwerfen,
wer in der entstehenden Politischen Union eigentlich das legitime Subjekt ist. Die Erwerbslosen, Obdachlosen, ungeschützt
Beschäftigten, die kämpferischen Gewerkschaften, Flüchtlinge und MigrantInnen- sie sind der 16.Mitgliedstaat der EU, der
keine Lobby hat und weder durch das Europa-Parlament noch durch die in Brüssel agierenden NGOs vertreten wird.
Dieses Subjekt muss sich eine politische Gestalt verschaffen, einen
Generalstand, der Vertretungsorgan und Forum seiner Willensbildung zugleich ist. Die für September/Oktober 2000 in Paris anvisierte
Europäische Versammlung der Erwerbslosen, Flüchtlinge und Gewerkschafter könnte ein Ansatzpunkt dafür sein.
Angela Klein
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